Die Interventionsleitlinien regeln das Vorgehen in allen Bereichen des Deutschen Caritasverbandes mit seinen Gliederungen und Mitgliedsorganisationen. Sie greifen Ideen und schon länger praktizierte Initiativen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt auf und bündeln sie. Ein professionelles Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt erfordert den politischen Willen, den gezielten Einsatz von Ressourcen sowie den Aufbau von Strukturen und Fachlichkeit. Der Umgang mit einem Verdacht und die Intervention, wenn sich ein Verdacht bestätigt, gehören zur anspruchsvollsten und schwierigsten Leitungsverantwortung.
Die Leitlinien regeln die Verantwortung und das Vorgehen bei der Wahrnehmung, Aufklärung und Unterbindung von sexualisierter Gewalt durch Beschäftigte und Ehrenamtliche. Die Beschreibung des konkreten Vorgehens ist eingebunden in das jeweilige Institutionelle Schutzkonzept der Dienste und Einrichtungen.
Die Leitlinien wurden vom Verband der Diözesen Deutschlands im Februar 2021 (Erstfassung) und im Januar 2024 in einer aktualisierten Fassung als gleichwertig zur „Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst“ anerkannt. Die Gestaltung von Anforderungen an Prävention erfolgt in eigenen Regelungswerken, in der Rahmenordnung Prävention oder den jeweiligen diözesanen Präventionsregelungen.
Leitlinien des Deutschen Caritasverbandes für den Umgang mit sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen durch Beschäftigte in den Diensten und Einrichtungen seiner Gliederungen und Mitgliedsorganisationen (Interventionsleitlinien - Fassung 2024)
Kapitel
A. Einführung
Präambel
In seiner Verantwortung für den Schutz der Würde und Integrität Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener hat der Deutsche Caritasverband (DCV) die folgenden Leitlinien beschlossen.[1] Die Leitlinien sollen ein einheitliches und rechtssicheres Vorgehen in allen Bereichen des DCV mit seinen Gliederungen und Mitgliedsorganisationen im Umgang mit sexualisierter Gewalt[2] an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen gewährleisten.
Die rechtlich selbstständigen Gliederungen und Mitgliedsorganisationen im DCV tragen in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich für die verbindliche Anwendung der Leitlinien Sorge, indem sie die dazu notwendigen Beschlüsse fassen und ihrerseits für die verbindliche Übernahme der Leitlinien durch ihre Gliederungen und Mitgliedsorganisationen Sorge tragen.
Ein professionelles Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt erfordert den politischen Willen, den gezielten Einsatz von Ressourcen sowie den Aufbau von Strukturen und Fachlichkeit. Der Umgang mit einem Verdacht und die Intervention, wenn sich ein Verdacht bestätigt, gehören zur anspruchsvollsten und schwierigsten Leitungsverantwortung.
Die Leitlinien regeln die Verantwortung und das Vorgehen bei der Wahrnehmung, Aufklärung und Unterbindung von sexualisierter Gewalt durch Beschäftigte und Ehrenamtliche. Die Beschreibung des konkreten Vorgehens ist eingebunden in das jeweilige institutionelle Schutzkonzept[3] der Dienste und Einrichtungen.
Beschäftigte und Ehrenamtliche sollen in ihrer Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit bei Verdachtsfällen gestärkt werden. Sie sollen gefördert werden, Anzeichen von Fehlverhalten wahrzunehmen, Verantwortung im Umgang mit einem Verdacht zu übernehmen und ihre Beobachtungen entsprechend weiterzugeben, damit Minderjährige und schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene geschützt werden können. In den Diensten und Einrichtungen soll eine Kultur der Achtsamkeit etabliert sein, die Machtmissbrauch verhindert und ein aufrechtes Einstehen für die Rechte Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener fördert.[4]
Wenngleich die Leitlinien den Fokus auf sexualisierte Gewalt legen, die durch Beschäftigte oder Ehrenamtliche ausgeübt wird, ist zu beachten, dass es vielfältige Täter-Betroffenen- Konstellationen gibt und dass sexualisierte Gewalt eine spezifische Form von Gewalt ist. Im Alltag gibt es vielfältige Gewaltformen. Dabei sind alle Formen der Gewalt wie zum Beispiel strukturelle Gewalt, psychische und physische Gewalt, Gewalt über digitale oder andere Medien gleichermaßen zu verhindern.
Die im Folgenden dargestellten Maßnahmen sind, soweit möglich, auch auf diese im Folgenden nicht weiter konkret benannten Gewaltformen beziehungsweise -verhältnisse zu übertragen. Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen.
Gerade wenn Beschäftigte oder Ehrenamtliche der Caritas Gewalt ausüben, erschüttert dies nicht selten bei den Betroffenen, ihren Angehörigen sowie Nahestehenden und Hinterbliebenen das Vertrauen in die Menschen, in caritative Institutionen und in die Kirche insgesamt.
