Caritas-Präsident Peter Neher eröffnet Caritaskongress 2019
Lesen sie hier die Eröffnungsrede zum 5. Caritaskongress im Berliner Congress Center im Wortlaut:
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
"Wir. Jetzt. Hier. Zusammenhalt" - mit diesem Motto heiße ich Sie sehr herzlich zum fünften Caritaskongress willkommen.
Ich weiß nicht, ob sich die eine oder der andere von Ihnen noch an das Finale der Fußball-Europameisterschaft 2008 erinnert. Im Wiener Ernst-Happel-Stadion verlor die deutsche Nationalmannschaft mit dem damaligen Kapitän Michael Ballack 1:0 gegen eine deutlich bessere spanische Mannschaft. Ziemlich sicher aber wird sich kaum noch jemand an den Song "Wir sind Europa" von Rainhard Fendrich erinnern, den er vor mehr als 10 Jahren anlässlich dieses Fußballfestes geschrieben hat.
"Hier leben wir
Und öffnen die Tür
Einst war’n wir Fremde
Heute fühl’n wir uns verwandt
Wir sind Europa, das Herz dieser Welt
Haben uns grausam in Kriegen gequält
Es stehen gegenüber
Verlierer und Sieger
Sind Hand in Hand
Wie ein einziges Land"
Wie ein einziges Land wirkt der Kontinent im Jahr 2019 wahrlich nicht. Der Brexit ist immer noch ungeklärt und damit die künftigen Regeln für das Miteinander diesseits und jenseits des Ärmelkanals. Aber auch beim Umgang mit der ungarischen Regierung scheiden sich die Geister. "Einst war’n wir Fremde, Heute fühl’n wir uns verwandt" singt Fendrich. Demgegenüber haben in den letzten 10 Jahren die Kräfte zugenommen, die Unterschiede betonen und auf nationale Alleingänge setzen.
"Wir. Jetzt. Hier. Zusammenhalt." bezieht sich auf unsere Gesellschaft in Deutschland. Dieser Titel ist aber auch Anlass, einen Blick nach Europa zu werfen.
So werden wir Ende Mai ein neues Europa-Parlament wählen. Die Prognosen sagen, dass die nationalistischen und antieuropäischen Parteien einen starken Zuwachs verzeichnen werden. Mich beschäftigt die Frage, was dies für einen Kontinent bedeutet, der von seiner Vielfalt lebt. Nicht nur Oppositionsparteien wie in Deutschland, auch Regierungsvertreter wie in Italien oder Polen stellen sich offen gegen das politische Projekt Europa, wie wir es kennen. Sie propagieren angesichts globaler Herausforderungen und der Ängste vieler Bürgerinnen und Bürger nationale Lösungen. Und tatsächlich ist es nicht immer einfach dieses Europa zu verteidigen, in dem Kompromisse mühsam ausgehandelt werden müssen. Aber vielleicht liegt ja darin eine Stärke, die wir viel zu selten sehen und würdigen. So kommentierte der Brüssel-Korrespondent der ARD, Markus Preiß vor kurzem: "Die EU ist langsam, manchmal weltfremd. Wir streiten uns untereinander, schütteln den Kopf über Bürokraten in Brüssel und Autokraten in Budapest. Nur: Die EU räumt täglich Streitpunkte zwischen Nachbarn ab, raspelt sie klein in Regelwerken und manchmal unbefriedigenden Kompromissen. Aber: Sie raspelt sie klein, friedlich und zivilisiert. Das ist ihre große Leistung." Mit vielfältigen Aktionen wirbt die verbandliche Caritas in diesem Jahr für die Europawahl. Europa ist unsere Zukunft. Dafür braucht es aber politische Entscheidungen, die ein soziales Europa voranbringen und den Zusammenhalt stärken.
Der Kongress findet aber nicht nur in einer politisch anstrengenden und herausfordernden Zeit statt. Er findet auch zu einem Zeitpunkt statt, in der unsere Kirche aufgrund von furchtbaren Fällen sexualisierter Gewalt und Missbrauch von Macht bis in den Kern unserer Gemeinden und Verbände hinein jegliche Glaubwürdigkeit verloren hat und sich in einer tiefen Krise befindet.
So haben die Ergebnisse der im letzten Jahr veröffentlichten sog. MHG-Studie nicht nur eine kirchliche Krisensituation, sondern auch Debatten ausgelöst wie sie vor wenigen Jahren undenkbar waren. Die Erfurter Dogmatik-Professorin Julia Knop hat dies in ihrem Referat bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe auf den Punkt gebracht: "Die MHG-Studie hat grauenhafte und widerwärtige Untaten von Klerikern in einem Ausmaß ans Licht gebracht, dass die katholische Kirche in Deutschland jeglichen Kredit verloren hat."
Ohne die Perspektive der Betroffenen zu verlassen ist es meine Hoffnung, dass mit den gegenwärtigen Diskussionen auch die Strukturen und Ursachen in den Blick genommen werden, welche die vielen Fälle sexualisierter Gewalt ermöglicht haben. Dabei geht es um ein Zusammenspiel von institutionellen, personellen und theologischen Fra-gen. Es muss gefragt werden, was eine klerikale Kultur und Macht be-fördert hat und nach wie vor befördert. Es muss aber vor allem darum gerungen werden, wie dies korrigiert werden kann.
