Steigende Preise führen zu sinkender Nachfrage - diese Grundregel der Ökonomie will sich die Europäische Union bei der Klimapolitik zunutze machen. Der Deutsche Caritasverband unterstützt das Ziel der EU, den Verbrauch fossiler Heizträger deutlich zu senken. Er befürwortet ausdrücklich, dass das Europäische Parlament mit dem Emissionshandel im Verkehrs- und Gebäudesektor (ETS 2) über höhere CO2-Preise den Klimaschutz voranbringen will.
"Wer die Klimakrise verhindern will und gerade die Armen in Europa und weltweit vor den zerstörerischen Auswirkungen der Klimakrise schützen will, muss die mit CO2-Preissteigerungen verbundene Veränderungschance nutzen," betonte Eva Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes anlässlich einer Veranstaltung des Verbandes im Europäischen Parlament in Brüssel. "Hitzewellen und Unwetterkatastrophen haben uns längst deutlich gemacht, dass ein Hinausschieben von Klimaschutzmaßnahmen unverantwortlich wäre und dass es gerade die Ärmsten sind, die auf eine engagierte Klimapolitik angewiesen sind."
Gleichzeitig müssen die sozialen Auswirkungen von höheren Preisen abgefedert werden, damit Klimaschutz in der Bevölkerung akzeptiert wird.
Wie die soziale Ausgestaltung des ETS 2 konkret gelingen kann, war Thema des Gesprächs am heutigen Tag zwischen der Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Dr. Peter Liese MdEP, klimapolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, Dennis Radtke MdEP, sozialpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, und dem Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Prof Dr. Ottmar Edenhofer.
Dr. Peter Liese MdEP, klimapolitischer Sprecher der EVP-Fraktion:
"Wir haben in diesen Tagen eine historische Verantwortung, was den weltweiten Klimaschutz angeht. China und viele andere Staaten der Welt arbeiten an konkreten Reduktionszielen für die nächsten Jahre. Wir sollten daher pragmatisch handeln, aber den Klimaschutz nicht infrage stellen. Der Emissionshandel ist mit Abstand das effizienteste Instrument zum Klimaschutz und eine europäische Lösung ist für das Klima allemal besser als eine rein nationale Lösung. Aber wir brauchen endlich Transparenz und Klarheit bei der Rückgabe der Mittel. Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen müssen deutlich stärker von der Förderung profitieren als in der Vergangenheit, zum Beispiel durch gezielte Unterstützung von Leasing für bezahlbare Elektroautos. Dann kann Klimaschutz wieder eine Erfolgsgeschichte werden."
Dennis Radtke, MdEP, sozialpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion: "Die energetische Sanierung darf nicht auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter ausgetragen werden. Daher müssen die Einnahmen aus dem Europäischem Emissionshandelssystem sozial gerecht verteilt werden. Klimaschutz muss für die Menschen weiterhin bezahlbar bleiben."
Prof Dr. Ottmar Edenhofer, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung: "Das neue Emissionshandelssystem ETS 2 ist ein zentrales Element der europäischen Klimapolitik und darf nicht durch die gegenwärtige politische Debatte entkernt werden. Den Bedenken gegen das ETS 2 lassen sich durch klare Marktregeln, verlässliche Preisprognosen und wirksame Maßnahmen gegen extreme Preisausschläge begegnen sowie durch eine wirksame soziale Flankierung."
Eva Welskop-Deffaa: "Mit dem Gebäudesektor berührt der ab 2027 geplante Emissionshandel ETS 2 Lebensbereiche, die mit der Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse verbunden sind. Niemand möchte in seinen eigenen vier Wänden frieren oder Angst haben müssen, sich das Heizen nicht mehr leisten zu können. Steigende Kosten dürfen nicht den Ärmsten aufgebürdet werden - schon gar nicht im Gebäudesektor. Die Nebenkostenrechnung einer Mietwohnung birgt, angesichts ohnehin drastisch steigender Mietkosten, für Familien erheblichen sozialen Sprengstoff. Wir votieren für eine konsequente und nachhaltige Förderung von Leuchtturmprojekten wie dem Stromsparcheck aus dem Klimasozialfonds, damit einkommensarme Haushalte zu Einsparmöglichkeiten beim Energieverbrauch beraten werden. Wir votieren aber auch für eine gezielte Entlastung von Immobilienbesitzern - auch in der Sozialwirtschaft."
Der Stromspar-Check als Beispiel gelungener Klimasozialpolitik
Ein Beispiel, wie Klimaschutz in Haushalten mit niedrigen Einkommen sozial gerecht gelingen kann, ist der Stromspar-Check des Deutschen Caritasverbandes und dem Bundesverband der Energie- und Klimaschutzagenturen. Mit dem Stromspar-Check konnten bereits mehr als 463.000 Haushalte mit niedrigem Einkommen beraten werden. Durch einfache Maßnahmen wie z.B. den Einbau von Heizkörperthermostaten, dem Austausch von alten Kühlschränken sowie verändertem Nutzerverhalten, konnten pro Haushalt durchschnittlich 1.200 kWh Energie eingespart werden. Das entspricht rund 12 Prozent des Heizenergieverbrauchs. Gleichzeitig wurden seit Projektstart fast eine Million Tonnen CO₂ vermieden.
Der Stromspar-Check zeigt, wie Klimapolitik pragmatisch und sozial gelingen kann - mit konkreten Entlastungen und echten Emissionsreduktionen. Die Caritas fordert deshalb, dass der Stromspar-Check und seine Ausweitung in den Wärmesektor im deutschen Klima-Sozialplan, der Teil des Klima-Sozialfonds ist, fest verankert werden soll.
Sanierung von Sozialwohnungen und Förderung des ÖPNV
Bei der Dekarbonisierung im Gebäudesektor wird die energetische Sanierung von Bestandsimmobilien eine große Rolle spielen. Auch ein Förderprogramm für die Sanierung von Sozialwohnungen sei dringend geboten, so der Caritasverband, der sich für die Prüfung von Konzepten für die energetische Umrüstung in Richtung CO2-Neutralität ohne finanzielle Härten - wie etwa das Gebäudeklimageld einsetzt.
Wenn Heizen und Mobilität teurer werden, müsse genau hier angesetzt werden, so der Caritasverband. Dazu gehöre der Ausbau des ÖPNV. Der Caritasverband fordert, das Deutschlandticket zu einem Family-Plus-Ticket weiterzuentwickeln, so dass Eltern Kinder bis 14 Jahre kostenfrei mitnehmen können. Aus dem Sondervermögen müssen Klimainvestitionen der Wohlfahrtsverbände vorrangig gefördert werden.
Hintergrund:
Das Emissionshandelssystem, Herzstück der europäischen Klimapolitik, soll ab 2027 durch die Erweiterung auf die Bereiche Gebäude und Verkehr (ETS 2) dazu beitragen, das EU-Klimaziel von mindestens 55 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2030 zu erreichen. Der ETS 2 orientiert sich im Wesentlichen an dem in Deutschland schon gültigen Brennstoffemissionshandelsgesetz. Schon heute leidet jedoch die Akzeptanz der Klimapolitik daran, dass die Einnahmen nicht transparent und gezielt an die Menschen zurückgegeben werden, und dass soziale Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die EU hat daher einen Klimasozialfonds in Höhe von 86,7 Milliarden Euro aufgelegt, und festgeschrieben, dass die deutlich darüber hinaus gehenden nationalen Einnahmen zweckgerichtet ausgegeben werden müssen. Dabei müssen soziale Aspekte zwingend berücksichtigt werden müssen.