Papierlos im Land
Dabei gelten diese Rechte für alle Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Das Katholische Forum „Leben in der Illegalität”, das von der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, der Caritas, den Maltesern und dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst getragen wird, setzt sich bereits seit 2004 dafür ein, dass Menschen ohne Papiere ihre grundlegenden sozialen Rechte in Anspruch nehmen können. Dieser Begriff „Menschen ohne Papiere” (vom französischen „Sans-Papiers”) meint Menschen, die sich irregulär in Deutschland aufhalten, das heißt ohne Aufenthaltserlaubnis, Gestattung oder Duldung. Die letzten Schätzungen (2015) gehen davon aus, dass zwischen 180.000 und 520.000 Menschen ohne Papiere langfristig in Deutschland ansässig sind.1 Die Zahlen basieren auf Berichten und Einschätzungen von Experten und Betroffenen. Konkretere Angaben sind nicht verfügbar.
Anders als zunächst vermutet soll die Zahl der Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität in Deutschland seit 2015 – trotz der insgesamt gewachsenen Migrationsbewegungen - nicht dramatisch gestiegen sein. Abgelehnte Asylbewerber(innen) sind zwar „ausreisepflichtig”, erhalten aber regelmäßig eine Duldung nach § 60 a Aufenthaltsgesetz. In diesem Fall gehören sie nicht in die Gruppe der ”Sans-Papiers”.2 Die Wege in den irregulären Aufenthalt sind sehr vielschichtig, und die Gruppe der Menschen ohne Papiere ist sehr heterogen. Beispielsweise handelt es sich um Personen, die zunächst einen Aufenthaltstitel (etwa für Aupairs oder Studierende) besaßen und über dessen Geltungsdauer hinaus geblieben sind („Overstayer¨), oder um Opfer von Menschenhandel.
Die drängendsten Probleme für „Menschen ohne Papiere”
Menschen ohne Papiere stehen vor einer Vielzahl von Schwierigkeiten – die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung, des Schulbesuchs und des Schutzes vor (Arbeits-)Ausbeutung sowie die Ausstellung einer Geburtsurkunde scheinen die drängendsten zu sein. So unterschiedlich die Probleme auch sein mögen, im Hintergrund stehen meist die Übermittlungspflichten nach § 87 Aufenthaltsgesetz. Häufig verhindern sie, dass Menschen ohne Papiere ihre Rechte auch tatsächlich in Anspruch nehmen oder Rechtsschutz suchen. Gemäß § 87 Abs. 2 Nr. 1 haben öffentliche Stellen die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben Kenntnis vom Aufenthalt eines Ausländers erlangen, der einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist.
Für die Gesundheitsversorgung bedeutet dies: Bei einer Behandlung greift, wie bei allen anderen Menschen, die Schweigepflicht des Arztes oder der Ärztin, welche die Übermittlungspflicht nicht trifft. Geht es allerdings um eine aufschiebbare Behandlung, kann der Arzt diese so lange aussetzen, bis die Frage der Kostenübernahme geklärt ist. Für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ist mit Hilfe des sogenannten "verlängerten Geheimnisschutzes" lediglich eine Versorgung im medizinischen Notfall ohne Aufdeckung ihres Status möglich; denn in solchen Fällen geht die Schweigepflicht des Arztes auch auf die Mitarbeitenden im zuständigen Sozialamt über, so dass eine Abrechnung ohne Offenlegung gegenüber der Ausländerbehörde möglich ist. Da es für Krankenhäuser jedoch schwierig ist, die Bedürftigkeit eines Patienten nachzuweisen, erfolgt häufig keine Kostenerstattung. Die geschilderten Schwierigkeiten führen dazu, dass Menschen ohne Papiere in den allermeisten Fällen auf einen Arztbesuch verzichten. Krankheiten werden verschleppt, die Heilungschancen verschlechtern sich. Letztlich fallen dann bei einer notwendig werdenden Notfallbehandlung höhere Kosten an als bei einer regulären Behandlung. Mit ähnlichen Problemen sehen sich schwangere Frauen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität konfrontiert: Oft verzichten sie auf die Vor- und Nachsorge, wodurch sie selbst und ihr Kind erhöhten Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind.