Betroffene müssen vor weiterer sexualisierter Gewalt geschützt werden. Sie und ihre Angehörigen sowie Nahestehende und Hinterbliebene sind bei der Aufarbeitung zu unterstützen und zu begleiten.
Grundsätzliches
Die Leitlinien regeln den Schutz von Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen. Schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene im Sinne dieser Leitlinien sind Schutzbefohlene im Sinne des § 225 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB).[5] Diesen Personen gegenüber tragen Beschäftigte im kirchlich-caritativen Dienst eine besondere Verantwortung, entweder weil sie ihrer Fürsorge und Obhut anvertraut sind oder weil bei ihnen allein aufgrund ihrer Schutz- oder Hilfebedürftigkeit eine besondere Gefährdung im Sinne dieser Leitlinien besteht.
Weiterhin sind darunter Personen zu verstehen, die einem besonderen Macht- und/oder Abhängigkeitsverhältnis unterworfen sind, das zu sexualisierter Gewalt ausgenutzt werden kann. Ein solches besonderes Macht- und/oder Abhängigkeitsverhältnis kann auch in beraterischen, seelsorglichen oder sonstigen professionellen Kontexten gegeben sein oder entstehen. Schutz- oder hilfebedürftige Personen im Sinne dieser Leitlinien sind grundsätzlich alle Menschen, die sich den Diensten und Einrichtungen anvertrauen oder diesen anvertraut werden.
Beschäftigte im kirchlich-caritativen Dienst im Sinne dieser Leitlinien sind insbesondere
- Dienstnehmer(innen);
- zu ihrer Berufsausbildung tätige Personen;
- nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder in vergleichbaren Diensten tätige Personen sowie Praktikant(inn)en;
- Leiharbeitnehmer(innen) und sonstige bei Drittunternehmen angestellte Arbeitnehmer(innen).
Kleriker und Kandidaten für das Weiheamt sowie Ordensangehörige oder Kirchenbeamte können bei der Caritas beschäftigt sein. Als Beschäftigte unterliegen sie den Regelungen dieser Leitlinien. Wenn sie ein Fehlverhalten beziehungsweise eine Straftat begangen haben oder einer Straftat verdächtig sind, unterliegen sie neben dem Strafrecht zudem den in der bischöflichen Ordnung beschriebenen Verfahren.
Ehrenamtliche haben einen anderen rechtlichen Status als Beschäftigte. Regelungen zu Ehrenamtlichen sind in Kapitel H aufgeführt.
Diese Leitlinien berücksichtigen die Bestimmungen sowohl des staatlichen wie auch des kirchlichen Rechts. Der Begriff sexualisierte Gewalt im Sinne dieser Leitlinien umfasst sowohl strafbare als auch nicht strafbare sexualbezogene Handlungen und Grenzverletzungen.[6]
Die Leitlinien beziehen sich somit
I
auf Handlungen nach dem 13. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches (StGB) sowie weitere sexualbezogene Straftaten (im Folgenden: Handlungen nach Ziffer I);
II.
unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls auf Handlungen unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit, die im erzieherischen sowie im betreuenden, beratenden, pflegenden, pastoralen, medizinischen Umgang oder anderen professionellen Kontexten mit Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen eine sexualbezogene Grenzverletzung oder einen sonstigen sexuellen Übergriff darstellen (im Folgenden: Handlungen nach Ziffer II).
Die Leitlinien betreffen alle Verhaltens- und Umgangsweisen mit sexuellem Bezug innerhalb oder außerhalb des Dienstes an Kindern und Jugendlichen sowie an schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen. Darunter fallen auch Handlungen, die mit vermeintlicher Einwilligung, ohne Einwilligung oder gegen deren ausdrücklichen Willen erfolgen und auch alle Handlungen zur Vorbereitung, Durchführung und Geheimhaltung sexualisierter Gewalt.
Alle Verantwortlichen haben beim Umgang mit sexualisierter Gewalt im Sinne dieser Leitlinien sowohl die staatlichen als auch die kirchlichen Rechtsvorschriften zu beachten.
[1] Diese Leitlinien wurden vom Verband der Diözesen Deutschlands am 19. Januar 2024als gleichwertig zur „Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst“ anerkannt. Link
Der DCV entwickelt hiermit seine „Empfehlungen des Deutschen Caritasverbandes zur Prävention gegen sexuellen Missbrauch sowie zum Verhalten bei Missbrauchsfällen in den Diensten und Einrichtungen der Caritas“ (2014) weiter, die damit außer Kraft gesetzt sind. Die Gestaltung von Anforderungen an Prävention erfolgt in eigenen Regelungswerken. Die Leitlinien sind einsehbar www.caritas.de unter Link.
