Wohnungslos in Nürnberg – wie gute Hilfe geht
Petra Zöttlein (re.) und Viktorija Ziedaite sorgen dafür, dass sich Mütter und Kinder bei ihnen wohlfühlen. Katharina Gebauer
"Friede sei mit dir" steht über der Tür des ehemaligen Franziskanerklosters. Dahinter ist es friedlich - und sehr lebendig. Im Erdgeschoss toben zwei Kinder über den Flur, eine Mutter mit Kind kommt die Treppe herunter. "Willkommen im Caritas-Haus für Frauen in Not", sagt Petra Zöttlein zur Begrüßung. Aktuell wohnen über zwei Etagen 14 wohnungslose Frauen mit 17 Kindern. Das Haus steht alleinerziehenden Müttern und Schwangeren offen. Die Frauen versorgen sich selbst.
14 Frauen und 17 Kinder unter einem Dach
Wer hier Unterschlupf findet, hat sich zuvor vom Partner getrennt oder musste wegen Eigenbedarfs ausziehen. Bei der 31-jährigen Zara aus Syrien war es der ständige Streit mit dem Noch-Ehemann. Die 25-jährige Meriam wurde von ihrem Bruder vor die Tür gesetzt, weil sie mit seiner Ehefrau nicht klarkam. Seit einigen Wochen lebt die zweifache Mutter in einem Zimmer mit Etagenbett.
Ihre beiden Söhne gehen um die Ecke zur Schule, genauso Zaras Tochter. Für ihren autistischen Sohn hat Zara eine Förderschule gefunden. Das klingt nach einer Lösung. Es ist eine Atempause auf Zeit. "Ich fühle mich hier sehr wohl", sagt die junge Frau. Eigene vier Wände wären trotzdem schön. "Irgendwann wird es klappen", sagt Petra Zöttlein. Auch dank des Engagements der Stadt. "Es gibt Anlaufpunkte für Wohnungs- und Obdachlose. Die Mitarbeiter:innen des Sozialreferats engagieren sich sehr", sagt sie.
Neben dem Haus für Frauen in Not betreibt die Caritas Nürnberg auch die Ökumenische Wärmestube, das "Domus Misericordiae", also das Haus der Barmherzigkeit, sowie die Straßenambulanz Franz von Assisi. Letztere residiert im ehemaligen Kloster der mächtigen St.-Ludwig-Kirche.
Wärme finden im ehemaligen Kloster
Dort leitet Roland Stubenvoll die Straßenambulanz seit über 20 Jahren. Zuerst führt er Besucher in den holzvertäfelten ehemaligen Kloster-Speisesaal. Einige Wohnungslose sitzen in Gruppen an Tischen. Andere holen sich warmes Essen am Tresen. Vor der Stube gibt es Dusch- und Waschgelegenheiten. Rechts neben der Eingangstür behandeln Dr. Jörg Seiler und Psychiaterin Christine Wiesinger kostenlos Menschen ohne Versichertenkarte. Dort substituieren sie auch Drogenabhängige. Bei schweren Fällen kann die Praxis auf ein Netzwerk von kooperierenden Fachärzt:innen zurückgreifen.
Die Notschlafstelle hat Uwe gerettet. Heute arbeitet er dort.Harald Oppitz
"Administrativ und rechtlich agieren Ärzte und Caritas getrennt voneinander, de facto arbeiten wir eng zusammen", sagt Roland Stubenvoll. Gemeinsam haben beide Einrichtungen 2023 über 1000 Patienten versorgt, knapp 300 hatten keine Versichertenkarte, weiß Stubenvoll. "Kann das Ärzteteam Leistungen nicht abrechnen, finanzieren wir sie aus Spenden." Es ist ein vertrauensvolles Miteinander über viele Jahre hinweg.
Mittwochnachmittag sind die Praxisräume der Ambulanz verwaist. Patrick Phillips macht sich mit seinem roten Notfallrucksack auf den Weg. An diesem nasskalten Tag klappert der Krankenpfleger die Plätze in der Innenstadt ab, an denen sich tagsüber wohnungs- und obdachlose Menschen aufhalten. Diese aufsuchende Obdachlosenhilfe ist nötig, sagt Phillips: "Gerade Menschen auf der Straße sind misstrauisch. Indem wir auf sie zugehen, bauen wir Brücken und informieren sie über unsere Angebote."
