Kodok im Südsudan: Wo Geflüchtete trotz Armut aufgenommen werden
Nyamojwok Obac Akany steht vor ihrer Hütte. In dem südsudanesischen Dorf Kodok ist sie mit ihrer Tochter in Sicherheit.@ Philipp Spalek/Caritas international
Wir gleiten über den Weißen Nil. Das Wasser glitzert, Fischreiher lauern am grünen Ufer auf Beute. Die Stimmung ist friedlich, fast romantisch. Dann legen wir in Kodok an. Die Szenerie kippt. Der Boden ist trocken, staubig, übersät mit kleinen Plastikresten. Die Luft drückt, die Sonne brennt. Am Ufer steht eine Menschentraube, die uns singend begrüßt. Sofort wird mir klar: Es sind Menschen, die Kodok trotz allem zu einem freundlichen Ort machen.
Über eine Million Vertriebene

Die kleine Stadt liegt im Südsudan, nahe der Grenze zum Sudan. Seit der brutale Bürgerkrieg im Nachbarland ausbrach, ist Kodok – wie viele Orte entlang der Fluchtroute über den Nil – ein Brennpunkt der größten Flüchtlingskrise der Welt. Über 14 Millionen Menschen sind seit 2023 auf der Flucht, die meisten innerhalb des Sudans. Rund vier Millionen suchten Schutz in Nachbarstaaten. Allein im Südsudan leben über eine Million Vertriebene.
In Kodok hat sich die Bevölkerung seitdem fast verdoppelt und immer noch legen Boote mit Schutzsuchenden an. Das verschärft die Lage, die schon zuvor schwierig war. Die Menschen kämpfen mit den Folgen des eigenen Bürgerkriegs, mit Dürre, Überschwemmungen, Ernteausfällen, Hunger. Kinder sterben an heilbaren Krankheiten, weil Ärzt:innen und Medikamente fehlen. Die Lage hat sich verschärft, seit internationale Hilfsorganisationen wegen der USAID-Kürzungen abgezogen sind.
Meist steigen Frauen mit Kindern aus den Booten. Viele kommen aus der Region, meist Südsudanesinnen, die während des Bürgerkriegs im Sudan Zuflucht suchten. Einige lebten Jahrzehnte in Flüchtlingslagern, andere hatten im Norden ein besseres Leben – ein Haus, einen Job. Nun stehen sie in Kodok erneut vor dem Nichts.
Wo sollen sie schlafen?
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Verwandte oder Fremde Erbarmen zeigen. Und genau das geschieht. "Fast jede Familie hier hat Vertriebene aufgenommen", erzählt Schwester Judit. Sie gehört zu den DMI-Schwestern ("Daughters of Mary Immaculate"), der lokalen Partnerorganisation von Caritas international. Die 37-Jährige leitet die Hilfsprogramme hier. "Die Menschen teilen das Wenige, das sie haben. Wenn nicht genug Platz in der Hütte ist, schlafen sie in Schichten. Kommen neue Vertriebene, bringen die Nachbarn Essen vorbei." Schwester Judit bestärkt diese Solidarität.
Die Schwestern kamen 2021 nach Kodok. Sie sollten den Friedensprozess fördern und die Lebensbedingungen verbessern. Mit dem Kriegsausbruch im Sudan vergrößerte sich ihr Auftrag schlagartig. Statt aufzugeben, krempelten die zierlichen Schwestern die Ärmel ihrer rosa Kutten hoch. Unterstützt von Caritas und Geldern des Auswärtigen Amtes erweiterten sie das Hilfsprogramm, stellten mehr lokale Mitarbeiter:innen ein und mieteten Lagerhallen. Heute versorgen sie Zehntausende Menschen – mit Nahrungsmitteln, Wasserkanistern, Moskitonetzen, Saatgut, Hacken. Sie schulen Landwirt:innen, gründen Spargruppen und helfen damit vor allem Frauen.
Wovon sollen sie leben?

Besonders stolz sind die Schwestern auf die neuen Unterkünfte. Seit diesem Jahr haben sie mit Caritas-Spenden über 200 Häuser gebaut. Mehr als 1000 Schutzsuchende, vor allem Frauen und Kinder, erhielten so rechtzeitig vor der Regenzeit ein Dach über dem Kopf. "Aber es braucht noch viele, viele mehr", mahnt Schwester Judit.
