Das „soziale Rezept“
Soziales Miteinander auf Rezept, sogenanntes Social Prescribing: Diese Idee stammt aus Großbritannien. Eine Hausärztin oder ein Hausarzt stellen dabei soziale Unterstützungsbedarfe bei einer Patientin oder einem Patienten fest. Diese greift ein "Link Worker" auf, um die Person in ein Setting zu begleiten, das die Bedarfe erfüllt. Erste Ansätze dazu gibt es auch in Deutschland, etwa im nordrhein-westfälischen Witten. Hier ist derzeit ein Singkreis der Hit: Wenn Klient:innen gemeinsam "Marmor, Stein und Eisen bricht" schmettern, erleben sie Freude im Kontakt mit anderen Menschen. Ein anderes hilfreiches Setting wäre etwa ein Tanzkurs.
Brücken zwischen Medizin und sozialer Arbeit
Das versäulte deutsche Sozialsystem kennt kaum Brücken zwischen medizinischer Versorgung und sozialer Begleitung. Doch Gesundheit ist ein Produkt aus körperlichen, psychischen, sozialen und Umweltfaktoren. In Kooperation mit Hausärzt:innen erreicht man vulnerable Gruppen außerdem deutlich besser als in jedem anderen Setting.
Im benachteiligten Wittener Marienviertel arbeitet die Hausarztpraxis Dr. Schmelzer mit ihren sieben Ärzt:innen deshalb seit 2023 mit dem Gemeinwesenarbeiter der Caritas zusammen, unterstützt von einer Altenpflegerin mit seelsorgerischer Zusatzausbildung und einer Verwaltungskraft. Die Caritas Witten ist stark in der ambulanten Pflege vor Ort. Den Erstkontakt zum Projekt stellt der Hausarzt her, bei Interesse erfolgt dann ein Hausbesuch. Dieses Zusammenwirken von medizinischer und sozialer Begleitung ist die eigentliche Innovation. Beispiel: Dr. Schmelzer stellt bei einer 75-jährigen Patientin und "Hilfen im Alter"-Bezieherin eine schwere bronchiale Erkrankung fest. Die Patientin lebt aber in einer feuchten Wohnung. Um gesund zu werden, braucht sie eine neue Wohnung - dabei bekommt sie Hilfe. Oder: Eine über 80-jährige Frau hat Kreislaufschwierigkeiten und Diabetes, lebt allein und isoliert. Über eine vom Projekt initiierte Spaziergruppe findet die Dame wieder Kontakt und kommt auch zum Spieletreff. Die Projektbeteiligten suchen - so es die Patient:innen zulassen - auch nach Gruppen, in denen sie Kontakt und Spaß haben können, in denen "soziale Energie" wirkt. Für Menschen, die nicht mobil sind, gibt es einen persönlichen und telefonischen Besuchsdienst. Chronisch Kranke werden speziell unterstützt. Mitarbeitende und Freiwillige schulen sich nach einem ressourcenorientierten Gesprächskonzept.
Neue Zugänge ermöglicht
Das Konzept bietet Zugang zu Lebensrealitäten, die eine "Komm-Struktur" nicht bietet. Oft werden weitere Probleme aufgedeckt. Gemeinwesenarbeit ist eine ausgezeichnete Basis für diese Verbindung von medizinischer und sozialer Versorgung. Sie ist auch ein guter Einstieg in das Thema Einsamkeit. Was noch fehlt, ist die Zusage einer langfristigen Finanzierung.
Wer über ein gutes Netzwerk im Gemeinwesen verfügt und Stärken beim Thema Gesundheit hat, wird mit dem "sozialen Rezept" viele Fans gewinnen, denn: "Es gibt einen, der zu dir hält!"