Brücken zu Obdachlosen bauen
Oben auf der Bahnhofsgalerie warten Menschen auf ihren Zug. "Nachts schlafen hier manche im Sitzen, das ist schlecht für die Gefäße", weiß der Caritas-Mitarbeiter. Draußen hat es zu schneien begonnen. An eine Mauer gelehnt sitzt ein vielleicht 40-Jähriger vor einem Laden. Er spricht nur Ungarisch. Phillips drückt ihm einen Flyer in die Hand und erklärt ihm, wo er Essen und Hilfe bekommt.
In der Breiten Gasse trifft er auf Jürgen (Name geändert). Der Obdachlose sitzt vor dem ehemaligen, inzwischen geschlossenen Einkaufszentrum City-Point. Der Franke ist Diabetiker, seine Insulinspritze wurde ihm geklaut. "Dann musst du schnell zu uns kommen", sagt Phillips. Jürgen nickt. "Dr. Seiler ist so ein guter Arzt", weiß der 47-Jährige aus eigener Erfahrung. Langsam wird es dunkel. "Jetzt gehen die meisten in ihre Unterkünfte oder in die Notschlafstelle", sagt Phillips und verabschiedet sich.
Das Haus der Barmherzigkeit
Das Domus der Caritas ist in einer großbürgerlichen Villa untergebracht, zu der zwei weitere Gebäude gehören. Im linken Hinterhaus befindet sich die Notschlafstelle mit 16 Notbetten in zwei winzigen Zimmern. Sie sind ein wichtiger Baustein im Domus, das Wohnungs- und Obdachlose auf jedem Schritt hin zu einer eigenen Wohnung begleitet - sofern sie das wollen.
Im Domus der Caritas erhalten wohnungslose Menschen nicht nur einen Schlafplatz sondern auch ein kostenloses warmes Essen. Harald Oppitz
Über das Angebot weiß kaum einer besser Bescheid als Uwe, den seine Freunde Popeye nennen. Mit seinen 61 Jahren hat er schon eine Überdosis Leben hinter sich. Mit 13 pfeift er sich harte Drogen rein, mit Dealen finanziert er seine Sucht, in der Gummikammer macht er einen harten Entzug. Immer wieder rappelt er sich auf, hinterlässt verbrannte Erde, häuft Schulden an. Als er an die Bergkante tritt, sind es nur noch 80 Meter bis zur Ewigkeit.
Doch er entscheidet sich fürs Leben. Ein halbes Jahr lebt er in der Notfallschlafstelle, dann im Betreuten Wohnen. Er redet viel mit dem Sozialpädagogen, packt seine Sucht an. Heute wohnt er in eigenen vier Wänden und ist hauptamtlich Nachtwächter in der Notschlafstelle. Die Überdosis Leben hat seinem Körper zugesetzt, seine Augen aber sind wach und klar.
Wenn es im Winter richtig kalt wird, bringt auch der dickste Schlafsack wenig.Harald Oppitz
Es war ein hartes Ringen - nicht nur für Popeye. "Menschen wie Uwe brauchen Zeit und immer wieder auch Unterstützung", sagt Domus-Leiter Ulrich Süttner. Diese Hilfe bekommen die Menschen hier in vielfältiger Form. In der Domusstube geben sie abends kostenloses Abendessen aus. "Wir haben 62 Plätze im Betreuten Wohnen, zwölf davon sind für psychisch kranke Männer reserviert, zudem eine Frauen-WG mit sechs Plätzen. Außerdem unterhalten wir ein Haus der zweiten Chance für Strafentlassene sowie acht Außenwohngruppen für Menschen vor dem letzten Schritt in die Eigenständigkeit", zählt Ulrich Süttner auf.
Und die Caritas unterstützt die Stadt in drei Pensionen im Begleitenden Wohnen mit insgesamt 200 Plätzen. Die Sozial-arbeiter:innen der Caritas organisieren und moderieren Konflikte dort vor Ort.
Solche Hilfsangebote gibt es in Nürnberg, weil sich das Sozialreferat auch für Wohnungslose ins Zeug legt. "Die Wege zu uns Wohlfahrtsverbänden sind kurz, die Kontakte eng, unsere Zusammenarbeit ist sehr vertrauensvoll", sagt Ulrich Süttner. Ein gutes Miteinander gibt es auch unter den Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern, die sich mit der Caritas in der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe organisiert haben. Das macht die Arbeit effizienter und einfacher. Davon profitieren alle, vor allem aber die Menschen, die diese Hilfe benötigen.