Katholische Schule auf dem Weg zur Inklusion
Die Fachtagung "Wir finden Wege … – gemeinsam inklusiven Unterricht in der katholischen Schule entwickeln" fand am 27./28. September 2016 in Bonn statt.
Aktuelle Entwicklungen der inklusiven Schulentwicklung
Erich Weigl vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst berichtete über die aktuellen Entwicklungen der inklusiven Schulentwicklung in Deutschland. So werden die Bundesländer regelmäßig zu bestimmten Themen um Rückmeldungen gebeten. Darunter sind u.a. Fragen nach einem landesweiten Aktionsplan, nach einen Leitbild zur Inklusion, nach zusätzlichen Unterstützungsmaßnahmen für die Umsetzung.
In seiner Zusammenfassung stellt Weigel die verschiedenen Organisationsformen vor, die in den Bundesländern als inklusiv betrachtet werden: Einzelinklusion an der wohnortnahen Schule, Kooperationsklasse an der Grund-, Mittel-, Berufsschule, Partnerklasse (Förderschule, allgemeine Schule), Tandemklasse an Profilschulen, Offene Klassen an der Förderschule. Es gibt also weiterhin keine gemeinsame, über alle Bundesländer vereinbarte Inklusionsstrategie, es sei denn, man hält die Entwicklung von vielfältigen Organisationsformen für eine Strategie und nicht den Ausbau der Vielfalt in einer Klasse oder Schule.
Schließlich appelliert Weigel an die Teilnehmer(innen), dass sich die katholische Kirche und besonders die Bischöfe für inklusive Schule einsetzen sollten.
Bildungsqualität und Chancengerechtigkeit als Leitidee der Weiterentwicklung katholischer Schulen
Dr. Joachim Schmidt von der Stiftung Katholische Freie Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Rottenburg a.N. sprach über "Inklusion – Selbstverständnis und Grundprinzip einer katholischen Schule?". Aus seiner Sicht brauchen die Akteure in katholischen Schulen zunächst einmal den Blick auf das Fundament ihrer Überzeugungen und ihrer Pädagogik. An einem Bild erläutert er die Zentralidee, die für die Weiterentwicklung katholischer Schulen gebraucht wird. Er greift dafür auf eine Geschichte aus dem Buch Genesis zurück, und zwar auf eine komplizierte Dreiecksgeschichte um Abraham, Sarai und ihre Sklavin Hagar. Schmidt kommt zu dem Schluss, dass der Blick auf die Wurzeln, auf den Gott, der uns, der jedem Menschen Ansehen und Würde verleiht, dass dieser Blick es ist, der katholische Schulen antreiben muss. "Wir können und dürfen Inklusion nicht nur als politischen Auftrag verstehen – für uns erwächst dieser Auftrag, jedem Kind gerecht werden zu wollen, aus der Mitte unseres Glaubens."
In der anschließenden Diskussion geht es vor allem darum, wie die Idee der Inklusion, die theologisch schlüssig und eine Selbstverständlichkeit ist, stärker im kirchlichen Raum vorangebracht werden kann.
Merkmale eines inklusiven Unterrichts
Dr. Clemens Hillenbrand von der Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg stellt seine Vorstellungen zu "Unterricht professionell: Merkmale eines inklusiven Unterrichts" vor. Er hält einen sehr anschaulichen Vortrag über Didaktik und Methodik eines Unterrichts, der individuell, zieldifferent und vor allem wirksam ist. Er untermauert seine Ideen und Vorschläge mit Ergebnissen empirischer Forschung. Seine Vorschläge und Beispiele beziehen sich besonders auf Schüler(innen), deren Beeinträchtigungen sozial-emotional und mit Lernschwierigkeiten verbunden sind.
In der anschließenden Diskussion steht der Begriff "Leistungsorientierung" im Mittelpunkt. Für einige Teilnehmer(innen) sind Prof. Hillenbrands Vorschläge zu sehr an Leistung orientiert. Dieser Einschätzung wird jedoch in der Diskussion widersprochen. Da sich Prof. Hillenbrand bei seinen Beispielen auf Schüler(innen) mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten bezieht, orientiert er sich an dem Leistungsniveau der Hauptschule. Man kann aber auch auf einem anderen Niveau von Leistungen ausgehen: Auch die Fähigkeit, am Tisch zu sitzen und beim Essen eine Gabel zu benutzen, ist eine Leistung. Leistungsorientierung heißt nicht, dass alle das Niveau der Hauptschule erreichen müssen.
Inklusion und eine Schule für alle ist möglich
Die Teilnehmer(innen) der anschließenden Foren und Seminare werden sich bewusst, dass Schule als Organisation auf dem Weg zur Inklusion zu begreifen ist. Der Austausch wird als hilfreich und ermutigend erlebt. Nicht "Behinderungen in Art und Schwere" oder "Bedarfe sozial emotional-sozialer Entwicklung" sind allein für das Schulprofil bestimmend, sondern die Lebenslage "Kindheit und Jugend" oder "junger Erwachsener". Damit kann die Einzigartigkeit einer katholischen Schule sichtbar werden. Tätige Solidarität in der Schulgemeinschaft und gelingende Vielfalt zu leben, wird Wesensmerkmal.
Resümee zum Projekt "Inklusiver Unterricht"
Inklusiver Unterricht und Schulentwicklung hin zu einer inklusiven Schule ist möglich auch unter den bis heute noch erschwerenden Bedingungen. Der Einsatz dafür bedeutet ein sinnerfülltes Engagement und Freude auf neuen Wegen statt Routine auf alten Pfaden. Die hohe Komplexität des Unterrichts aus zeitgleich zu erfüllenden Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsaufgaben steigt zwar in einer Klassengemeinschaft, die sich durch eine größere Vielfalt auszeichnet. Das verlangt von denjenigen, die den täglichen Unterricht gestalten, besondere persönliche Haltungen und Einstellungen sowie außergewöhnliche didaktische und methodische Kompetenzen. Kirchliche freie Schulträger und alle Akteure der katholischen Schulen tragen dafür Mitverantwortung, dass der menschenrechtliche Anspruch der Menschen mit Behinderung auch im Hinblick auf inklusive Bildung ohne Einschränkungen eingelöst wird. Beginnen können alle sofort. Abwarten, bis die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen sind oder bis die politisch Verantwortlichen eindeutige Wege eröffnet haben, ist keine Option.