[2] Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ wird unter „Grundsätzliches“ definiert.
[3] Hinweise zur Erstellung von Schutzkonzepten: Siehe hier
Präventive Maßnahmen sind in den institutionellen Schutzkonzepten der Dienste und Einrichtungen und in den Präventionsordnungen der Bistümer beschrieben. Siehe auch: Website des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)
[4] Der Träger muss dafür sorgen, dass Beschäftigten und Ehrenamtlichen das institutionelle Schutzkonzept und die für den Verdachtsfall zuständigen Personen bekanntgemacht werden. Beschäftigte und Ehrenamtliche müssen einen Verhaltenskodex unterschreiben und einhalten. Entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen muss von Beschäftigten und Ehrenamtlichen ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt werden, zurzeit in der Tätigkeit mit Minderjährigen, erwachsenen Schutzbedürftigen, Flüchtlingen in Erstaufnahmestellen: § 72 a Abs. 4 SGB VIII, § 124 Abs. 2 SGB IX, § 75 Abs. 2 SGB XII und § 44 AsylG
[5] „Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die erstens seiner Fürsorge oder Obhut untersteht, zweitens seinem Hausstand angehört, drittens von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder viertens ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, quält oder roh misshandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.“ [StGB § 225 Abs. 1].
[6] Grenzverletzungen können durchaus versehentlich passieren, werden aber dennoch in Machtgefällen als übergriffig empfunden und deshalb als Gewalt im Sinne dieser Leitlinien verstanden.
B. Zuständigkeiten
Aufgaben und Verantwortung des Diözesan-Caritasverbandes
Der Diözesan-Caritasverband trifft Regelungen zur Zusammenarbeit mit dem Bistum (zum Beispiel zu den vom Bischof benannten externen Ansprechpersonen, Meldung von Fallzahlen, Mitwirkung im bischöflichen Beraterstab zur Beratung in Fragen des Umgangs mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener). Wenn eine Mitwirkung im bischöflichen Beraterstab nicht in Betracht kommt, richtet der Diözesan- Caritasverband einen eigenen ständigen Beraterstab ein. Diesem gehören an: die beauftragten Ansprechpersonen, die/der Präventionsbeauftragte des Diözesan- Caritasverbandes und Personen mit psychiatrisch-psychotherapeutischem sowie juristischem Sachverstand und fundierter fachlicher Erfahrung und Kompetenz in der Arbeit mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs.
Dem Beraterstab sollen auch von sexuellem Missbrauch Betroffene angehören. Ihm können auch Personen angehören, die im kirchlichen Dienst beschäftigt sind. Darüber hinaus ist eine externe Fachberatung hinzuzuziehen. Im Einzelfall können weitere fachlich geeignete Personen hinzugezogen werden. Mehrere Diözesan-Caritasverbände können gemeinsam einen interdiözesanen Beraterstab einrichten.
Aufgaben und Verantwortung des Trägers
Der Träger der Dienste und Einrichtungen hat die Organisationsverantwortung für den Schutz vor sexualisierter Gewalt sowie für den Umgang mit bekanntgewordenen Fällen. Er ist dafür verantwortlich, dass das Vorgehen und die Maßnahmen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im institutionellen Schutzkonzept festgelegt und in den Diensten und Einrichtungen entsprechend veröffentlicht und umgesetzt werden. Dieses Vorgehen beschreibt insbesondere die einzelnen Interventionsschritte, Verantwortlichkeiten und Wege zur Bearbeitung des Verdachts. Im Falle einer Straftat gemäß Ziffer I[1] dieser Leitlinien sind durch den Träger unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten.
Benennung einer internen Ansprechperson in Diensten und Einrichtungen
Der Träger beauftragt - je nach Größe und Struktur - mindestens eine interne Ansprechperson aus dem Kreis der Beschäftigten. Es empfiehlt sich, nicht nur Vertreter(innen) eines Geschlechts als interne Ansprechpersonen zu benennen. Sie haben vor allem Lotsenfunktion, kennen das Vorgehen, und vermitteln gemäß dem institutionellen Schutzkonzept an die zuständigen Stellen. Die internen Ansprechpersonen müssen vom Träger allen Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen sowie deren gesetzlichen Vertreter(inne)n allen Beschäftigten und Ehrenamtlichen bekanntgemacht werden.
