Dem anderen „keinen einschenken“, Kollegen nicht beschämen, sondern wertschätzen – um das im Arbeitsalltag zu üben, hat Stefanie Kreutz vom Caritas-Altenzentrum St. Bonifatius ein Projekt für den ganzen Caritasverband auf den Weg gebracht.
"Scham ist wie ein Gefäß, das irgendwann überläuft. Sich zu schämen ist eine schlimme Erfahrung, und jemanden zu beschämen, kann sehr verletzend sein." Um Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken, bietet Stefanie Kreutz, Bereichsleitung des Sozialdienstes der Wachkoma-Station St. Anastasia im Caritas-Altenzentrum St. Bonifatius in Limburgerhof, eine Workshop-Reihe für Mitarbeiter-/Innen der CBS Caritas Betriebsträgergesellschaft Speyer an.
"MenSch! - Menschenwürde und Scham: von der Praxis für die Praxis" ist der Name des Projektes von Stefanie Kreutz. Sie ist Teilnehmerin an einem Programm zur Entwicklung von Führungskräften des Caritasverbandes Speyer und "MenSch" ist ihre Abschlussarbeit. "Ich habe vor einiger Zeit selbst einen Workshop zum Thema, Scham‘ besucht. Dabei hat es bei mir mehrfach, klick‘ gemacht, und das hat mich noch Tage danach beschäftigt", erzählt Stefanie Kreutz. "Ich habe selbst vier Kinder und bin Pädagogin. Ich hab eigentlich immer gedacht, ich wüsste, wie wertschätzender Umgang ginge." Es gehe schon los mit Sätzen wie, Jetzt schmatz doch nicht so, das ist eklig‘. "Man kann das auch anders sagen: Bitte mach den Mund zu beim Kauen. Jemanden schlecht bewerten, heißt, ihn beschämen", beschreibt sie.
Das Bild des Gefäßes ziehe sich wie ein roter Faden durch die Workshops. "Das ist ein Bild, das man gut versteht. Das Leben füllt uns ja jeden Tag an, wie ein Glas eben oder einen Becher. Man könnte auch sagen, das Leben schenkt uns etwas ein." Stefanie Kreutz verweist auf das geflügelte Wort "Jemandem ordentlich einen einschenken", das ja negativ gemeint sei. "Wir gehen manchmal sehr gemein miteinander um. In der Familie und auf der Arbeit. Erst wenn uns das bewusst ist, können wir es verändern."
Das Projekt ist Teil der Präventionsarbeit des Caritasverbandes. "Prävention beginnt beim achtsamen Umgang miteinander - und dann natürlich beim achtsamen Umgang mit unseren Kunden", erklärt Stefanie Kreutz. Im Leitbild von CBS und Caritasverband ist definiert, wie Mitarbeiter miteinander umgehen wollen, aber konkret werde das erst bei diesen Fragen: "Wie verhalte ich mich wertschätzend? Wo verletze ich Schamgrenzen? Und da geht es zunächst noch gar nicht um sexuelle Grenzüberschreitungen oder Gewalt." Schamerfahrungen habe jeder. "Durch eine Prüfung gefallen, etwas kaputt gemacht, einen Fehler gemacht, eine gesellschaftliche Regel gebrochen - das sind alles Erfahrungen, die mit Scham behaftet sind. Sie beschädigen das Selbstwertgefühl." Dennoch sei es sehr schwer, das auszusprechen. "Wer sagt schon heute noch, ‚Ich schäme mich‘?"
Jeder Mensch habe vier Grundbedürfnisse: Schutz, Zugehörigkeit, Anerkennung und Integrität. "Jeder hat das aber im Laufe seiner Biographie anders erlebt. Man kann sich als Erwachsener meist noch gut an Momente erinnern, in denen man sich als Kind geschämt hat, an das heiße Gefühl im Bauch und die brennende Demütigung." Niemand wolle bloßgestellt werden. "Aber was bedeutet das heute für mich? Und welchen Einfluss hat es auf meinen Umgang mit Kollegen und Kunden? Das ist ein Thema unseres Workshops", erzählt die Pädagogin.
Der Pilot-Workshop im Dezember hat die 20 Teilnehmer/Innen nachhaltig beeindruckt. "Die Resonanz war sehr positiv und wir haben im Arbeitsalltag hinterher wirklich gemerkt, es war wie ein Reset-Knopf, alles auf Anfang. Das Thema öffnet zwischenmenschliche Türen. Das finde ich sehr ermutigend."
Der Projektplan ist ambitioniert. Es sollen acht Workshops mit je 20 Teilnehmer/Innen folgen. Dazu schult Stefanie Kreutz mit ihrer Projektgruppe zunächst die sieben Vertrauenspersonen des Caritasverbandes und der CBS. Diese moderieren dann die Workshops. Bis Ende Juli 2017 sollen in acht Einrichtungen die Workshops mit insgesamt 120 Teilnehmer/Innen stattgefunden haben.
"Es gibt ein schönes Zitat von Anselm Grün: "Erst wenn ich meinen persönlichen Wert kenne, kann ich andere Menschen wertschätzen‘", sagt Stefanie Kreutz. "Wenn wir in allen unseren rund 40 Einrichtungen zu einer durchgängigen Kultur der Wertschätzung kommen könnten, in der wir Mitarbeiter untereinander und im Umgang mit unseren Kunden niemandem mehr, einen einschenken‘, leben wir eine Kultur, die in unserem Leitbild begründet ist und unserer Idee von Menschlichkeit entspricht."
Text und Foto: Caritasverband für die Diözese Speyer