Familienarbeitszeit
Ausgangspunkt
2013 hat die SPD in ihrem Wahlprogramm ein Arbeitszeitmodell vorgeschlagen, das es auch Eltern mit kleinen Einkommen ermöglichen soll, ihre Wochenarbeitszeit partnerschaftlich zu reduzieren. In den Koalitionsvertrag hat das Modell keinen Eingang gefunden. Trotzdem wird die Idee einer "Familienarbeitszeit" seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode in den öffentlichen Medien breit rezipiert. Der Deutsche Caritasverband e.V. (DCV) hat sich in einem Workshop am 22.10.2013 an der Diskussion beteiligt und Vorschläge in die weitere konzeptionelle Entwicklung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) eingebracht. Am 17.3.2014 veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit dem DCV und dem Zukunftsforum Familie (ZFF) ein Fachgespräch zur Weiterentwicklung des Konzepts zur Familienarbeitszeit.
Die Grundidee des Familienarbeitszeitmodells ist es, ehe- und familienbezogenen Leistungen wie Ehegattensplitting und Betreuungsgeld, welche positive Anreize für eine asymmetrische Verteilung von Erwerbs- und Familienzeit setzen, einen Anreiz an die Seite zu stellen, der die partnerschaftliche (im Sinne von symmetrische) Verteilung von Erwerbs- und Hausarbeit fördert. So soll es laut Modell nach dem Elterngeldbezug drei Jahre lang eine Subvention geben, wenn beide Eltern ihre Arbeitszeiten angleichen (bei Alleinerziehenden sind partnerunabhängig 80 Prozent die Richtschnur). Dies soll einen Anreiz dafür setzen, dass Männer kürzer arbeiten und sich stärker in der Familienarbeit engagieren. Gleichzeitig soll die vollzeitnahe Erwerbsarbeit das derzeit für Frauen/Mütter/Alleinerziehende erhöhte Armutsrisiko abfedern.
Die Subvention ist als Lohnersatzleistung gedacht. Unabhängig von der vorherigen Arbeitszeit bzw. vom Verdienst vor der Geburt sollen beide Partner(innen) oder die/der Alleinerziehende 32 Stunden (bzw. 80 Prozent) pro Woche arbeiten. Pro Kind sollen insgesamt drei Jahre lang Subventionen fließen, nach Einkommen gestaffelt. Hierfür rechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verschiedene mögliche Varianten aus. Die Lohnersatzleistung betrüge bei mittleren Einkommen 50 Prozent (Variante II: 65 Prozent) des entgangenen Einkommens, es stiege bei sinkenden Einkommen auf 100 Prozent und schmilzt bei höheren Einkommen auf 0 Prozent. Die bereinigten Kosten der neuen Leistung wurden vom DIW auf vorerst 100 Millionen Euro geschätzt.
Bewertung
Da die neue Leistung an die Bedingung geknüpft wäre, dass beide Elternteile in (vollzeitnaher) Teilzeit arbeiten, würde die partnerschaftliche Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit gefördert. Die Frage, wie sich das Modell auf die Zeit auswirkt, die Familien miteinander verbringen, ist allerdings weniger eindeutig zu beantworten. Kinder würden voraussichtlich mehr Zeit extern betreut werden als bei der "traditionellen" Arbeitszeitverteilung, wo die Mutter weniger, der Vater mehr Zeit in den Einkommenserwerb investiert. Das heißt, ganztägige Kinderbetreuung müsste vermehrt angeboten werden, was vor allem Finanzierungsfragen aufwirft.
Unter den verschiedenen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gerechneten Modellvarianten findet sich eines, das Menschen mit geringeren Einkommen stärker fördert und so auch ihnen auskömmliche, partnerschaftlich aufgeteilte Erwerbsarbeit und gleichzeitig Familienzeit ermöglicht. Aus sozialpolitischer Sicht ist dies begrüßenswert. Auch dass die Gesamterwerbsbeteiligung von Eltern voraussichtlich erhöht werden könnte, ist positiv zu sehen. Die Einnahmen bei der Einkommensteuer würden steigen. Die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld II wäre voraussichtlich geringer, der Kinderzuschlag könnte von mehr Familien genutzt werden. Das Armutsrisiko von (auch Alleinerziehenden-) Familien könnte kurz- und langfristig gesenkt werden.
