Zusammen sind wir Heimat
Die Caritas setzt sich ein für eine offene Gesellschaft, in der sich Menschen einander Heimat geben. Deutscher Caritasverband/Harald Oppitz
Heimat ist ein typisch deutsches Wort. Es ist schön und schwierig zugleich. Wenn von Heimat gesprochen wird, geht es nicht nur um Orte, Regionen oder ein Land, es geht immer auch um Gefühle, um Sehnsüchte, um das ganz Persönliche. Heimat kann vieles sein und jeder Mensch verbindet damit seine ganz individuelle Erfahrung.
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„Zusammen sind wir Heimat"
Wie wertvoll Heimat ist, spürt man dann besonders schmerzlich, wenn man sie verloren hat. Diese Erfahrung haben viele Menschen am Ende des Zweiten Weltkrieges machen müssen. Sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben, mussten Land, Haus oder Hof hinter sich lassen und ganz von vorne beginnen. Viele Menschen der älteren Generation können sich noch gut daran erinnern: an die Flucht mit den Eltern und an all den damit verbundenen Schrecken.
Diese Erfahrung bringen auch die Schutzsuchenden mit, die in jüngster Vergangenheit nach Deutschland gekommen sind. Diese Frauen, Männer und Kinder sind vor Krieg und Vertreibung geflohen, vor Bomben, Hunger und Hoffnungslosigkeit. Für sie gab es nur einen Weg, um zu überleben: mit wenigen Habseligkeiten das Land zu verlassen, in dem sie und ihre Kinder geboren wurden.
Es geht um Menschen, die alles verloren haben
In dem Film „Flucht nach vorn" beschreibt Mohamad Fahham, wie schwer ihm die Entscheidung gefallen ist, Syrien zu verlassen und mit seiner Familie zu fliehen. Heute lebt er mit seiner Frau Oula und den Töchtern Luna und Joud in Pulheim. Er ist froh und dankbar, dass er in Deutschland eine Zuflucht gefunden hat und hier in Frieden leben kann. Gern wäre er in seinem Heimatland geblieben, doch der syrische Bürgerkrieg ließ ihm keine Wahl: Seine Kinder hätten dort keine Zukunft in Sicherheit gehabt.
Das Schicksal der Familie Fahham steht exemplarisch für die Situation vieler Menschen, die geflohen sind. Weltweit waren 2015 rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl, die jemals vom Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR verzeichnet wurde. Nach Europa flohen rund 6,7 Millionen Menschen. Mehr als eine Million Menschen kamen 2015 nach Deutschland. In diesem Jahr wurden beim Bundesamt für Migration (BAMF) insgesamt 476.649 Asylanträge gestellt.
Doch es geht um mehr als um Zahlen. Es geht um die größte gesellschaftliche Herausforderung, die Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bewältigen muss. Es geht um Menschen, die alles verloren haben: ihre Heimat, ihre Familie und Freunde, ihre Arbeit, ihren Besitz, das vertraute Leben. Und es geht um die einheimische Bevölkerung, die vor der großen Aufgabe steht, Menschen aus einer anderen Kultur, mit einer anderen Religion und einer anderen Sprache dabei zu unterstützen, eine neue Heimat zu finden. Das bedeutet, die eigene Heimat, die eigene Kultur, die eigene Sprache für den anderen zu öffnen, sie mit den zugewanderten Menschen zu teilen.
Bilder deutscher Hilfsbereitschaft gehen um die Welt
Hilfe tut Not beim Erlernen der deutschen Sprache. Junge Flüchtlinge können hier jede Unterstützung gebrauchen. Deutscher Caritasverband/Harald Oppitz
Das ist keine leichte Aufgabe. Diese Situation fordert von allen Beteiligten viel. Sie ist Herausforderung und Chance zugleich. Gelingen kann es nur, wenn sich alle bewusst sind, dass jeder seinen Teil dazu beitragen kann und muss. Hier setzt die Kampagne der Caritas an und will deutlich machen: Zusammen sind wir Heimat. Nur wenn alle Verantwortung übernehmen, wenn jeder und jede den eigenen Anteil übernimmt, gelingt das Zusammenleben, gelingt es, dass unsere Heimat eine neue Heimat für Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Eritrea werden kann.
Im Sommer 2015 überrascht Deutschland die Welt und vielleicht auch sich selbst. Über die deutsche Grenze kommen Tausende Flüchtlinge ins Land und die Bevölkerung steht am Hauptbahnhof in München und begrüßt lächelnd die erschöpften Menschen. Überall im Land engagieren sich täglich Tausende Ehrenamtliche und Freiwillige: Sie verteilen Brote und kochen Tee; sie geben Kleidung, Decken und Spielsachen aus; sie versorgen Wunden, beantworten Fragen und überwinden Sprachbarrieren. Turnhallen werden zu Schlafsälen, Zelte werden aufgebaut, mancher räumt gar ein Zimmer in seiner Wohnung und bietet Flüchtlingen ein Zuhause. Die Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung scheint kein Ende zu nehmen. Die Bilder deutscher Hilfsbereitschaft gehen um die Welt. Der Begriff der „Willkommenskultur" wird geprägt.
„Willkommenskultur” als Angriffsfläche für Rechtspopulisten
Der Euphorie folgt die Ernüchterung. Sie zeigt sich in der Erschöpfung der Helferinnen und Helfer, die monatelang neben Arbeit und Familie Zeit und Kraft für die Schutzsuchenden aufgebracht haben. Sie zeigt sich auch in den Demonstrationen von Menschen, die – häufig in Regionen, wo nur wenige Schutzsuchende leben – auf die Straße gehen, um sich gegen Zuwanderer und Migranten in Deutschland auszusprechen. Die spürbare Verunsicherung und die Ängste haben in Teilen der Bevölkerung nach sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015 in Köln und schrecklichen Attentaten in Frankreich und in Deutschland im Sommer 2016 noch zugenommen.
