A.
Ausgangslage - Einigung zum Thema Betreuungsgeld
Am
30.4. 2008 hat die Bundesregierung ein Kinderförderungsgesetz (KiföG)
beschlossen, das bis zum Jahresende verkündet wird und die Grundlage bildet für
den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland. Im Jahr 2013 soll für
jedes 3. Kinder unter drei Jahren ein Betreuungsplatz (Tageseinrichtung und
Tagespflege) zur Verfügung stehen. Der Referatsentwurf sieht in § 16 Abs. 4 SGB
VIII vor, "dass ab 2013 für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis
drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine
monatliche Zahlung
(z. B.
Betreuungsgeld) eingeführt werden soll."(1)
B.
Kontroverse Diskussion
Die
kontrovers geführte Debatte in den vergangenen Monaten macht deutlich, dass die
gesellschafts- und sozialpolitische Bedeutung von Elternentscheidung einerseits
und Gewährleistung des Kinderwohls andererseits wirksam und
wichtig war.
Argumente
pro Betreuungsgeld:
Befürworter
des Betreuungsgeldes sehen darin einen Beitrag, Eltern wirkliche Wahlfreiheit
zu ermöglichen und die familiäre Erziehungsarbeit aufzuwerten. Häufig sind vor
allem junge Eltern mit geringem Einkommen, alleinerziehende Eltern und
finanziell benachteiligte Mütter ohne Transferleistung auf Leistungen wie das
Betreuungsgeld angewiesen. Nicht auszuschließen ist eine Diskriminierung von
Eltern, die sich gegen Berufstätigkeit und außerhäusliche Betreuung und
Erziehung entscheiden.
Argumente
contra Betreuungsgeld:
Kritiker
des Betreuungsgeldes befürchten, dass gerade Kindern aus sozial
benachteiligten, bildungsarmen Familien die Möglichkeit einer frühkindlichen
Bildung z. B. in der Kinderkrippe vorenthalten wird.
Sie mutmaßen, dass das Betreuungsgeld nicht der förderlichen Entwicklung
von
Kindern zu Gute kommt, sondern
stattdessen von Eltern in prekären Lebenssituationen zur Aufbesserung des
Familien- und Haushaltseinkommens verwendet wird. Die Ausgabe von Gutscheinen
für Erziehungs- und Bildungsangebote scheint dagegen der bessere Weg.
Andere sehen die Sprachförderung und Integration von Kindern aus Familien mit
Migrationshintergrund gefährdet, weil das Betreuungsgeld einen Anreiz
darstellen könnte, das Kind aus ökonomischen Gründen nicht außerfamiliär
betreuen zu lassen. Der Betreuungsbonus wird auch als "Herdprämie"
kritisiert, weil er die Erwerbstätigkeit unattraktiv macht und so traditionelle
Rollenbilder festigt.
Erfahrungen
aus Thüringen:
In
Thüringen erhalten Eltern, unabhängig vom Einkommen, seit 2007 150,00 €
monatlich (für jedes weitere Kind einen Zuschlag von 50,00 €)
Landeserziehungsgeld bis zum dritten Lebensjahr ihres Kindes.(2) Entsprechend
der partei-politischen Ausrichtung wird die von Kritikern befürchtete Abmeldung
aus Kindergärten um 6 % im vergangenen Jahr als normale Schwankung oder als
"alarmierende Tendenz" gewertet. Eine Untersuchung der
sozio-ökonomischen und sozio-demographischen Zusammenhänge dieser Entwicklung
fehlt.
C.
Position des DiCV der Diözese Rottenburg-Stuttgart
1. Der
Diözesancaritasverband begrüßt die mit der gesetzlichen Einführung eines
Betreuungsgeldes verbundene Absicht, Familien zusätzlich zu unterstützen und
die Rahmenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern in ihrer
Familie zu fördern und zu verbessern. Die Caritas der Kirche bezieht eindeutig
Position für die mit dem Betreuungsgeld verbundene Honorierung und Wertschätzung
der familiären Erziehungs- und Betreuungsarbeit. Die Wahl- und lebensweltliche
Gestaltungsfreiheit für Familien - auch im unteren Einkommensdrittel - ist ein
legitimes Recht, das besonderen Schutz verlangt. Daher bedarf die Wertigkeit
der Familienerziehung aus Sicht des Verbandes insbesondere in den ersten zwei
Jahren im Leben des Kindes vermehrt positive Anerkennung als zukunfts- und
sinnstiftender Beitrag für die Gesamtgesellschaft.
2. Angesichts der Zunahme von Armut in Familien ist zu konstatieren, dass von
einem monatlichen Geldbetrag eine Wirkung dergestalt ausgehen kann, dass die
Geldleistung in Anbetracht geringen Haushaltseinkommens als Ersatz für eine außerfamiliäre
Betreuung, Bildung und Erziehung bevorzugt wird und eben nicht dem Wohl und der
förderlichen Entwicklung des Kindes zukommt.
