Langjähriger Caritas-Flüchtlingsberater Aziz Amno geht in Rente - Caritasdirektor: Eine Zeitzeuge, der uns hilft, wach, achtsam und feinfühlig für Menschen zu bleiben
(Ein Porträt)
Augsburg, 29.07.2020 (pca). Am Mittwochabend, 29. Juli 2020, endet für Aziz Amno (64) seine Arbeitszeit als Flüchtlings- und Migrationsberater beim Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V. Für den Diözesan-Caritasverband ist dieser Tag weit mehr als nur der letzte Arbeitstag eines Mitarbeiters vor dessen Rente. "Uns verlässt eine Persönlichkeit, die wie kaum ein anderer am eigenen Leib erlebt hat, was der Verlust von Heimat, Vertreibung aus religiösen Gründen und der schwierige Beginn als Gastarbeiter im Deutschland der 1970er Jahr bedeutet. Uns verlässt ein Mitarbeiter, der uns als Assyrer immer wieder daran erinnerte, was es für Menschen bedeutet, aus nationalistischen und religiösen Gründen benachteiligt, verfolgt und vertrieben zu werden." So Diözesan-Caritasdirektor Domkapitular Dr. Andreas Magg. "Es sind diese Zeitzeugen, die uns helfen, wach, achtsam und feinfühlig gegenüber Menschen zu bleiben, die einen ganz anderen nationalen, religiösen und sozialen Hintergrund haben als wir."
Amno hat am 1. Juni 1988 bei der Caritas in Augsburg als Sozialarbeiter für Arbeitnehmer aus der
Ein Abschiedsfoto sollte für Aziz Amno das zeigen, was ihn prägte. So steht er vor einem Bild seines Heimatortes Enhil (li.) und dem Kreuz als Zeichen seines syrisch-orthodoxen Glaubens, in dem er fest verwurzelt ist. Bernhard Gattner
Türkei und dann als Flüchtlings- und Migrationsberater begonnen. Nichts in seinem Leben davor hatte je darauf hingewiesen, dass er eines Tages in der Schwabenmetropole für den katholischen Wohlfahrtsverband arbeiten würde. Am 23. Dezember 1955 kam er in Enhil, einem kleinen Dort im Südosten der Türkei auf die Welt. In seinem Büro hängt ein Foto von dem Dorf. Es scheint es an eine gute Zeit erinnern zu wollen, als alles noch geordnet und friedlich war. Doch die Geschichte, die hinter Amnos Geschichte sich verbirgt, ist alles andere als gut. Sie ist blutig, von Trauer erfüllt, von Angst beherrscht. Sie erzählt von geraubten Hoffnungen. Und das nur, weil Amno wie auch seine Eltern und Vorfahren syrisch-orthodoxe Christen waren bzw. sind.
Es ist gut 100 Jahre her (1915), dass seine Großmutter als 13-jähriges Mädchen aus Hapsis von einer Räuberbande entführt und an einen muslimischen Kurden verkauft und mit ihm zwangsverheiratet wurde. Und noch heute kommen Amno die Tränen, wenn er über ihr Schicksal erzählt. Nach der Zwangsverheiratung sei sie geflohen. Sie heiratete dann einen Assyrer. Doch er wurde bald danach von Türken erschlagen und vom Militär ermordet. Sie versuchte noch einmal ihr Glück und heiratete erneut. Sieben Kinder schenkte sie das Leben. Doch das Glück hielt nicht an. Auch ihr dritter Mann wurde von der türkischen Armee erschossen. Amno weiß, wie sehr er ihr sein Leben verdankt. Er bewundert seine Großmutter. "Sie hat es geschafft, mit Brotbacken ihre Familie am Leben zu erhalten."
"Die Geschichte der Christen in der Türkei ist dramatisch", sagt Amno. Allein sein Name erzählt davon. Denn offiziell heißt er so erst seit kurzem. Zuvor kannte man ihn unter dem Namen Aktas (wobei das s wie sch ausgesprochen wurde). 1934 ersetzte die damalige türkische Regierung alle assyrisch-christlichen Namen durch türkische. "Aktas" wurde seiner Familie gegeben. Als er schon in der Bundesrepublik Deutschland lebte, konnte er den Namen nicht abgeben. "Deutschland gab lange nicht die Erlaubnis dazu."
Als Bub ging er also in eine türkische Schule. Fünf Jahre lang. Da syrisch-orthodoxe Christen fortführende Schulen nicht besuchen durften, ging er ab dem 14. Lebensjahr in die Internatsschule des syrisch-orthodoxen Klosters Dayrulzafan nahe Mardin. Für ihn begannen harte dreieinhalb Jahre. Nur einmal im Jahr durfte er für zwei bis der Wochen nach Hause. "Wie sehr vermisste ich mein Elternhaus und meine Geschwister", gesteht er ein.
Nach den Internatsjahren arbeitete er für ein Jahr als Sekretär des damaligen Bischofs von Midyat. Von einem Religionslehrer, dem er im Unterricht zur Seite stand, lernte er etwas Englisch. "Dann wollte ich nach Australien gehen. Eine Zukunft gab es in meiner Heimat für mich nicht." Doch er scheiterte. Seine Verlobte, ebenfalls eine syrisch-orthodoxe Assyrerin, hatte aber mehr Erfolg. Sie konnte als Gastarbeiterin nach Deutschland gehen. Anlass war das Gastarbeiterabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit der Türkei aus dem Jahr 1971. 1974 schließlich ging Aziz Amno (damals Aktas) als frisch verheirateter Ehemann nach Deutschland.