Benennung beziehungsweise Beauftragung externer Ansprechpersonen
Darüber hinaus benennt beziehungsweise beauftragt der Diözesan-Caritasverband fachlich qualifizierte und persönlich geeignete Personen als externe Ansprechpersonen. Dies können beispielsweise die vom Diözesanbischof beauftragten Ansprechpersonen sein. Sie dürfen nicht in einem weisungsgebundenen Beschäftigungsverhältnis zu einem Träger von Diensten und Einrichtungen stehen. Die Benennung beziehungsweise Beauftragung erfolgt für maximal fünf Jahre und kann einmal wiederholt werden. Es sollen mindestens zwei Personen, nicht nur Vertreter(innen) eines Geschlechts, benannt werden. Die externen Ansprechpersonen müssen vom Träger in den Diensten und Einrichtungen allen Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen sowie deren gesetzlichen Vertreter(inne)n, Beschäftigten und Ehrenamtlichen bekanntgemacht werden.
Benennung einer nichtkirchlichen Fachberatungsstelle
Darüber hinaus soll mindestens eine nichtkirchliche Fachberatungsstelle als unabhängige Anlaufstelle benannt werden. Kontaktdaten sind auf geeignete Weise bekanntzumachen.
Entgegennahme von Hinweisen und Weitergabe von Informationen
Insbesondere die internen Ansprechpersonen, die externen Ansprechpersonen oder die vom Leitungsorgan benannte Person[2] nehmen Hinweise auf sexualisierte Gewalt entgegen. Allen Hinweisen, Anhaltspunkten und Verdachtsmomenten muss unbedingt und unverzüglich nachgegangen werden.
Alle Beschäftigten sind verpflichtet, unabhängig von Plausibilitätsabwägungen unverzüglich mindestens eine der oben genannten Personen über einen Verdacht sexualisierter Gewalt, der ihnen im dienstlichen Kontext zur Kenntnis gelangt ist, zu informieren. Dasselbe gilt, wenn sie über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, das Ergebnis eines laufenden Ermittlungsverfahrens oder über eine erfolgte Verurteilung im dienstlichen Kontext Kenntnis erlangen.
Hierbei sind die Bestimmungen des § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) zu beachten. Etwaige staatliche oder kirchliche Verschwiegenheitspflichten oder Mitteilungspflichten gegenüber staatlichen oder kirchlichen Stellen, wie zum Beispiel (Landes-)Jugendamt oder Schulaufsicht sowie gegenüber Dienstvorgesetzten bleiben hiervon unberührt.
Anonyme Hinweise sind dann zu beachten, wenn nachprüfbare Hinweise vorgebracht werden, die zureichende tatsächliche Anhaltspunkte enthalten.[3]
Die Ansprechpersonen beziehungsweise andere Verantwortliche informieren die vom Leitungsorgan benannte Person des Trägers, bei dem die beschuldigte Person tätig ist, unverzüglich über den Verdacht. Für den Fall, dass die beschuldigte Person nicht bei dem Träger beschäftigt ist, bei dem sie tätig ist, informiert die vom Leitungsorgan benannte Person den zuständigen Dienstgeber, bei dem die beschuldigte Person beschäftigt ist.
Der Dienstgeber der beschuldigten Person hat unter Wahrung der Sorgfaltspflichten dafür Sorge zu tragen, dass andere, die für die beschuldigte Person eine besondere Verantwortung tragen, sowohl über den Verdacht sexualisierter Gewalt im Sinne dieser Leitlinien als auch über die Einleitung oder das Ergebnis eines laufenden Ermittlungsverfahrens oder über eine erfolgte Verurteilung informiert werden.
Weiterleitung von Hinweisen an andere kirchliche sowie an nichtkirchliche Stellen
Der dringende Verdacht[4] auf sexualisierte Gewalt im Sinne dieser Leitlinien darf nur durch die vom Leitungsorgan des Trägers benannte Person beziehungsweise durch einen Dritten nur im Einvernehmen mit dem Träger sowie nur dann an andere kirchliche oder nichtkirchliche Stellen weitergegeben werden, wenn dies im Einzelfall zum Schutz von Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen dringend geboten erscheint und der Schutz nicht auf andere Weise erreicht werden kann. Hiervon unberührt bleibt die Verpflichtung zur Weitergabe von Hinweisen an die Strafverfolgungsbehörden und die Verpflichtung zur Weitergabe an den Ordinarius zum Zwecke der kirchlichen Voruntersuchung".[5]
Zuständigkeiten im weiteren Verlauf
Die Zuständigkeit für das weitere Vorgehen liegt bei dem Leitungsorgan des Trägers beziehungsweise bei der von ihm benannten Person. Bei verstorbenen Beschuldigten beziehungsweise Täter(inne)n ist der jeweils letzte rechtlich verantwortliche Träger zuständig. Falls dieser nicht mehr existiert, ist dessen Rechtsnachfolger zuständig.
[1] Siehe S. II.