3. Für Eltern im unteren Einkommensdrittel, die sich für die Erziehung und
Betreuung zu Hause entscheiden, muss das
Betreuungsgeld eine bedarfsgerechte Höhe betragen, um den Ausfall eines
angemessenen Einkommens zu kompensieren.
4. Aus Sicht des Spitzenverbandes kommt es wesentlich darauf an, den Ausbau der
Kinderbetreuung so zu gestalten, dass die außerfamiliäre Betreuung, Bildung und
Erziehung als ein attraktives, öffentliches Angebot nachgefragt und als
Ergänzung und als unterstützende Entlastung der familiären Erziehung angenommen
wird. Dabei gilt es, die elterliche Wahlmöglichkeit und die
Entscheidungsfreiheit (Freiwilligkeit) zu respektieren.
D.
Handlungsempfehlung des Diözesanverbandes
Als
katholischer Spitzenverband treten wir dafür ein, insbesondere strukturelle
Maßnahmen zu favorisieren, die auch geringqualifizierten Eltern einen Zugang
zum Arbeitsmarkt ermöglichen und zugleich qualitativ
hochwertige Betreuungsangebote für unter dreijährige Kindern
sichern.
Aus unserer Sicht ist die Gewährleistung der Wahlfreiheit von Eltern und einer
dem Kindeswohl entsprechenden Erziehung, Betreuung und Bildung ihrer Kinder
nicht allein durch ein Betreuungsgeld erreichbar. Die Qualität und Quantität
der Kinderbetreuung in den ersten 36 Monaten im Leben eines Kindes darf nicht
zum entscheidungs-relevanten Kostenfaktor für Eltern im unteren
Einkommensdrittel werden. Gemäß einer "Option für Arme" fokussiert
der DiCV die Lebenssituationen von strukturell benachteiligten Familien (3) und
schlägt im Kontext des Betreuungs- und Erziehungsgeldes eine mehrstufige
Förderung auf verschiedenen Ebenen vor, wie dies auch von anderen kirchlichen
und nicht kirchlichen Wohlfahrtsverbänden gefordert wird oder in den
skandinavischen Ländern bereits eingeführt ist. (4)
1.
Subjektförderung:
·
Erhöhung
des Erziehungs- und Betreuungsgeldes auf den Mindestbetrag des Elterngeldes von
300,00 € bzw.
·
Fortzahlung
des Elterngeldes vom 14.- 36. Lebensmonat.
·
Bedarfsgerechtes
Betreuungsgeld, um eine echte Wahl zu ermöglichen d.h. ergänzende frühkindliche
Bildungsangebote im Sozialraum müssen damit bezahlbar sein.
·
Betreuungsgeld
darf nicht in Konkurrenz zur öffentlichen Kindertagesbetreuung gewertet werden.
2.
Objektförderung:
·
Förderung
des Aus- und Aufbaus von Betreuungsplätzen in Tagesfamilien, Krippen und
Kindertagesstätten für unter Dreijährige.
·
Ausbau
und Erweiterung der Qualifizierung und Professionalisierung von ErzieherInnen
und Fachkräften für die Tagesbetreuung unter Dreijähriger
·
Förderung
des Aus- und Aufbaus von Eltern- und Familienzentren als Kommunikations- und
Bildungsorte für Eltern,
·
Stärkung
und Aufbau informeller und sozialer Netzwerke im sozialen Raum - Ausbau des
freiwilligen sozialen Engagements im Kontext der Tagesbetreuung.
·
Auf-
und Ausbau von sozialräumlich und alltagsorientierten Projekten und
Elternbildungsangeboten zur Stärkung der Eltern- und Familienteilhabe,
Förderung der Selbstkompetenz und der Sensibilität für kindliche Bedürfnisse.
3.
Konzeptförderung:
Die
Gewährung von Betreuungsgeld anerkennt und honoriert die elterliche und
familiäre Erziehungsarbeit mit dem Ziel, Eltern eine gedeihliche Förderung
ihrer Kinder zu ermöglichen und das Kindeswohl zu gewährleisten.
Das Betreuungsgeld soll Eltern Anreize bieten, im sozialräumlichen Umfeld an
Elterntreffpunkten (Familienzentren, Kommunikationsorte u.a.) zu partizipieren
(Elternbildungs- und Netzwerkinitiativen - vgl. dazu Programm STÄRKE) und die
Erziehung ihrer Kinder als eine gemeinschaftliche und zukunftsstiftende Aufgabe
zu verstehen.
