Sie flüchten vor dem Elend und landen im Abseits
Ursprünglich wurde die Migranten Medizin für Fremde ohne legalen Aufenthaltsstatus gegründet. Inzwischen sind Illegale nur noch ein kleiner Teil unserer Patienten - bei steigender Patientenzahl. Das Spektrum hat sich doch sehr vergrößert.
Europäische Migranten ohne Versicherungsschutz
Durch das Schengen-Abkommen haben wir zunehmend Menschen aus Südosteuropa und dem ehemaligen Jugoslawien in unserer Praxis, die keine Krankenversicherung besitzen. Das betrifft vorrangig ethnische Minderheiten, wie die Roma, die offensichtlich auch in ihren Heimatländern sozial am Rand stehen. In den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts sind sie über die europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) für Notfälle versichert. Danach allerdings fallen sie durch das soziale Netz.
Wer kümmert sich um die Kinder?
Europäische Migranten haben in Deutschland nur einen Anspruch auf eine weiterführende Krankenversicherung, wenn sie auch in ihren Heimatländern krankenversichert waren. Das trifft aber auf große Teile der rumänischen und bulgarischen Bevölkerung nicht zu. Problematisch ist dies vor allem für die Kinder. Wer kümmert sich um die Reifeuntersuchungen? Wer kommt für die Impfungen auf, die ja heute Standard sind? Das sind eine ganze Menge Fragen, die geklärt werden müssen. Kein Mensch will natürlich auf die Freizügigkeit in Europa verzichten, aber die Konsequenzen müssen getragen werden.
Zunehmend mehr Deutsche in der Migranten Medizin
Neben den europäischen Migranten steigt auch die Zahl der deutschen Patienten auffallend. Obwohl es seit 2009 eine Krankenversicherungspflicht gibt, haben wir immer mehr Menschen hier, die ihre Beiträge nicht zahlen können. Das sind mittlerweile zehn Prozent unserer Patienten - mit steigender Tendenz.
Die Probleme dieser Menschen sind vielfältig. Wir erleben Studenten, die ihre Regelstudienzeit überschritten haben und dadurch ihre gesetzliche Krankenversicherung verlieren. Wir behandeln Menschen, die von Harz IV leben und die Zuzahlungen zur privaten KV nicht aufbringen können. Wir sehen Lebensgemeinschaften, in denen einer arbeitet und sozial abgesichert ist, der andere aber nach der Bedarfsgemeinschaftsregelung keinen Anspruch auf Transferleistungen hat und damit auch im Krankheitsfall nicht sozial abgesichert ist. Und dann gibt es viele ältere Privatversicherte, die wegen sinkender Alterseinkünfte und steigender Prämien nicht mehr zahlungsfähig sind.
Armut und Krankheit sind zwei Faktoren, die sich eindeutig gegenseitig beeinflussen. Es muss im Interesse des Staates sein, dass jeder Mensch, der akut krank ist, eine Erstversorgung bekommt - egal, wie er versichert ist oder welchen Status er hat.
Dr. Herbert Breker (72), seit 2006 Leiter der Malteser Migranten Medizin in Köln