[2] Verantwortlich ist letztendlich das Leitungsorgan des Trägers, das diesen nach außen gerichtlich und außergerichtlich vertritt und nach innen mit der Führung der Geschäfte betraut ist. Bei eingetragenen Vereinen ist dies der Vorstand. Dieser delegiert häufig Verantwortung an leitende Mitarbeiter(innen), die für den Träger als Dienstgeber dessen Verantwortung wahrnehmen und dem Vorstand rechenschaftspflichtig sind, ohne selbst Rechtsträger zu sein. Wenn diese vom Vorstand benannte Person nicht bekannt ist, ist der Vorstand zu informieren.
[3] Anonyme Anzeigen sind mit großer Vorsicht zu behandeln und nur zu beachten, wenn nachprüfbare Hinweise vorgebracht werden. Allgemeine Verdächtigungen dürfen nicht zu Ermittlungen führen. Insofern müssen "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" für das Vorliegen von sexualisierter Gewalt im Sinne dieser Leitlinien vorhanden sein. Die internen Ansprechpersonen, die externen Ansprechpersonen oder die vom Leitungsorgan des Trägers benannte Person müssen den Hinweis in tatsächlicher Hinsicht prüfen und dabei wesentliche be- und entlastende Umstände in Gestalt einer Gesamtschau abwägen. Beruht der Hinweis auf konkreten Tatsachen, muss vorgegangen werden.
[4] Wenn nach dem gesamten bisherigen Kenntnisstand eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die beschuldigte Person eine der nach den Leitlinien genannte Handlung begangen hat.
[5] Siehe auch Unterkapitel "Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungs- und anderen zuständigen Behörden".
C. Vorgehen nach Kenntnisnahme eines Hinweises
Der Schutz von betroffenen Minderjährigen oder schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen ist sicherzustellen. Das bedeutet beispielsweise, dass der Träger zur Abwendung einer Gefährdung bis zur Klärung des Verdachts und Aufklärung der Sachlage für die sofortige Unterbrechung des Kontakts zwischen der beschuldigten Person und der betroffenen Person sorgen muss.
Nach Kenntnisnahme eines Hinweises erfolgt gemäß dem institutionellen Schutzkonzept eine Bewertung der Plausibilität, von Anfang an zwingend unter Einbeziehung und Beratung durch eine externe Ansprechperson oder eine unabhängige Fachberatungsstelle. Dabei sowie im Rahmen des weiteren Vorgehens sind die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten, die besondere Schutzbedürftigkeit Minderjähriger und die Erfordernisse eines etwaigen Strafverfahrens zu berücksichtigen.
Bei der Beobachtung und Sondierung sind größtmögliche Sorgfalt, Umsicht und Vertraulichkeit geboten. In dieser ersten Plausibilitätsprüfung wird geprüft, ob es tatsächliche Anhaltspunkte gibt, die die behauptete Handlung möglich erscheinen lassen.[1] Personen, die Hinweise geben, müssen mit Respekt behandelt werden. Bei sich daraus ergebenden tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht auf sexualisierte Gewalt ist ein umsichtiges Krisenmanagement sicherzustellen.
Gespräch mit der/dem Betroffenen - Schutz und Unterstützung
Der Schutz aller Beteiligten vor öffentlicher Preisgabe von Informationen, die vertraulich gegeben werden, ist sicherzustellen. Dies betrifft insbesondere die/den Betroffene(n), die meldende Person und die beschuldigte Person.
Wenn die/der Betroffene beziehungsweise gesetzliche Vertreter(innen) über erfahrene sexualisierte Gewalt informieren möchten, bietet der Träger ein Gespräch mit der externen Ansprechperson an.
Bei Hinweisen auf sexualisierte Gewalt sind bei Kindern die Personensorgeberechtigten zu informieren und über das weitere Vorgehen aufzuklären. Bei Jugendlichen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen muss im Einzelfall unter Abwägung des Selbstbestimmungsrechts von Jugendlichen und dem Sorgerecht ihrer Eltern beziehungsweise ihres Vormunds geprüft werden, wer zu informieren ist, zum Beispiel Sorgeberechtigte, Angehörige oder gesetzliche Betreuer, die/der zuständige Mitarbeiter(in) des Jugendamtes.[2] Die Weitergabe von Informationen durch den Träger an das Jugendamt zur Abwendung von Gefährdungssituationen für das Wohl des Kindes beziehungsweise des/der Jugendlichen ist zulässig (§ 8 a Abs. 4 SGB VIII, § 4 Abs. 3 KKG).
Der/Die Betroffene ist zu Beginn des Gesprächs darüber zu informieren, dass tatsächliche Anhaltspunkte in aller Regel den Strafverfolgungs- und anderen zuständigen Behörden weiterzuleiten sind. Ebenso ist in geeigneter Weise auf das weitere Vorgehen hinzuweisen.
