Ein Wohnkonzept für alle
Ursprünglich ging es nur um einen Ersatzneubau: Zwölf Menschen mit Behinderung wohnten seit vielen Jahren gut und gerne in einem angemieteten Haus zusammen. Doch das Gebäude in Michelsrombach, einem vom Stadtzentrum Hünfeld entfernt gelegenen Ortsteil, war in die Jahre gekommen und renovierungsbedürftig. Und ebenso war auch das Durchschnittsalter der Bewohner stetig gestiegen. Doch für altersgerechtes Wohnen mit Barrierefreiheit war ein Umbau nicht möglich. Ein Ersatzneubau musste her. Schnell richtete sich der Blick direkt nach Hünfeld, einer kleinen Stadt knapp 20 Kilometer nördlich von Fulda mit guter Infrastruktur: Geschäfte, Ärzte, Freizeit- und Kulturangebote sind auf kurzen Wegen erreichbar: ideal für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, aber am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen.
In einem Sondierungsgespräch mit dem Bürgermeister von Hünfeld rückte schnell ein Grundstück am Rande der Altstadt in den Blick: zentrumsnah, ruhig gelegen und doch sehr gut erreichbar, mit einem traumhaften Blick über die Stadt. Doch die Kommune wollte auf diesem rund 7.500 Quadratmeter großen Areal eines ehemaligen Kreis-Altenheims mehr als nur ein Haus für die gemeinschaftliche Unterbringung von Menschen mit Handicap. Sie trat mit der Frage an den Diözesan-Caritasverband heran, ob dieser nicht neben dem geplanten Bau der Behindertenhilfe noch weiteren barrierefreien und bezahlbaren Wohnraum für die übrigen Menschen in Hünfeld errichten wolle.
Ein ganzes Caritas-Stadtviertel für alle
Sollte man die Chance nutzen, für Hünfeld inklusiv und im Rahmen eines ganzen Stadtquartiers zu bauen? Immerhin, so war die Überlegung bei den Caritas-Entscheidern, könnte man so den Menschen mit Behinderung eine gute Nachbarschaft bieten mit Jungen wie Alten, Armen und Wohlhabenderen, Singles und Familien, Menschen mit und ohne Handicap. Sie alle dürften in diesen neuen Häusern der Caritas Platz finden. Langsam reifte die Idee, wie ein solches Caritas-Stadtviertel aussehen könnte und welche Dienste man für Menschen mit Unterstützungsbedarf vorhalten müsste. Klar war, dass der Caritas-Dienst für "Begleitetes Wohnen" ein Büro im Viertel erhalten würde. Auch eine Caritas-Sozialstation sollte direkt im St. Ulrich-Quartier ihre Anlaufstelle haben. Stadt, Landkreis und Caritas wurden sich schließlich einig. 2015 konnte der Bau starten.
Heute sind die Wohnhäuser der ersten Bauphase im St. Ulrich-Quartier mit allen 28 Wohnungen längst bezogen, auch das Haus Jakobus, eine Einrichtung für gemeinschaftliches Wohnen von Menschen mit geistiger Behinderung. Alle Bewohner haben sich gut eingewöhnt. Auf der restlichen Brache des Areals entstehen derzeit noch weitere Gebäude. Für die geplanten 14 Wohnungen dieser abschließenden Bauphase gibt es bereits eine Warteliste von Einzugswilligen mit und ohne Handicap.
"Hier möchte ich nicht mehr wegziehen"
In der Nachmittagssonne unterhält sich eine Gruppe von Leuten: Jürgen Bellinger (32) und Brigitte Feldmann (57) wohnen im Gemeinschaftswohnhaus, Jürgens Bruder Helmut Bellinger (33) und Stefan Gawlitzek (59) haben ihr eigenes Appartement und werden unterstützt durch den Caritas-Dienst "Begleitetes Wohnen". Die drei Männer sind Arbeitskollegen in der Caritas-Werkstatt. Gerne geben die Bewohner Auskunft über ihr Zusammenleben im St. Ulrich-Quartier. Brigitte Feldmann hat bereits nach wenigen Wochen ihr klares Urteil gefasst: "In Hünfeld ist es sehr schön, hier möchte ich nicht mehr wegziehen." Alle sind sich einig, dass sich der Umzug gelohnt hat und dass die Wohnungen beziehungsweise die Wohnheim-Zimmer eine echte Verbesserung für sie darstellen. Auch die Nähe zur Altstadt sei großartig. "Das geht in zehn Minuten", sagt Helmut Bellinger, und Stefan Gawlitzek ergänzt: "Oft sind auch Veranstaltungen in Hünfeld mit Festzelt und Musik. Da lohnt es sich auf jeden Fall hinzugehen und sich mal umzuschauen!"
Nicht betreut, sondern begleitet
Stefan Gawlitzek wohnt in einem hellen Appartement mit kombiniertem Küchen-Wohnbereich, Schlafzimmer und Bad im sogenannten begleiteten Wohnen. "Da einige nicht so gerne als ‚Betreute‘ bezeichnet werden wollen und wir auch gar nicht betreuen, sondern vielmehr begleiten wollen, haben wir den Dienst ‚Begleitetes Wohnen‘ genannt", erläutert dessen Leiter Harald Schäfer. "Wir unterstützen Personen mit geistiger oder körperlicher Behinderung in ihrem Alltag. Die Menschen selbst entscheiden, welche Hilfen sie brauchen."
"Im Haus Jakobus ist die Unterstützung natürlich umfangreicher", ergänzt der zuständige Wohnheimleiter Thomas Vogel. Die dort lebenden Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen können sich zwar nicht selbst versorgen - "aber mithelfen geht gut". So assistierten die Bewohner dem Personal gerne beim Kochen. Gegessen wird dann gemeinsam. "Ansonsten sind die Bewohner des Gemeinschaftlichen Wohnens - wir sprechen nicht mehr so gerne von Wohnheimen - genauso frei in ihrer Freizeitgestaltung wie die im begleiteten Wohnen", erklärt Vogel. "Und es gibt ja auch ganz offensichtlich gemeinsame Unternehmungen und Ausflüge in die Stadt."
Der Kontakt zu der übrigen Wohnbevölkerung im Quartier verläuft in ruhigen Bahnen. "Jeder, der hierher zieht, weiß, welches Konzept die Caritas verfolgt. Negative Rückmeldungen hatten wir bisher in keinster Weise", resümiert Thomas Vogel. Das Umfeld wirke sich insgesamt auf alle Bewohner sehr positiv aus. "Das Haus St. Jakobus steht mitten im Quartier. So findet ein ganz normaler Alltag mit den üblichen nachbarschaftlichen Begegnungen statt."