Ich laufe durch den Ort, um die Häuser zu sehen. Bakitha und Nyamojwok, zwei künftige Bewohnerinnen, wollen mit mir sprechen. Beide flohen aus dem Sudan, verloren ihre Männer im Krieg. Nun kämpfen beide ums Überleben.
Bakitha empfängt mich in ihrer alten Hütte. Die neue, direkt daneben, ist noch nicht fertig. Der Raum ist winzig, kaum größer als ein Gartenschuppen. Ein rostiges Stück Blech dient als Tür. Bakitha zeigt, wie sie zu siebt, eng verschachtelt, auf dem harten, staubigen Boden schlafen. Oft bleibt sie die Nacht wach. Ohne Schlafmatte liegt sie am offenen Eingang, um auf Nyamojwok und die Kinder aufzupassen.
Im Inneren ist es dunkel und stickig. Bakitha heizt den kleinen Lehmofen an. Schnell brennt der Rauch in den Augen. Draußen häutet Nyamojwok den Fisch, den sie sich heute leisten konnten. Die beiden teilen sich die Arbeit, so gut es noch geht. Nyamojwok ist im achten Monat schwanger. Schon auf der Flucht trug sie das Baby im Bauch. Ohne Bakitha hätten sie es wohl nicht geschafft.
"Gott wird uns helfen"
"Als Nyamojwok, schwanger und mit ihrer kleinen Tochter an der Hand, vor meiner Tür stand, hatten sie nichts", erzählt Bakitha, die mit ihr verwandt ist. "Wir waren uns noch nie begegnet, aber ich wusste sofort, dass ich sie aufnehmen werde. Dass ich ihr helfen möchte, so wie mir damals geholfen wurde, als ich nach Kodok kam", erzählt sie von diesem Augenblick. "Ich sagte ihr: Ich habe keine gute Unterkunft, auch das Essen reicht nicht immer. Sie sagte: Kein Problem. Gott wird uns helfen."
Während wir sprechen, setzen sich immer wieder Nachbarinnen zu uns. Sie mischen sich nicht ein, aber ihre Anwesenheit sagt: Wir sind da für dich, Bakitha!
Als wir die Hütte verlassen, sitzt Nyamojwok im Schatten eines Baumes und flicht einer Nachbarin die Haare. Ich setze mich dazu, beobachte die geschickten, liebevollen Bewegungen. Wir reden kaum. Zum ersten Mal seit der Fahrt über den Nil spüre ich wieder so etwas wie Frieden. Später erzählt Nyamojwok, dass es die Frauen waren, die ihr geholfen haben, mit den schrecklichen Erlebnissen von Krieg und Flucht umzugehen, und in Kodok anzukommen. "Am Anfang dachte ich, ich schaffe es nicht. Aber Bakitha und die anderen haben mir die Kraft gegeben. Wenn wir zusammen sind, kann ich vergessen."
Vier Wochen nach meiner Rückkehr schicken die DMI-Schwestern ein Foto. Nyamojwok lächelt in die Kamera, ihr Neugeborenes im Arm. Alle sind gesund. Ich bin erleichtert. Meine Gedanken wandern nach Kodok. Ich sehe die Nachbarinnen vor mir, Nyamojwok in ihrer Mitte. Sie tanzen, singen und feiern das neue Leben in ihren Armen: ein Mädchen.
Die Vision
Die DMI-Schwestern wollen das Programm ausbauen. Ihre Vision: mehr und größere Unterkünfte - mit zwei Zimmern, für etwas Privatsphäre. Außerdem bauen sie gerade eine neue Schule in Kodok – für eine Perspektive für die vielen Kinder. Drei Unterrichtsräume gibt es schon, weitere sollen folgen. Auch eine berufliche Ausbildung soll es geben. Die Schwestern wollen den Ort entwickeln, Bleibeperspektiven schaffen. Mit Ihrer Hilfe kann es ihnen gelingen.
Spenden Sie für Kodok:
Caritas international
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02; BIC: BFSWDE33XXX SozialBank, Stichwort: "Nothilfe für Menschen im Südsudan"