Der/Die Betroffene wird über das mögliche weitere Vorgehen, Hilfestellungen und Unterstützungsmöglichkeiten informiert. Hierzu gehört insbesondere die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu einer externen Fachberatungsstelle, die anonym und unabhängig beraten kann. Zu diesem Gespräch ist seitens der beauftragten Ansprechperson eine weitere Person hinzuzuziehen. Der/Die Betroffene beziehungsweise der/die gesetzliche Vertreter(in) kann zu dem Gespräch eine Person des Vertrauens hinzuziehen. Hierauf ist ausdrücklich hinzuweisen. Zum Schutz der betroffenen Person sind eine entwicklungsangemessene Gesprächssituation und eine traumasensible Durchführung des Gesprächs sicherzustellen. Das Gespräch darf eine spätere Ermittlung der Strafverfolgungsbehörden nicht beeinträchtigen.[3]
Der/Die Betroffene beziehungsweise der/die gesetzliche Vertreter(in) wird zu einer eigenen Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden ermutigt. Bei Bedarf wird die dazu notwendige Unterstützung in angemessener Form gewährleistet, zum Beispiel wird über die Möglichkeit psychosozialer Prozessbegleitung informiert.
Das Gespräch, bei dem auch die Personalien aufzunehmen sind, wird protokolliert. Das Protokoll ist von dem/der Protokollführenden und dem/der Betroffenen beziehungsweise dem/der gesetzlichen Vertreter(in) zu unterzeichnen. Eine Ausfertigung des Protokolls wird der betroffenen Person ausgehändigt. Die vom Träger benannte Person wird über das Ergebnis des Gesprächs informiert.
Anhörung der beschuldigten Person
Sofern die Aufklärung des Sachverhalts nicht gefährdet und die Ermittlungsarbeit der Strafverfolgungsbehörden nicht behindert werden, hört eine vom Träger benannte Person oder eine externe Ansprechperson die beschuldigte Person unter Hinzuziehung einer weiteren Person, in der Regel einer Juristin/eines Juristen, zu den Vorwürfen einer Tat gemäß Ziffer I oder Ziffer II[4] der Leitlinien an.[5]
Die beschuldigte Person kann dazu eine Person des Vertrauens, auf Wunsch auch einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin, hinzuziehen. Hierauf ist er/sie vor der Anhörung hinzuweisen. Die Kosten hierfür sind im Falle der Unbegründetheit der Beschuldigung vom Träger als Dienstgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflichten zu tragen. Die beschuldigte Person wird über das Recht der Aussageverweigerung informiert.
Auf die Verpflichtung, tatsächliche Anhaltspunkte den Strafverfolgungs- und anderen zuständigen Behörden weiterzuleiten, ist hinzuweisen. Die beschuldigte Person wird über die Möglichkeit zur Selbstanzeige bei den Strafverfolgungsbehörden informiert.
Die Anhörung zur Beschuldigung einer Tat gemäß Ziffer I oder Ziffer II[6] der Leitlinien in der jeweils geltenden Fassung ist zu protokollieren. Die beschuldigte Person hat das Recht, das Protokoll einzusehen und gegenzuzeichnen. Sie hat auch das Recht, eine Gegendarstellung abzugeben, die dem Protokoll beizufügen ist. Sie erhält eine Kopie des von dem/der Protokollführenden unterzeichneten Protokolls. Die vom Leitungsorgan des Trägers benannte Person wird über das Ergebnis des Gesprächs informiert, sofern sie nicht selbst beteiligt war. Jede Beschuldigung gegenüber Beschäftigten muss mit Blick auf die geltende Unschuldsvermutung sorgfältig geprüft werden. Dabei darf es weder Vorverurteilungen der beschuldigten Person noch eine Infragestellung der Äußerungen der betroffenen Person geben.
Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungs- und anderen zuständigen Behörden
Sobald tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Handlung nach Ziffer I[7] dieser Leitlinien vorliegen, leitet der Träger die Informationen an die Strafverfolgungsbehörden und, soweit rechtlich geboten, an andere zuständige Behörden, zum Beispiel (Landes-)Jugendamt, Schulaufsicht, weiter.[8] Rechtliche Verpflichtungen anderer kirchlich-caritativer Stellen bleiben unberührt.
Die Pflicht zur Weiterleitung der Informationen an die Strafverfolgungsbehörden gilt, unter Wahrung der gesetzlichen Bestimmungen, auch für Berufsgeheimnisträger(innen), die im Rahmen ihrer seelsorgerischen, beratenden oder therapeutischen Arbeit Hinweise auf sexualisierte Gewalt erlangen, bei der Gefahr für Leib und Leben besteht, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen die Pflicht zur Verhinderung einer Straftat die Schweigepflicht wesentlich überwiegt.[9] In jedem Fall sind die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, wenn weitere Gefährdungen zu befürchten sind oder weitere mutmaßlich Betroffene ein Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der Taten haben könnten.