Entspricht das Modell jedoch wirklich den Arbeitszeitwünschen der Mütter und Väter, wie sie in den Studien zutage treten? Der Großteil der Mütter in Deutschland ist in Teilzeit berufstätig. Väter weiten ihre Tätigkeit eher aus. Schon der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung stellte fest, dass Frauen in der Lebensverlaufsperspektive dadurch benachteiligt sind. Dennoch wollen die meisten Mütter im und auch nach dem ersten Elternzeitjahr nicht gleich mit 80 Prozent wiedereinsteigen. Gerade auf dem Land würde dies durch fehlende Ganztagsbetreuung auch gar nicht gehen. Und wie könnte erreicht werden, dass Arbeitgeber(innen) genügend vollzeitnahe Teilzeitplätze zur Verfügung stellen?
Zu erwarten wäre in jedem Fall, dass eine solche Leistung Auswirkungen auf Arbeitszeitnormen und die weitere Erwerbsbiografie von Eltern haben würde. Schließlich ist anzunehmen, dass über den Zeitraum der Förderung hinaus von den Elternpaaren Parität in der Arbeitsaufteilung beibehalten würde, was der Alterssicherung der Frauen und der Wertigkeit von Fürsorge in unserer Gesellschaft zugute käme.
Weiterführende Überlegungen
Der Deutsche Caritasverband e.V. (DCV) hat 2013 in seiner Kampagne "Familie schaffen wir nur gemeinsam" deutlich gemacht, dass Familien in Deutschland verstärkt darin unterstützt werden müssen, Erwerbsarbeit und Familienleben in eine für sie passende Balance zu bringen. Insbesondere doppelt erwerbstätige Eltern erbringen Sorgeleistungen oft an ihrer Leistungsgrenze. Erziehungs-, Bildungs- und Erwerbsanforderungen üben Druck aus. Lange Arbeitszeiten und Schichtdienste führen zu Zeitmangel. Dies kann die Qualität der Erziehung, der Beziehungen und des Familienlebens insgesamt beeinträchtigen. Es erscheint also sinnvoll, wenn Eltern ihre Arbeitszeit zugunsten ihrer Kinder reduzieren. Besser verdienende Eltern tun dies meist sowieso - allerdings nicht auf symmetrische Art und Weise.
Der 8. Familienbericht der Bundesregierung hat die Notwendigkeit einer Umverteilung der Zeitressourcen zwischen den Geschlechtern und im Lebensverlauf konstatiert. Um dies zu ermöglichen und auch damit die Eltern in Phasen mit hohem Zeitbedarf in einer Familie weniger Erwerbsarbeit leisten als in Phasen mit geringerem Bedarf, müssten vom Staat und der Wirtschaft Modelle entwickelt, ausgebaut und vermehrt angeboten werden.
Der große Umfang der von Familien für Pflege und Fürsorge eingebrachten Zeitressourcen braucht ein Äquivalent in der öffentlichen Aufmerksamkeit und Unterstützung. Der DCV steht neuen Arbeitszeitmodellen, die Zeitfenster für familiäre Aufgaben schaffen, somit grundsätzlich positiv gegenüber. Ein wesentliches Ziel ist es dabei für die Caritas, Zeitsouveränität und Teilhabemöglichkeiten insbesondere für Alleinerziehende und Familien mit niedrigem Haushaltseinkommen deutlich zu erhöhen.
Zum Konzept einer Familienarbeitszeit besteht Klärungsbedarf zu folgenden Fragestellungen:
Es ist an der Zeit, den u.a. durch eine steigende Müttererwerbstätigkeit hervorgerufenen Zeitmangel von Familien konkret anzugehen und gleichzeitig die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit unter den Geschlechtern neu zu gestalten. Hierfür gibt es noch kaum Leistungen/Anreize. Zu nennen wären nur die zwei Partnermonate beim Elterngeld und in Zukunft die Partnerschaftsbonusmonate beim Elterngeld Plus. Diese Leistungen sind aber auf einen kurzen Zeitraum beschränkt, und es gibt keine Anschlussinstrument.
