Johannes Technau, Geschäftsführer BuuRtzorg Deutschland, berichtete auf dem Fachtag der Caritas von den Bemühungen, das holländische Modell zu übertragen. Harald Westbeld/Caritas Münster
Münster (cpm). Die ambulante Pflege braucht dringend neue Ideen. Für immer mehr pflegebedürftige Menschen gibt es nicht genügend Fachkräfte, die Kosten und damit die Beiträge steigen, die Digitalisierung ergreift auch den Dienst am Menschen. Neue Erfordernisse sind für die Pflege an sich nichts Neues. Aber wie "nie zuvor treffen so viele Entwicklungen gleichzeitig aufeinander." Die Dramatik der Situation beschrieb der Leitende Ministerialrat im Landesgesundheitsministerium Andreas Burkert am Dienstag auf der Fachtagung "Gute Pflege" des Diözesancaritasverbandes Münster. Mögliche Lösungen wurden mit am holländischen Vorbild "BuuRtzorg" orientierten Projekten vorgestellt.
Allerdings wurde dabei deutlich, dass sich die ambulante Pflege in Deutschland in anderen Rahmenbedingungen bewegt. Soweit die Notwendigkeit offensichtlich werde, sie zu ändern, forderte Burkert die Teilnehmer dazu auf, sich für eine Anpassung des rechtlichen Rahmens einzusetzen. Allerdings sind nicht alle Regelungen in Deutschland nachteilig. An manchen sollte nach Ansicht von Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann durchaus festgehalten werden. Tarifverträge für die Pflegemitarbeiter und die Mitbestimmungsmöglichkeiten über die Mitarbeitervertretungen böten einen sicheren Rahmen. Die Qualitätskontrolle durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen sei im Detail zwar vielleicht nicht optimal, aber habe auch ihre Berechtigung.
In Holland war vor gut zehn Jahren die Unzufriedenheit mit dem Pflegesystem Auslöser einer Entwicklung, die nicht nur die damals gegründete BuuRtzorg zum größten Anbieter mit rund 1.000 Teams und 10.000 Mitarbeitern habe wachsen lassen. Inzwischen arbeiteten alle Pflegedienste im Nachbarland nach dem neuen Prinzip, erläuterte Johannes Technau, Geschäftsführer von BuuRtzorg Deutschland. Technau versucht seit 2016 das holländische Modell mit fünf Teams ins Münsterland zu übertragen. Grundidee von BuuRtzorg ist, dass die Pflegemitarbeiter sich in kleinen Teams selbstständig organisieren. Darüber kümmert sich nur eine sehr kleine Verwaltung um Abrechnung, Schulung und Vermittlung in Konflikten.
Pflege muss für die Mitarbeiter wieder attraktiv werden, forderte Technau. Das allein könne den Fachkräftemangel zwar nicht lösen, aber dabei helfen. Dazu gehöre, den Mitarbeitern das Vertrauen in ihre Professionalität zurückzugeben, die Teams eigenständig planen und entscheiden zu lassen und sie dazu zu ermuntern, kreative Ideen zu entwickeln, wie sie ihren Patienten mehr Eigenständigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen können.
Andreas Klein versucht es ähnlich mit der Care Team GmbH in Düsseldorf und stellte die durchaus provozierend gemeinte These auf: "Wir werden in zehn Jahren den Pflegenotstand überwunden haben". Sowohl Technau wie auch Klein machten aber keinen Hehl daraus, dass das holländische Modell nicht so einfach übertragen werden kann. Im Nachbarland, so Technau, gebe es keinen Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Auch brauche der Pflegedienst nicht eine genaue Verordnung eines Arztes. Die Pflegemitarbeiter entschieden selbst beim Patienten, was dieser an Unterstützung benötige und das werde abgerechnet. Offensichtlich ein Grad an Eigenständigkeit, das zu den autonomen Teams von BuuRtzorg passt, denn es sei gelungen, 30 Prozent Kosten einzusparen. Notwendige Voraussetzung ist aus Sicht von Andreas Klein, sich von der in Deutschland vorherrschenden Misstrauenskultur zu verabschieden: "Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem Fehler als ein Gewinn für alle angesehen werden". Sonst würden keine Entscheidungen getroffen.
Wie groß die Umbauaufgabe werden könnte, hatte Andreas Burkert skizziert. 2.300 Pflegedienste gibt es derzeit in NRW. Beschäftigen müssen sie sich heute und in naher Zukunft zudem mit der Digitalisierung, die zunächst Arbeit machen werde, aber dann auch entlastend wirken könnte, wie Dr. Gesa Linnemann erklärte. Die Junior-Professorin an der Fachhochschule Münster ist mit halber Stelle im Diözesancaritasverband mit der Digitalisierung in der Pflege betraut. Sie zeigte die Vielfalt und die Chancen auf. Allerdings seien 86 Prozent der angedachten Anwendungen noch in der Forschung, und nur zwölf Prozent ständen schon zur Verfügung.
Für Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann gilt es deshalb, sich heute in die Gestaltung der digitalen Systeme einzumischen, statt sich davon überrollen zu lassen. Denn neben den Chancen gebe es auch Risiken.
066-2019 (hgw) 20. September 2019