Erste Erfolge im Bildungsbereich
Im Bereich Bildung konnten in den letzten Jahren Verbesserungen erreicht werden. So wurden 2011 im Aufenthaltsgesetz alle „Schulen sowie Bildungs- und Erziehungseinrichtungen” von der Übermittlungspflicht an die Ausländerbehörde ausgenommen. Dennoch sind hier auf der Landes- und Kommunalebene zum Teil noch erhebliche Hürden zu überwinden. So ist es keine Seltenheit, dass zur Anmeldung in Schule oder Kindergarten Meldedokumente oder Kita-Gutscheine vorgelegt werden müssen, was für Familien ohne Papiere eine Schwierigkeit bedeutet. Die Folge ist, dass die Kinder um ihre Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gebracht werden. Es muss das Ziel sein, dass jedes Kind Zugang zu Bildung hat.
Arbeitnehmer in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität sind fast ausschließlich irregulär, das heißt in der Schwarzarbeit tätig. Hieraus erwachsen unterschiedlichste Probleme: Abhängig Beschäftigte sind unabhängig von ihrem Status grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Versicherungsverhältnis tritt automatisch mit Aufnahme der Beschäftigung und unabhängig davon ein, ob eine Anmeldung bei der zuständigen Behörde erfolgte und Beiträge entrichtet wurden. Bei Aufdeckung der irregulären Beschäftigung hat der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Allerdings sind die Versicherungsträger als öffentliche Stellen zur Übermittlung an die Ausländerbehörden verpflichtet. Es erhöht sich also auch in diesem Fall das Risiko einer Abschiebung. Menschen ohne Papiere sind leichte Opfer für Ausbeutung und Lohnbetrug, da ihre Arbeitgeber ein Druckmittel haben und nicht fürchten müssen, dass sich die Sans-Papiers gegen ihre Arbeitsbedingungen wehren oder ihren Lohn einklagen.
Ausstellung einer Geburtsurkunde bleibt schwierig
Ein weiteres drängendes Problem betrifft die Ausstellung einer Geburtsurkunde. Denn auch die Standesämter sind zur Übermittlung an die Ausländerbehörde verpflichtet. Darüber hinaus sind die Ausländerbehörden aufgrund des Staatsangehörigkeitsgesetzes am Verfahren zu beteiligen. Aus fehlenden Identitätspapieren kann eine weitere Schwierigkeit erwachsen. Häufig lässt sich die Identität der Eltern und des Kindes nicht nachweisen. Trotzdem muss die Geburt – mit entsprechendem Hinweis – ins Geburtenregister aufgenommen werden. In diesen Fällen kann keine Geburtsurkunde, wohl aber eine beglaubigte Abschrift des Geburtenregistereintrags erteilt werden.
Genauere Informationen zu diesem und vielen weiteren Themen enthält das Beratungshandbuch „Aufenthaltsrechtliche Illegalität”, das die Caritas und das Deutsche Rote Kreuz im Dezember 2017 in einer aktualisierten Fassung veröffentlicht haben.3 Auch in Zukunft bleibt es, nicht nur für kirchliche Einrichtungen, wichtig, sich für die grundlegenden sozialen Rechte von Menschen ohne Papiere einzusetzen, sich zu vernetzen und weiterzubilden, den Betroffenen eine Stimme zu geben und sie zu befähigen, ihre Rechte wahrzunehmen.
Die Begriffe „Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität”, „Sans-Papiers” oder „Menschen ohne Papiere” sind werden im Text synonym verwendet.
Weitere Anmerkungen
1. Vogel, D.: Update report Germany: Estimated number of irregular foreign residents in Germany, 2014; http://irregular-migration.net
2. Von Manteuffel, M.: Papierlos und unterversorgt – Die notwendige Verbesserung der Gesundheitsvorsorge von Menschen ohne Papiere in Deutschland, in: ZfmE 64/2018, S. 34.
3. DCV und DRK: Aufenthaltsrechtliche Illegalität. Beratungshandbuch 2017, Download: www.caritas.de, Suchwort: „Beratungshandbuch”.