Es ist daher richtig, dass neben die aktuell erfolgende Unterstützung asymmetrischer Arbeitsteilungsarrangements (z.B. durch das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung der Partnerin/des Partners) eine Leistung tritt, die eine egalitäre Verteilung der Erwerbsarbeit genauso attraktiv macht. Dies entspricht auch den Wünschen vieler Eltern. Zwar lebt nur ein Prozent der Eltern das Modell "beide arbeiten 80 Prozent" bereits jetzt. Mehr als ein Drittel der Eltern favorisieren aber bei Befragungen die Variante "beide arbeiten um die 30 Stunden und teilen sich Hausarbeit und Kinder" – zumindest auf lange Sicht. Doppelte Vollzeit dagegen wird gerade von Eltern kleiner Kinder als überfordernd wahrgenommen.
Es ist nicht angemessen, mit einer starren Vorgabe/Eingrenzung förderungswürdiger Arbeitszeiten den Eltern ein neues Leitbild absoluter Gleichheit in der Arbeitszeitverteilung vorzugeben. Das Ziel der Wahlfreiheit hat für den DCV Priorität. Der Staat sollte seine Leistungen den Wünschen der Familien anpassen, nicht umgekehrt.
Eine partnerschaftliche Verteilung von Arbeitszeiten liegt auch vor, wenn Mutter/Vater zum Beispiel 70 Prozent/80 Prozent arbeiten. Außerdem werden Arbeits- und Wegezeiten von tariflichen Vereinbarungen, von der Art der Erwerbstätigkeit sowie auch vom Arbeits-/Wohnort beeinflusst. Der durchschnittliche Vater arbeitet weiter vom Wohnort seiner Familie bzw. Kinder entfernt als die durchschnittliche Mutter. Väter haben öfters Jobs mit Reisetätigkeit etc. 80 Prozent sind also nicht gleich 80 Prozent. Aus fiskalischen Gründen wäre es vertretbar, wenn trotzdem nur die Einkommensdifferenz zu einer 80-Prozent-Tätigkeit zur Berechnung der Subvention herangezogen würde.
Für viele Eltern ist eine Familienarbeitszeitregelung erst sinnvoll, wenn das Kind den Kindergarten besucht. Davon kann regelhaft erst ab dem dritten Lebensjahr ausgegangen werden.
Eltern, die zur Betreuung auf einen Teil der Beschäftigung verzichten, haben Opportunitätskosten, Eltern, die zur Betreuung eine Krippe nutzen, zahlen i.d.R. erhebliche Gebühren für die Kindertagesbetreuung. Ein Transfer, der Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen in die Lage versetzt, tatsächlich ihre Erwerbstätigkeit einschränken zu können, muss dies berücksichtigen.
Um zu ermöglichen, dass Elternpaare und Alleinerziehende erwerbstätig sein können, sind auch flankierende Maßnahmen notwendig. Insbesondere die flächendeckende, bedarfsorientierte Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Bildungs- und Betreuungsplätzen für Kinder ist weiter voranzutreiben. Dies gilt ebenfalls für den Ausbau von Ganztagsschulen. Dabei ist allen Kindern in Bildungs- und Betreuungsinstitutionen ein anregungsreiches und an den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen ausgerichtetes Angebot zur Verfügung zu stellen. Für die Eltern ist es notwendig, dass solche Angebote kompatibel sind mit ihren Erwerbsbedingungen und auch atypische Arbeitszeiten und Ferienzeiten abgedeckt werden.
Des Weiteren sind staatliche und örtliche Markteinführungshilfen bei den zeitintensiven personen- und haushaltsnahen Dienstleistungen sinnvoll. Haushalts- und familienunterstützende Dienstleistungen dienen im Sinne einer gelingen Work-Life-Balance der Realisierung von ganzheitlichen Lebensentwürfen für beide Geschlechter zwischen Beruf und Familie und ermöglichen Qualitätszeit im Alltag. Daher sollte ein bezahlbares und legales Angebot Haushaltsnaher Dienstleistungen für die Unterstützung privater Haushalte mit Kindern aufgebaut werden.