„Sich für Ausbeutung zu sensibilisieren, ist ein wichtiger erster Schritt“
Herr Trautrims, Sie beschäftigen sich mit sogenannter moderner Sklaverei. Spontan denken dabei sicher viele an Fabriken in Bangladesch oder an den Stadionbau in Katar. Aber auch Hausangestellte in Saudi-Arabien oder mitten in Deutschland können betroffen sein. Warum müssen moderne Sklaverei, Umwelt- und Klimaschutz zusammengedacht werden?
"Moderne Sklaverei" ist ein international gebräuchlicher Sammelbegriff, er schließt unter anderem Menschenhandel und Zwangsarbeit ein. Je nach Land werden unterschiedliche Begriffe bevorzugt, in Deutschland zum Beispiel überwiegt der Terminus "Menschenhandel". Gemeint sind, unabhängig von den Begriffen, stets Menschenrechtsverletzungen durch die schlimmsten Formen von Ausbeutung.
Moderne Sklaverei findet häufig dort statt, wo auch Umweltstraftaten begangen werden wie zum Beispiel die illegale Abholzung von Regenwald. Demzufolge wird Umweltzerstörung und damit auch der Klimawandel durch moderne Sklaverei vorangetrieben. Gleichzeitig begünstigen klimatische Veränderungen moderne Sklaverei, da Menschen beispielsweise durch anhaltende Dürren die Lebensgrundlage verlieren. Sie sind dann der Gefährdung durch Menschenhandel stärker ausgesetzt. Es besteht also eine wechselseitige Beziehung.1
In unserem Heft befassen wir uns mit klimabedingter Migration. Wie hängt sie mit erzwungener Migration zusammen?
Hier besteht ein starker Zusammenhang. Wo zum Beispiel landwirtschaftliche Lebensweisen durch den Klimawandel so stark beeinträchtigt werden, dass Menschen dort nicht mehr leben können, bleibt nur die Option, die eigene Heimat zu verlassen. Zudem können plötzliche Naturkatastrophen dazu führen, dass jegliche staatliche Kontrolle zunächst ausgehebelt wird und Menschen auf eine undokumentierte Weise "verschwinden". In Situationen, in denen Verzweiflung überhand nimmt, sind Menschen einer stärkeren Gefahr ausgesetzt, Opfer von Menschenhandel zu werden. Hierbei ist der Aspekt der Verwundbarkeit entscheidend: Häufig sind es marginalisierte Gruppen ohne Zugang zu politischem Einfluss, die
eine hohe Vulnerabilität aufweisen und daher von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen sind.
Um Menschenrechts- und Umweltschutz voranzubringen, trat am 1. Januar 2023 das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Welches Potenzial hat es für den Klimaschutz und damit indirekt auch für den Schutz vor erzwungener Migration beziehungsweise Menschenhandel?
International wird das LkSG intensiv diskutiert und als GameChanger angesehen. Mit ihm wird die Verantwortung auf die beteiligten Unternehmen gespiegelt, sie müssen für ihr Handeln - auch
im Ausland! - Rechenschaft ablegen und Schutzansprüche erfüllen. Klima-Risiken und Menschenrechtsverletzungen, wie etwa der Menschenhandel, müssen dabei zusammengedacht werden. Für viele Firmen ist das sehr unbequem, da es ihnen die Möglichkeit nimmt, sich hinter der Lieferkette beziehungsweise den Regeln in den jeweiligen Staaten zu "verstecken".
Ziel soll es dabei nicht sein, dass sich Firmen aus betroffenen Gebieten zurückziehen; sie sollen vielmehr motiviert werden, Umwelt und Menschenrechtsstandards einzuhalten. Auch in Bezug auf klimabedingte erzwungene Migration liegt im LkSG die Chance, dass unwürdige Umstände aufgedeckt und abgemildert werden oder im besten Falle nicht entstehen. Es würden weniger Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen oder/und in prekären Arbeitsverhältnissen auszuharren. Gleichzeitig wird es für Menschenhändler schwieriger, ihre perfiden Praktiken unbemerkt zu verfolgen. Das LkSG lässt zudem hoffen, dass Staaten aus wirtschaftlichem Interesse ihre Menschenrechtssituation verbessern, da dies ihre Teilnahme am Welthandel vereinfacht, indem Investitionen vor Ort attraktiver werden. So wäre das Gesetz für Gesellschaften und Firmen ein Anlass, zu überdenken, wie sie Lieferketten und somit Klima und Menschenrechte positiv beeinflussen könnten.
International einen stärkeren Umwelt- und Menschenrechtsschutz zu etablieren ist ein komplexes Vorhaben. Was ist zu beachten, um die Effekte des Klimawandels auf Menschenrechte und klimabedingte erzwungene Migration abzumildern?
Das LkSG ist Teil einer internationalen Agenda, die unter anderem in den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen2 angelegt ist. Wichtig finde ich, dass sich ein gemeinsames internationales Lernen etabliert: Was funktioniert, und wo muss nachgebessert werden? Spezifische Gesetzgebungen entfalten je nach Marktmacht des Staates unterschiedliche Wirkungen. So existieren beispielsweise in den USA und Kanada starke Handelsschranken gegen Zwangsarbeit. Diese haben nachweislich positive Auswirkungen auf eine menschenwürdige Herstellung im jeweiligen Produktionsland.
Wichtig sind aber auch Maßnahmen zu inländischen Lieferketten. Und auch auf lokaler Ebene sind konkrete Schritte möglich: Als Beispiel möchte ich ein Projekt nennen, das Handwerkerfirmen für moderne Sklaverei sowie häusliche Gewalt sensibilisiert. Handwerker:innen haben durch ihre Arbeit Zugang zu diversen Haushalten. Erkennen sie Anzeichen für menschenunwürdige Umstände und wissen sie, an wen sie sich mit möglichen Bedenken wenden können, dann sollten sie in der Lage sein, dies unkompliziert zu melden, damit Betroffenen geholfen werden kann. Wenn ich als Konsument:in jegliche Entscheidung in meinem Alltag hinterfrage, mache ich mich womöglich handlungsunfähig. Ein erster Schritt könnte aber sein, aufmerksam(er) zu werden und zu hinterfragen, wer mir mein Essen vor die Haustüre bringt oder wo (und wie) das Jeans-Label meiner Wahl die Ware produzieren lässt. Ich denke,
dass wir alle einen Beitrag gegen Menschenhandel und erzwungene Migration leisten können, allein durch einen klimabewussten Lebensstil. Ebenso braucht es natürlich staatliche Regularien und internationale Übereinkünfte, um gezielt dagegen vorzugehen und Lebensgrundlagen zu erhalten. Hier ist das LkSG ein bedeutender Schritt.
Anmerkungen
- Mehr zum Nexus moderne Sklaverei - Umweltzerstörung - Klimawandel per
Kurzlink: https://bit.ly/3YPsbDF - https://17ziele.de/info/was-sind-die-17-ziele.html