Betreuungsgeld, wie alle
Familientransferleistungen dienen zur Gewährleistung des
Kindeswohls, einer förderlichen Entwicklung
(5) und zur Unterstützung der elterlichen Erziehungsarbeit. In unserer anwaltschaftlichen
Funktion treten wir ein für das Recht der Kinder auf Bildung, Betreuung und
Erziehung und eine ihrem Wohl förderliche Entwicklung. Transferleistungen
sollen das natürliche Erziehungsrecht der Eltern und die ihnen obliegende
Pflicht
unterstützen, absichern und
bedarfsgerecht begleiten.(6)
4.
Über das Betreuungs- und Erziehungsgeld hinausgehende längerfristige
alternative Maßnahmen:
·
Erhöhung
des Kindergeldes insbesondere für Familien im unteren Einkommensdrittel
·
Erhöhung
des Kinderfreibetrags
·
Steuerliche
Abzugsfähigkeit erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten (Werbungskosten)
·
Einführung
des Kinderzuschlags für Geringverdiener bzw. Bezieher von Grundsicherung
·
Nichtbesteuerung
eines Familienexistenzminimums
·
Einführung
und Sicherung eines Existenzminimum-Bedarfs für Kinder
·
Langfristig
kostenlose/zuzahlungsfreie Betreuungsangebote - beginnend mit dem ersten
Betreuungsjahr.
E.
Um des Kindes, der Familie und des Gemeinwesens willen
Das
Betreuungsgeld, wie alle übrigen
Familientransferleistungen, ist ein gesellschaftlicher Beitrag zum
Erhalt des kleinsten solidaritäts-stiftenden Netzwerks der Gesellschaft: Der Familie.
Unser spitzenverbandliches Engagement, unsere Anwaltschaft und unsere
Dienstleistungen für Familien wurzeln im christliches Menschen- und
Familienbild, das den
Menschen als von
Gott gewollt, geschaffen und geliebt kennzeichnet.
Der Mensch ist zur Liebe berufen - gelebte Liebe setzt Freiheit voraus.
Der Mensch, das Kind als Einzelwesen hat einen unbedingten, unverrechenbaren
Wert: Eine personale Würde.
Der Mensch, das Kind ist ein Beziehungswesen. Seine Existenz ist ausgerichtet
auf ein "Du".
Als kirchlicher Wohlfahrtsverband verfolgen wir den quantitativen und
qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung bis 2013 aufmerksam in unserem
Land und in den Kommunen und treten mit unseren Diensten und Einrichtungen der
Kinder- und Jugendhilfe dafür ein, dass
Kinder, ausgestattet mit Menschenrechten, eine
ihrem Alter und ihrer Entwicklung gemäße Bildung, Betreuung und
Erziehung erfahren.
·
Kinder
als Träger universeller und unteilbarer Menschenrechte einen gesetzlich
verankerten Schutz vor Kindeswohlgefährdung erfahren, den die solidarische
Gemeinschaft und zivile Gesellschaft achtsam und aufmerksam verfolgt und bei
Bedarf praktiziert, weil das Aufwachsen von Kindern in öffentlicher
Verantwortung geschieht.
·
Alle
Anstrengungen unternommen werden, einer Kindeswohlgefährdung zuvorzukommen,
indem Eltern eine Aufmerksamkeit und Achtsamkeit in ihrem Umfeld erfahren, die
sie stärkt und bestätigt in ihrem Engagement ihre Kinder zu betreuen, zu bilden
und zu erziehen.
·
Insbesondere
alleinerziehende Mütter und Väter sowie strukturell benachteiligte Familien
eine alltagsnahe, netzwerklich organisierte und in den Sozialraum eingebettete
öffentliche Betreuung, Bildung und Erziehung vorfinden
·
Freiwillig
soziales Engagement im Kontext der Tagesbetreuung im Gemeinwesen gefördert wird
und einen Beitrag zur solidaritäts- und sinnstiftenden Vergemeinschaftung
liefert.
·
Die
Entwicklung und das Aufwachsen von Kindern in öffentlicher Verantwortung
geschieht und das zivile Gemeinwesen, ebenso wie die diakonisch-pastorale
Gemeinde gefordert sind, aktiv an der Erziehungspartnerschaft mitzuwirken und
zielorientiert zusammen zu arbeiten.
15.5.2008
Renate Bock
Für den Fachbereich Familie, Jugend und Existenzsicherung
1 Vgl.
BMFSFJ:KiföG
2
http://www.thueringen.de/imperia/md/conten/tmsfg/familienfreundlichesthueringen
3 Eltern
ohne Erwerbseinkommen od. mit Mindesteinkommen bis 1000 €; Eltern mit
Migrationshintergrund, Einelternfamilien mit geringem Einkommen,
4 DCV,
Familienbund deutscher Katholiken, DPWV, AWO; Schweden, Norwegen, Finnland:
http://www.familie-und-gesellschaft.org/downloads/kongrberlin
5 vgl.
§ 1 SGB VIII
6 vgl.
Art 6 GG