Interview mit Calogera von Auw: Wir brauchen Planungssicherheit bei der Migrationsberatung in Frankfurt
Caritas: Frau von Auw, Sie sind selbst mit zehn Jahren nach Deutschland gekommen. Wie hat Ihr eigener Weg Ihre Arbeit beeinflusst?
Calogera von Auw: Meine Eltern kamen als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland. Wir haben viel Zeit in der italienischen Mission verbracht, wo auch Kolleginnen und Kollegen der Caritas aktiv waren. Ich habe früh gesehen, wie wichtig Unterstützung für Zugewanderte ist. Nach meinen Ausbildungen als Kinderpflegerin und Erzieherin, bin ich Sozialarbeiterin geworden. Die Caritas hat mich dann angeworben für den damaligen Sozialdienst für Italiener_innen, ein Vorläufer der MBE. Ich sollte mich u.a. um bessere Bildungserfolge italienischer Kinder kümmern. Sehr schnell kamen auch andere Nationalitäten zu meinen Angeboten. Das war dann der Einstieg für mich in die Beratung beim Sozialdienst für Italiener_innen und hat meinen beruflichen Weg als Migrationsberaterin geprägt.
Caritas: Seit wann sind Sie in der Migrationsberatung tätig und wie hat sich das Angebot entwickelt?
Calogera von Auw: Ich arbeite seit 1987 in der Beratung - damals hieß es noch Sozialdienst für Italiener_innen. Schon Anfang der 60er Jahre gab es Strukturen zur Unterstützung der katholischen Gastarbeiter_innen, zunächst der Italiener_innen. Wir haben Angebote in der Community gemacht, sind in Schulen gegangen, haben Frauentreffs und Mädchengruppen organisiert und vieles mehr. Vor allem in den 70er Jahren waren die Dienste für Zugewanderte der Caritas stark politisch aktiv in der Frankfurter Gesellschaft.
Es war viel Einzelfallhilfe, aber auch Familienberatung. Ab etwa Mitte der 90er-Jahre wurde das Bundesprogramm Sozialberatung für Ausländer geöffnet für alle. Wir von der Caritas hatten da bereits begonnen auch nicht katholische Zugewanderte zu beraten. Mit dem Zuwanderungsgesetz 2005 wurde das Programm Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer eingeführt. Die Vorgaben bezüglich der Zielgruppen und der Beratungsinhalte wurden daraufhin enger geregelt.
Caritas: Wie sieht die aktuelle Situation in Frankfurt am Main aus?
Calogera von Auw: Frankfurt ist besonders, weil die Stadt ein Anziehungspunkt ist. Die MBE berät hier immer noch, neben geflüchteten Menschen, viele neu eingewanderte EU- Bürger_innen. Sie werden aber nach dem Zuwanderungsgesetz anders behandelt, sie haben beispielsweise keinen Anspruch auf Sprachkurse. Das Zuwanderungsgesetz sieht das für EU-Bürger_innen nicht vor. Aber wir sehen, dass auch sie Unterstützung brauchen. Leider werden sie in der Integrationspolitik oft übersehen. Aber die Problemlagen aller Menschen, die zu uns kommen, sind vielfältig: Es geht um Arbeitssuche, um die Schulbildung der Kinder, um Ausbildungen, um Wohnungsnot, Gesundheitsthemen und immer häufiger auch um Diskriminierung.
Caritas: Wie hat sich die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen über die Jahre entwickelt?
Calogera von Auw: Wir sind sehr gut vernetzt: mit Trägern, mit dem Jobcenter, mit den Sozialämtern, mit Kitas, mit Pflegeheimen, Jugendhilfeeinrichtungen etc. Wir haben schon innerhalb der Caritas ein großes Netzwerk. Aber auch mit den Behörden wie beispielsweise der Ausländerbehörde und anderen. Aber die Menschen, die Hilfe brauchen sind vielfältiger als früher. Und auch Menschen, die bereits seit 20 Jahren hier leben, brauchen weiterhin Unterstützung. Sie werden aber nicht immer so gesehen. Viele Behörden sind mit der Komplexität der Problemlagen überfordert und schicken dann letztendlich die Menschen zu uns in die Migrationsberatung. Wir müssen nicht nur Einzelfallhilfe leisten, sondern auch strukturiert und umfassend beraten.
Caritas: Haben sich die Themen, mit denen die Menschen zu Ihnen kommen, verändert?
Calogera von Auw: Die Grundthemen wie Existenzsicherung, Arbeit und Bildung sind geblieben, aber durch die Zuwanderung Geflüchteter sind neue Herausforderungen für die Beratungsstellen hinzugekommen. Besonders Wohnen und Gesundheit sind große Themen, die sich in den letzten Jahren zugespitzt haben. Diskriminierung und Rassismus werden auch immer öfter angesprochen. Die Problemlagen sind komplexer geworden.
Caritas: Wie hat sich Ihre Beratungsarbeit verändert?
Calogera von Auw: Wir haben immer weniger Zeit für die Menschen. Offene Sprechstunden sind kaum noch möglich, weil das Personal fehlt. Die Antragsverfahren sind komplizierter geworden und wir müssen immer mehr wissen, um Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen zu beraten. Stellen Sie sich eine Beratung für eine fünfköpfige Familie vor? Das dauert mehrere Stunden - von der Anmeldung des Neugeborenen, über die Schulplatzsuche bis hin zu Anträgen oder Hilfe bei Bewerbungsunterlagen. Und dann der Bürokratie-Dschungel.
Caritas: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Migrationsberatung?
Calogera von Auw: Grundsätzlich muss ich sagen, dass wir den Blick für alle Menschen in Deutschland schärfen sollten, die Unterstützung brauchen. Mittlerweile stehen auch andere Menschen bei uns vor der Tür, die mit den Institutionen und der Bürokratie überfordert sind. Besonders die Fachberatung muss auf verlässliche und stabile Füße gestellt werden. Das Bundesprogramm Migrationsberatung ist zu eng gefasst und die Ressourcen sind nicht gut verteilt. Vielleicht könnte anhand der Einwohnerzahl ein besser Aufteilungsschlüssel der MBE-Stellen bedacht werden. Die Länder und die Kommunen sollten das Programm MBE ergänzen. Das ist in Hessen zumindest noch nicht der Fall. Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich, dass die Integrationsarbeit langfristig und gesamtgesellschaftlich gedacht werden muss. Es wird immer nur auf den Spracherwerb geschaut. Warum nicht auf die generelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben? Wir brauchen in der MBE Planungssicherheit. Gerade, weil unsere Gesellschaft vielfältig ist und Migration Normalität.
Caritas: Vielen Dank für das Gespräch.