Die Pflicht zur Weiterleitung der Informationen an die Strafverfolgungsbehörden entfällt nur ausnahmsweise, wenn zum Beispiel das Leben oder die Gesundheit der betroffenen Person zu schützen ist oder wenn sie oder ihr/ihre gesetzliche(r) Vertreter(in) eine Strafverfolgung ausdrücklich ablehnt.[10] Eine externe Fachberatungsstelle ist hinzuzuziehen. Der betroffenen Person müssen die verschiedenen Möglichkeiten und Konsequenzen dargelegt werden. Sie muss Gelegenheit erhalten, die Entscheidung gut abzuwägen. Die Gründe für das Absehen von einer Weiterleitung müssen auch vom Träger gut abgewogen werden. Das Gespräch mit der betroffenen Person, die Entscheidungsgründe und das Ergebnis der externen Beratung sind unter Angabe der Namen aller Beteiligten zu dokumentieren. Die Dokumentation ist von der betroffenen Person oder dem/der gesetzlichen Vertreter(in)und der externen Fachberatungsstelle zu unterzeichnen.
Kirchenrechtliche Voruntersuchung gemäß can. 1717 § 1 CIC
Richtet sich der Vorwurf gegen einen anderen Gläubigen, der in der Kirche eine Würde bekleidet oder ein Amt oder eine Funktion ausübt, ist zusätzlich zu den in erster Linie zu ergreifenden "Maßnahmen bis zur Aufklärung des Falls" sowie den im Kapitel E
"Konsequenzen für beschuldigte -Personen und für Täter(innen)" beschriebenen Maßnahmen eine kirchenrechtliche Voruntersuchung gemäß can. 1717 § 1 CIC durchzuführen. Die Leitung des Trägers informiert daher den Ordinarius des Ortes der behaupteten Tat über den Vorwurf.
Maßnahmen bis zur Aufklärung des Falls
Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen vor, entscheidet der Dienstgeber über das weitere Vorgehen unter Berücksichtigung der kirchen-, arbeits-, dienst- und auftragsrechtlichen Bestimmungen. Er ist berechtigt, Beschäftigte vorübergehend unter Fortzahlung der Vergütung vom Dienst freizustellen, bis der Sachverhalt aufgeklärt ist. Die Mitarbeitervertretung wird unverzüglich über die Freistellung informiert und auf Wunsch angehört. Der Dienstgeber hat durch geeignete und angemessene Maßnahmen sicherzustellen, dass sich die mutmaßliche Handlung nicht wiederholen kann.[11] Die Verpflichtung zur Weiterleitung der Informationen an die Strafverfolgungsbehörden bleibt hiervon unberührt.
Vorgehen bei nach staatlichem Recht nicht aufgeklärten Fällen
Wenn der Verdacht auf sexualisierte Gewalt nach staatlichem Recht nicht aufgeklärt wird, zum Beispiel weil Verjährung eingetreten ist, jedoch tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die die Annahme sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen rechtfertigen, haben sich die zuständigen kirchlich-caritativen Stellen selbst um Aufklärung zu bemühen und angemessene Regelungen zu finden. Ist die beschuldigte Person verstorben, besteht für die zuständigen kirchlich-caritativen Stellen weiterhin die Pflicht zur Aufarbeitung.[1]
[1] Hier ist zu unterscheiden zwischen den für das Dienstverhältnis relevanten Pflichtverletzungen und strafrechtlicher Relevanz des Verhaltens. Der Träger hat zu prüfen, ob das Verhalten Anlass gibt für arbeitsrechtliche Sanktionen. Plausibilitätsprüfung bedeutet hingegen nicht, dass die Verantwortlichen eigene Ermittlungen durchführen. Es ist allein Sache der Staatsanwaltschaft, zu beurteilen, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erforderlich ist. Der Träger sollte schon deshalb nicht selbst ermitteln, um beschuldigte Personen nicht vorzuwarnen und dadurch den Erfolg der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung zu gefährden. Beschuldigte Personen könnten zum Beispiel Beweismaterial vernichten oder versuchen, die/den Betroffenen und andere einzuschüchtern. Eigene Beweiserhebungen durch den Träger können zudem dazu führen, dass der Beweiswert von Zeugenaussagen gemindert wird oder dass Beweise überhaupt nicht mehr in einem Strafprozess verwertet werden können. Vgl. Broschüre des BMJV: "Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch in einer Einrichtung - Was ist zu tun?", Download unter: Link
[2] Ist der/die Betroffene minderjährig, muss im Einzelfall zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes und dem Sorgerecht seiner Eltern abgewogen werden. Aus dem Recht zur elterlichen Sorge (Art. 6 GG) als Ausprägung ihrer Pflicht zu Pflege und Erziehung leitet sich ab, dass Eltern zu beteiligen sind. Dies gründet auf der Annahme, dass Kinder besonders schutz- und hilfebedürftig sind. Ihre Persönlichkeit ist als noch nicht voll selbstbestimmungsfähig und eigenverantwortlich zu sehen.
