Da sein, wenn es zu Ende geht
Andreas Richter, 59 Jahre, ist Arzt im Ruhestand und lebt in Freiburg.
Herr Richter, warum verbringen sie als Ehrenamtlicher ihre Zeit ausgerechnet mit Sterbenden?
Ich finde es wichtig, dass es Menschen gibt, die diese Aufgabe übernehmen und für andere da sind, wenn sie todkrank sind. Schließlich gehört der Tod zum Leben dazu. Ich profitiere auch persönlich von der Tätigkeit und lerne viel über Gesprächsführung und das Leben an sich.
Wie kamen Sie zu ihrem Ehrenamt bei der Hospizgruppe?
Ich erkrankte an Multipler Sklerose, so dass ich meinen Beruf als Intensivmediziner nicht mehr ausüben konnte. Ich half dann zunächst bei einer MS-Selbsthilfegruppe. Aber nach zehn Jahren wollte ich noch etwas anderes machen und habe ich mich bei der Caritas gemeldet. Bei einem Infoabend erfuhr ich von der Sterbebegleitung und kurz darauf fand ein Vorbereitungskurs statt. Dieser dauerte drei Monate, dann konnte ich mich engagieren.
Wieviel Zeit nimmt das Ehrenamt in der Woche in Anspruch?
Das Ehrenamt im Hospiz lässt sich zeitlich nicht eingrenzen. Wie oft ich mich engagiere, hängt auch davon ab, wieviel Zeit der Kranke noch hat. Wenn es absehbar ist, dass jemand bald sterben wird, gehe ich jeden Tag zu ihm.
Wie verbringen Sie die Zeit mit den Kranken?
Meist unterhalten wir uns. Wenn jemand nicht mehr reden kann, dann sitze ich einfach nur dabei. Manchmal reiche ich auch etwas zu trinken oder zu essen - für die Pflege im Allgemeinen sind wir jedoch nicht da.
Über was unterhalten Sie sich?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche Menschen sind einsam, sie sind dann einfach nur froh, dass sie jemanden zum Reden haben. Es kann sein, dass es in den Gesprächen nur um Tagesaktualitäten geht, oder dass die Menschen möglicherweise Klagen und Beschwerden haben. Es kann aber auch sein, dass die Leute die sogenannten letzten Fragen haben.
Um was geht es bei den letzten Fragen?
Viele Menschen fragen, warum gerade sie es sind, die jetzt sterben müssen. Darauf kann ich natürlich keine Antwort geben. Ich kann nur zu ihnen sagen, dass wir dieses Schicksal annehmen müssen. Da kann ich manchmal auch von meiner eigenen Lebensgeschichte berichten. Wenn es dann wirklich auf das Ende zugeht, beschäftigen sich viele mit bestimmten Erlebnissen in ihrem Leben. Was religiöse Fragen oder das Leben nach dem Tod angeht, haben viele Menschen jedoch feste Vorstellungen, habe ich erlebt.
Wie erleben sie die Patienten in der letzten Phase kurz vor dem Tod?
Häufig sind die Menschen dann entspannt, weil sie sich mit dem Tod abgefunden haben. Wenn ich diese Gelassenheit erlebe, wünsche ich mir den eigenen Tod auch einmal so annehmen zu können. Hier gibt es auch schöne Momente, wenn die Menschen sagen: "Ich habe mein Leben gelebt und jetzt ist es gut."
Es gibt also auch gute Momente bei Ihrem Engagement?
Ja, durchaus. Ich habe einmal eine sehr alte Dame betreut. Sie war schon etwas weggedämmert und ich konnte kaum mit ihr reden. Hier saß ich eigentlich nur dabei und habe gelesen, aber dennoch spürte ich, dass meine Anwesenheit gut tat. Gelegentlich hat sie sogar gelächelt.
Wie gehen Sie mit den belastenden Momenten um?
Da ich früher als Intensivmediziner gearbeitet habe, bin ich mit dem Thema Sterben vertraut. Als Anästhesist erlebte ich den Tod fast jeden Tag. Aber wie alle anderen Hospizhelfer gehe ich alle vier Wochen zur Supervision. Dort reden wir mit Sozialarbeitern über das, was wir erlebt haben. So können wir das Belastende verarbeiten und unsere Gedanken und Gefühle reflektieren.