Er war froh und "frei", als sein Leben in Bergen-Belsen in Niedersachsen auf deutschen Boden begann. "Hier herrschte die Demokratie. In der Türkei haben bis heute wir Christen keine Chance sich politisch einzubringen. In Deutschland aber galten und gelten die Menschenrechte. Für unsere Kinder sollte das eine Selbstverständlichkeit werden, was uns in der Heimat bis heute verwehrt ist."
"Doch ohne Probleme geht es nicht", sagt Amno. 1974 war die Ölkrise. Zwei Jahre lang erhielt er deshalb keine Arbeitserlaubnis. Dann erhielt er in Soltau ein Angebot als Torfstecher "bei Kälte, Nässe, Schnee und Matsch" arbeiten zu können. Sechs Monate blieb er dort. In Bergen-Belsen folgten Jobs in einer Sägefabrik, dann in einer Fensterfabrik. Als sein Schwiegervater starb, der in Augsburg gelebt hatte, zog er mit seiner Frau und seiner Familie 1979 nach Augsburg. Hier arbeitete er als nicht gelernte Fachkraft wie schon zuvor in Bergen-Belsen für verschiedene Firmen. 1984 endlich erhielt er eine Festanstellung beim Mesopotamien-Verein als Lehrer für Religion und die aramäische Sprache. So kam er ein Stück weit wieder "nach Hause". Noch heute wirkt er bei diesem Verein ehrenamtlich mit.
Als er 1988 als Sozialarbeiter beim Caritasverband für die Diözese Augsburg und dort die Beratung für assyrische Christen und Arbeitnehmer aus der Türkei übernehmen konnte, fand er seine Bestimmung. Bei der Caritas konnte er seine vielfältigen Erfahrungen weitergeben, was Flüchtlinge und Auswanderer beachten und tun müssen, um in Deutschland Fuß fassen zu können.
Amno ist Christ. Für ihn war deshalb die Arbeit bei der Caritas nie nur ein Job, bei dem er Geld verdienen und den Unterhalt für seine Familie gewährleisten kann. "Mit meiner Arbeit, meinen Erfahrungen und meinem Wissen wollte und konnte ich hier Menschen dienen und zur Seite stehen", sagt er. Seine Arbeit und seine Art und Weise, Probleme anzusprechen und zu Lösungen beizutragen, fanden Anklang. "Da war niemand, der sich in all den Jahren über mich beschwert hätte", freut er sich. Er erhielt viele positive Rückmeldungen und erfuhr Dankbarkeit. "Das hat mich immer wieder in meiner Arbeit bestärkt."
Jeden Arbeitstag widmete er sich sechs bis acht Frauen und Männern, die einen Termin bei ihm im Büro bei der Caritas hatten. Mit dem Flüchtlingsstrom in 2015 wurden es mehr. Zehn, manchmal 15 oder sogar 20 Frauen und Männer suchten an einem Tag seinen Rat. Fast 1000 Personen beriet er in jedem der letzten Jahre. Darunter waren Syrer, Assyrer, Kurden, Türken, Araber, Beduinen, arabisch sprechende Afrikaner, aber auch Rumänen und Bulgarier, die Türkisch sprachen.
Seine Wurzeln in der Südosttürkei und seine nationale Herkunft gepaart mit seinem Sprachentalent machten ihn zu dem Ansprechpartner für Angehörige dieser Volksgruppen. Amno spricht assyrisch, aramäisch, arabisch, türkisch und kurdisch. Dabei, und darauf legt Amno großen Wert, "habe ich nie einen Unterschied gemacht, ob jemand Christ oder Muslim ist". Er war stets von dem Ziel und Auftrag der christlichen Caritas geleitet, Menschen in Not zu helfen, egal ob sie Probleme mit der Krankenversicherung, dem Jobcenter oder den Behörden haben oder ob sie traumatisiert, psychisch oder körperlich schwer erkrankt sind. Er hat sehr vielen Menschen aus ihrer Not, ihrer Armut, ihrer Unbeholfenheit und ihrem Alleinsein geholfen. Viele von ihnen werden ihn als Berater vermissen. "Ich meine, mein Bestes gegeben und vielen geholfen zu haben", sagt Amno im Rückblick. "So kann ich Gott sei Dank zufrieden in die Rente gehen."
Die Heimat, Enhil, der Südosten der Türkei, die er vor vielen Jahren verließ, hat ihn aber nicht verlassen. "Dort liegen meine Wurzeln." Nun hat er vor, mit seiner Ehefrau für drei bis vier Monate im Jahr wieder dorthin zurückzukehren. Seine sechs erwachsenen Kinder freuen sich für sie. Die Heimat ist zwar nicht mehr dieselbe wie 1974, als er fortging. Einst lebten dort 250 syrisch-orthodoxe Familien, heute sind es nur noch drei. "Aber", so Amno, "Heimat bleibt Heimat, dort liegen unsere Kirchen und Klöster, unsere Felder, unsere Weinberge, unser Zuhause". Der Caritasverband für die Diözese Augsburg wird diesen Brückenbauer über die Kulturen, Religionen, aber über die nationalen Verletzungen und Verwundungen hinweg vermissen.