"Ich bin froh, dass endlich der Abschlussbericht der ELSA-Studie öffentlich vorliegt. Wir haben lange auf die allgemeine Zugänglichkeit der Studienergebnisse gewartet, um die Situation ungewollt schwangerer Frauen besser verstehen und Handlungsoptionen ableiten zu können. Als zentrale Referenzquelle des Abschlussberichts der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin kommt der Auswertung der Ergebnisse eine zusätzliche Bedeutung zu.
Besonders interessant sind die jetzt vorliegenden Daten in Bezug auf die häufig vertretene These, das geltende Recht führe zur Stigmatisierung von Frauen und Ärzten, die einen Abbruch vornehmen und beeinträchtige damit die Selbstbestimmung der schwangeren Frau. Die ELSA-Studie zeigt, dass Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch haben vornehmen lassen, nach dem Abbruch weniger Stigmatisierungen erfahren als zuvor von ihnen erwartet. Dies ist weitgehend unabhängig von soziodemografischen Einflussfaktoren wie dem Wohnort. Unter den Ärztinnen und Ärzten gibt nur ein marginaler Teil an, keine Abbrüche durchzuführen, weil sie Stigmatisierungserfahrungen erleben (6%) oder strafrechtliche Risiken befürchten (3%). Demgegenüber geben 85% der Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen, an, dass sie positive Reaktionen (kollegiale Anerkennung, private Wertschätzung) erleben - und dies "nicht nur selten". Die häufig vertretene These, mit dem §218 seien relevante Stigmatisierungserfahrungen verbunden, die gewichtigen Einfluss auf die Entscheidung zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs hätten, wird durch die Studie nicht bestätigt.
Die ELSA-Studie verweist demgegenüber auf andere Barrieren, die den Zugang zu einem sicheren Abbruch erschweren. Unter den belastenden Faktoren ragt die Frage der Kosten heraus: Kosten des Abbruchs wurden knapp zwei Dritteln (62,2%) der Frauen erstattet, bei 6,7% wurde die Erstattung abgelehnt; 21,7% bewerten die finanzielle Belastung als eher oder sehr hoch. Der Koalitionsvertrag gibt Hinweise, wie die genannten Barrieren ohne Änderung des Strafrechts abgebaut werden können.
Ein anderer Befund der ELSA-Studie bestätigt traurig die Erfahrungen vieler Schwangerschaftsberaterinnen: Schwangerschaft kann Partnerschaftsgewalt verschlimmern oder Trigger für erste Gewalthandlungen sein. Frauen in Gewaltbeziehungen sind häufiger ungewollt schwanger und entscheiden sich häufiger für einen Abbruch. Die ELSA-Studie zeigt: Weil Partnerschaftsgewalt die betroffenen Frauen isoliert, ist die mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz gegebene Möglichkeit, Fachberatungsstellen aufzusuchen, eine Unterstützung, die nicht nur in Bezug auf die Schwangerschaft von großer gleichstellungspolitischer Bedeutung ist. Als deutscher Caritasverband setzen wir uns dafür ein, dass schwangere Frauen und junge Eltern die Unterstützung erfahren, die sie dringend benötigen: Der niedrigschwellige Zugang zu Beratung und praktischen Hilfen wie den Babylotsen, zu Angeboten zur Stärkung der Erziehungskompetenz und der Gewaltprävention. Die geltende Regelung der verpflichtenden Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch bleibt in diesem Kontext für uns sinnvoll, lebenspraktisch und unverzichtbar."