Eine Studie vom Juli 2016 belegt, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung verändert (www.stiftung-mercator.de/zugleich). Die Zustimmung zu einer Willkommenskultur sinkt. Sprechen sich 2013/2014 noch 39,5 Prozent für eine Willkommenskultur und ein damit verbundenes offenes Heimatkonzept aus, sind dies bei der Befragung 2015/2016 nur noch 32,3 Prozent. Die Verfasser der Studie stellen fest: "Mit der erstarkten Aufnahme von Geflüchteten bildete sich mit der Willkommenskultur nicht nur ein einendes Schlüsselkonzept der Zivilgesellschaft heraus, sondern wurde zugleich zu einer Hauptangriffsfläche für rechtspopulistische und -extremistische Gruppierungen. ‚Refugees Welcome‘ wurde zu einem Slogan, der den einen Bevölkerungsanteil in ihrer Hilfsbereitschaft und Solidarität zusammenschweißte, und den anderen mit ‚Refugees not welcome‘ Blockaden an den Unterkünften skandieren ließ."
Jetzt gilt es, das große und beeindruckende Engagement der Zivilgesellschaft zu bewahren und zu stärken. Gleichzeitig müssen Strategien entwickelt werden, die helfen, bestehende Sorgen und Ängste in der Bevölkerung abzubauen. Entschieden und konsequent muss zudem allen ausländerfeindlichen und extremistischen Parolen entgegengetreten werden.
Begegnung schafft Heimat
Heimat ist, wo die beste Freundin ist: www.zusammen-heimat.deDeutscher Caritasverband/ Foto: Monika Höfler
Die Caritas-Kampagne will dazu beitragen, den Blick auf die Möglichkeiten und die Chancen zu lenken, die in einer offenen Gesellschaft und in einem gelingenden Miteinander liegen. Dabei soll die Wirklichkeit nicht mit einem Weichzeichner bearbeitet werden. Die Kampagne zeigt Ausschnitte der Wirklichkeit. Die Plakatmotive laden zum Blick in verschiedene Räume ein, wie sie überall in Deutschland zu finden sind: Der Betrachter sieht die Wand eines Wohnzimmers, die bunte Wand eines Mädchenzimmers, ein Arbeitszimmer, und er blickt auf die Wand in einem Sportverein.
Die Fotografien an diesen Wänden zeigen das Verbindende: Freude am Sport; Konzentration bei der Arbeit; gemeinsames Lachen und Freundschaft zwischen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Nationalität. Einheimische und Zugewanderte begegnen sich mit ihren Fähigkeiten, ihren Kompetenzen und ihrer Bereitschaft, voneinander zu erzählen, Wissen und Kenntnisse zu teilen. Auch das macht Heimat aus: Freundschaft, Arbeit, Sport, gemeinsame Erlebnisse.
2017 ist das Jahr der Bundestagswahl. Integration wird wahrscheinlich ein Thema im Wahlkampf sein. Gelingende Integration verlangt von den Einheimischen und den Zugewanderten einen langen Atem, eine hohe Frustrationstoleranz und die unbedingte Bereitschaft aller, ihren Anteil beizutragen. Es ist zu befürchten, dass einzelne Parteien versuchen werden, die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Hier sind wir als Caritas herausgefordert, dagegenzuhalten. Wir werden mit unseren sozialpolitischen Positionen deutlich machen, welche Bedingungen für gelingende Integration unerlässlich sind. Und dass wir uns gegen jede Form von Rassismus und Rechtspopulismus stellen werden.
Jedes Zusammenleben basiert auf Regeln
Eine offene Gesellschaft lebt von der Vielfalt, nicht von der Beliebigkeit. Denn das Miteinander vieler und das Ausbalancieren von Unterschieden braucht Regeln. Diese Regeln bilden den Rahmen, in dem Unterschiedlichkeit gelebt und das jeweilige Gegenüber respektiert und akzeptiert werden muss. Jedes Zusammenleben basiert auf Regeln, auf die sich alle – Einheimische und Zugewanderte – einigen müssen. Einige Regeln sind dabei nicht verhandelbar wie beispielsweise die Presse- und Meinungsfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder die Freiheit der Religionsausübung.
Heimat wird nicht bewahrt oder geschützt, indem man Grenzen zieht. Heimat kann mehr werden, wenn man sie teilt. Die Menschen, die zu uns kommen, haben ihre Heimat verloren. Sie sind auf der Suche nach einer neuen Heimat, viele von ihnen mit der Hoffnung und der Sehnsucht im Herzen, eines Tages (vielleicht) in die alte Heimat zurückkehren zu können.
Jetzt gilt es, dass wir, die Einheimischen, all das, was wir im guten Sinn unter Heimat verstehen, mit denen teilen, die alles verloren haben. Dass wir unsere Feste und Bräuche zeigen, unsere Sprache und unsere Kultur, unseren Glauben und unsere Demokratie offen und einladend leben. Und dass die Zuwanderer die Chance bekommen, Teil dieser Gesellschaft zu werden, ohne das Eigene aufgeben zu müssen. Aus dieser Vielfalt kann Neues entstehen, eine neue Heimat werden. Denn: Zusammen sind wir Heimat.
Der Artikel erschien im neue caritas-Jahrbuch 2017.
Die Kampagnenwebsite finden Sie hier www.zusammen-heimat.de
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