Dabei geht es um Debatten im Bereich der katholischen Sexualmoral, einschließlich der Haltung zur Homosexualität und genauso um die Frage, welche Theologie des Amtes wir vertreten. Dazu gehört die Frage der Zulassung auch von Frauen zu den Ämtern und welche Rolle der Zölibat spielt. Unabhängig davon, wie ursächlich sie sind, haben sie mindestens eine Situation begünstigt, die zu vielen Fällen von Machtmissbrauch, sexualisierter Gewalt und Vertuschung geführt haben. Es ist notwendig eine menschengerechte Sexualmoral zu entwickeln, die sich thematisch damit auseinander setzt, wie Beziehungen gelingen können. Hier stehen wir mit unseren Einrichtungen und Diensten mittendrin, wenn ich beispielsweise an die Schwangerenberatung denke. Diese Kolleginnen haben sich den Themen zu stellen und Antworten zu entwickeln - ohne auf den Katechismus zu verweisen, wenn sie ernst genommen werden und hilfreich sein wollen.
Genauso gilt es institutionelle Fragen anzugehen. Als verbandliche Caritas können wir einen Beitrag dazu leisten, wenn es um Erfahrungen mit zeitlich befristeten Leitungsaufgaben und um Transparenz bei Entscheidungen geht. Die Satzungsänderung zu einer verbesserten Geschlechtergerechtigkeit ist ein Ausdruck dafür, wie wir uns inner-halb des Verbandes um ein gerechteres Miteinander von Frauen und Männer bemühen. Wichtige Schritte wurden eingeleitet, auch wenn wir hier selbst nach wie vor einen großen Bedarf haben und uns mit dem Erreichten nicht zufrieden geben können.
Es wird darauf ankommen, diese Debatten offen zu führen. Hans Zollner, Präsident des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom sagt dazu: "In einer Gesellschaft, in der als einer der höchsten Werte die Glaubwürdigkeit gilt, stellt uns die Missbrauchskrise vor entscheidende Fragen: Sind wir bereit, unsere Weise Kirche zu sein, zu überdenken? Solange wir uns dagegen wehren, solange wir das geschehene Unrecht und Unheil verdrängen, solange wir meinen, nach den Skandalen baldmöglichst wieder zur "eigentlichen" pastoralen Arbeit zurückkehren zu können, solange bleibt unser Blick auf uns selbst gerichtet und unsere apostolische Energie und Kreativität blockiert ."
Wenn wir als Caritas mit unserer Kirche in Zukunft noch einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten wollen, dann ist die Zeit der folgenlosen Schuldbekenntnisse vorbei.
Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen haben wir 2018 unsere dreijährige Initiative für den Gesellschaftlichen Zusammenhalt initiiert - und unsere kirchliche Situation kommt dabei mit ins Spiel, ob wir das nun wollen oder nicht. Neben der Aktion zur Europawahl, sind Impulspapiere und weitere Projekte entstanden, wie "Lass mal zusammenHalt machen", über die Sie sich im Rahmen des Kongresses beim Stand der Initiative informieren können. Der Caritaskongress ist bewusst inhaltlich mit der Initiative verknüpft. Denn wer sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen will, darf die Analyse nicht vernachlässigen.
Ich freue mich, dass es gelungen ist, viele kompetente und interessante Persönlichkeiten zu gewinnen, die sich mit den Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts beschäftigen. So werden Sie, Frau Prof. Dr. Allmendinger heute den inhaltlichen Auftakt machen und der Frage nachgehen, was uns in einer vielfältigen Gesellschaft unterscheidet und verbindet. Morgen werden Familienministerin Frau Dr. Franziska Giffey und Herr Staatssekretär Dr. Markus Kerber, in Vertretung von Minister Seehofer, Impulse geben, wie aus ihrer Sicht Zusammenhalt gestärkt werden kann. Auf die anschließende Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher verbandlicher Ebenen bin ich schon jetzt gespannt. Am Freitag wird sich schließlich Frau Prof. Dr. Christiane Woopen als Vorsitzende des Europäischen Ethi-krates mit uns auf Spurensuche begeben und aufzeigen, was Zusam-menhalt im digitalisierten Europa bedeuten kann. Zusätzlich werden Ihnen die Sessions und Tablesessions die Möglichkeit geben, Projekte und Themen gegenseitig vorzustellen und darüber ins Gespräch zu kommen. Spannende Exkursionen erwarten uns ebenfalls. Es freut mich, dass so viele Akteure aus dem Verband wieder bereit waren, hier mitzuwirken.
Ein Highlight des Caritaskongresses ist jedes Mal unser Jahresempfang. Dazu dürfen wir den Bundestagspräsidenten, Herrn Dr. Wolfgang Schäuble und den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, den Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx begrüßen. Aber auch darüber hinaus erwarten wir viele Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik, den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden und anderen gesellschaftlichen Organisationen, so dass sich viele anregende Begegnungen ergeben werden.
Heute Abend wird der Vorsitzende der Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof, Stephan Burger den Eröffnungsgottesdienst mit uns feiern. Zu dieser geistlichen Eröffnung des Kongresses um 19:00 Uhr in der Kirche Corpus Christi lade ich Sie ganz herzlich ein. Da der Gottesdienst dieses Mal aufgrund der mehrjährigen Renovierungsarbeiten der Hedwigs Kathedrale nicht dort stattfinden kann und die Corpus Christi Kirche weiter weg ist, haben wir einen Busshuttle organisiert.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen nun gute Begegnungen und an-regende Diskussionen, viel Freude und über allem Gottes Segen für diesen Kongress.
Für die Moderation des Caritaskongresses konnten wir wieder Frau Miriam Janke gewinnen. Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass es Sie als Moderatorin antreibt, Veranstaltungen zu ermöglichen, die zu Orten der Begegnung und der Horizonterweiterung werden. Dass Ihnen dies immer wieder gelingt, konnten wir bereits vor drei Jahren erleben. Liebe Frau Janke, ich freue mich, dass Sie uns durch die nächsten Tage führen werden und übergebe Ihnen hiermit das Wort.
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