Wie Menschen unterstützen, die Angst vor dem Krieg haben?
Redaktion: Immer mehr Menschen haben Angst, dass sich der Ukraine-Krieg auf Deutschland ausweitet. Können Sie diese Angst nachvollziehen?
Themann: In Zeiten wie diesen, in denen unsere Gewissheiten von einem auf den anderen Tag plötzlich verloren gehen und unser Sicherheitsgefühl ins Wanken gerät, ist es völlig normal, besorgt zu sein - und auch Angst zu haben. Es hat aber eine ganz andere Dimension, wenn ich Freunde in der Ukraine habe oder die Ukraine meine Heimat ist, und ich erlebe, wie meine Schule, Universität oder der Marktplatz in Schutt und Asche gelegt wird.
Schöne Augenblicke als Paar oder Familie sind jetzt wichtiger als in guten Zeiten
Redaktion: Wann wird die Angst vor dem Krieg zum Problem?
Themann: Das ist eine persönliche Frage, die jeder Mensch nur für sich selbst beantworten kann. Keiner von außen kann einschätzen, ob Angst normal ist oder nicht. Doch wenn ich merke, dass jemand seine Struktur im Alltag verliert, er oder sie nachts nicht mehr schlafen kann, ist das ein Alarmsignal.
Redaktion: Wie kann ich Menschen, die mir nahestehen, in solch einer Situation unterstützen?
Themann: Wenn ich um jemanden besorgt bin, ist es wichtig, mit ihm zu sprechen und gut zuzuhören: Wie schätzt du für dich deine Gefühlslage ein? Wie geht es dir? Was lösen die Nachrichten über den Krieg in dir aus? Es kann auch helfen, gute Augenblicke für sich als Paar, als Familie zu schaffen. Das kann ein Abendspaziergang an der frischen Luft sein, ein Familienausflug am Wochenende, eine Tasse Tee beim Lieblingsfilm, ein Treffen mit guten Freunden oder ein gemeinsames Gebet. Bei all dem geht es darum, aus der Ohnmacht in Aktion zu gehen.
Redaktion: Darf man bei dem Leid, dass die Menschen in der Ukraine erleiden, überhaupt etwas Schönes machen?
Themann: Ich kann verstehen, wenn es sich für den einen oder die andere falsch anfühlen mag. Doch diese schönen Augenblicke als Paar, Familie oder Freunde sind jetzt wichtiger, als in guten Zeiten. Es ist wichtig, Alltagsrituale aufrechtzuerhalten und der Angst nicht die Macht zu geben, den Alltag zu bestimmen oder einzuschränken.
Angst nicht kleinreden, sondern ernst nehmen
Redaktion: Was kann ich tun, wenn Kriegsbilder in den Nachrichten die Angst auslösen oder verstärken?
Themann: Die Bilder berühren uns bis ins tiefste Mark. Es geht dabei jedoch nicht ums Aushalten, sondern um Information. Jede Person entscheidet selbst, was sie mit diesen Informationen macht. Wenn die Bilder zu viel werden, muss sie niemand anschauen. Wenn jemand die Bilder kaum aushalten kann, sie aber dennoch sehen will, um sich zu informieren, dann ist auch das in Ordnung. Als Außenstehender kann ich nachfragen: Was brauchst du anschließend, um das Gesehene zu verarbeiten? Was ist für dich eine gute Zeit, um dich über den Krieg zu informieren - im Laufe des Tages oder vor dem Schlafengehen? Was ist für dich ein gutes Maß an Informationen?
Redaktion: Was sollte ich beim Gespräch über die Angst vermeiden?
Themann: Wenn jemand Angst hat, ist es sein gutes Recht, das auch so zu fühlen. Daher sollte man diese Angst nicht einfach abtun oder kleinreden, sondern ernst nehmen. Wir sollten auch vermeiden, den anderen zu bevormunden. Es ist immer die Entscheidung des anderen, ob er oder sie darüber sprechen möchte oder die Angst ein Problem ist. Ich kann aber Fragen stellen: Was tut dir jetzt gut? Was brauchen wir beide jetzt? Erwachsene treffen diese Entscheidung selbst. Bei Kindern ist das anders. Da braucht es Regulierung und Begrenzung von außen.
Caritas-Beratungsstellen bieten Unterstützung
Redaktion: Wo finden Betroffene oder Angehörige professionelle Hilfe?
Themann: Die Caritas bietet deutschlandweit verschiedene Beratungen an, die in solchen Situationen helfen können. Das sind unter anderem Ehe-, Familien- und Erziehungsberatungsstellen oder psychosoziale Angebote. Auch niedergelassene Therapeutinnen und Therapeuten bieten Hilfe an.