Mit zunehmendem Alter wandeln sich aber die Anforderungen an eine pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge. Das Erziehungsrecht der Eltern endet also da, wo das Kind als selbstbestimmungsfähig einzuschätzen ist. In jedem Einzelfall sollte die jeweilige individuelle Reife des betroffenen Kindes oder Jugendlichen in Bezug auf die jeweilige Tragweite möglicher Entscheidung beurteilt werden.
[3] Hierbei ist gut abzuwägen, welche Informationen für den direkten Kinderschutz (auch anderer) vor Ort benötigt werden und ob es zu einer Anzeige kommen soll. Grundsätzlich sollte die das Gespräch führende Person dahingehend in Gesprächsführung geschult sein, dass die Interessen der betroffenen Person und des akuten Kinderschutzes vor Ort gewährleistet werden können und gleichzeitig ein mögliches Ermittlungsverfahren nicht beeinträchtigt wird.
[4] Siehe S. II.
[5] Im Zweifelsfall sollte von einer Anhörung (zunächst) abgesehen werden (Verdunkelungsgefahr). Siehe: BMJV-Broschüre, a.a.O., Download unter: Link )
[6] Siehe S. II.
[7] Ebd.
[8] Sinnvoll ist, den Behörden mitzuteilen, ob und welche kurzfristigen Schutz-/Hilfemaßnahmen für notwendig erachtet werden.
[9] § 34 StGB
[10] Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht allein vom Träger festgestellt werden. Sie ist im Hinblick auf die Gefährdungslage und die Einschätzung der tatsächlichen Schwere des Tatverdachts durch unabhängige, fachlich qualifizierte externe Fachberatungsstellen zu bestätigen.
Vgl.: BMJV-Broschüre "Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch in einer Einrichtung - Was ist zu tun?", a.a.O.
[11] Mögliche Maßnahmen wären zum Beispiel das Aussprechen eines Hausverbots, Kontakt- und Umgangsverbot (auch digital) gemäß §§ 935 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) und andere Schutzmaßnahmen.
[12] Vgl. Kapitel I "Aufarbeitung länger zurückliegender Fälle".
D. Hilfen
Informationspflicht gegenüber Betroffenen und Hilfen für Betroffene
Der Träger unterrichtet den/die Betroffene(n) beziehungsweise dessen/deren gesetzliche(n) Vertreter(in) selbst oder durch die externe Ansprechperson über die beschlossenen MaßnahmenunddenjeweiligenStandderUmsetzung.DerbetroffenenPerson,Angehörigen, Nahestehenden und Hinterbliebenen werden Hilfen angeboten oder vermittelt. Die Hilfsangebote orientieren sich an dem jeweiligen Einzelfall. Auch die Begleitung bei der Inanspruchnahme von Hilfen, die Unterstützung bei der Antragstellung oder die Vermittlung vonjuristischerBeratungsowieFachberatungsstellenkönnenzudenHilfsangebotengehören. Es können auch Hilfen nichtkirchlicher Einrichtungen in Anspruch genommen werden. Unabhängig davon können Betroffene gegebenenfalls „Leistungen zur Anerkennung des Leids“[1]beantragen.
Zu den Hilfsangeboten gehören insbesondere beratende, therapeutische und gegebenenfalls seelsorgliche oder auch finanzielle Hilfen. Der/Die Betroffene kann entsprechende weitere Leistungen beantragen.[2]Die Möglichkeit zur Beantragung von Hilfen besteht auch bei Verjährung oder wenn die beschuldigte Person verstorben ist.
Für die Entscheidung zur Gewährung von konkreten Hilfen ist bei selbstständigen caritativen EinrichtungenderenTrägerzuständig.BeiderUmsetzungderHilfenfüreine(n)Betroffene(n) ist gegebenenfalls eng mit dem zuständigen Jugendamt oder anderen Fachstellen zusammenzuarbeiten.HierfürstelltderTrägerdiesenStellenalleerforderlichenInformationen zur Verfügung. Wenn der Wunsch nach einem Gespräch mit einer leitungsverantwortlichen Person besteht, ist diesemnachzukommen.
Hilfen für betroffene Dienste und Einrichtungen der Caritas
Die zuständigen Leitungspersonen der betroffenen caritativen Dienste und Einrichtungen werdenvomTrägerunterWahrungderRechtederBeteiligtenüberdenStandeineslaufenden Verfahrens informiert. Der Träger hat für die Unterstützung der Dienste und Einrichtungen Sorgezutragen,damitsiediemitdemVerfahrenundderAufarbeitungzusammenhängenden Belastungen bewältigen können.
Maßnahmen im Falle einer fälschlichen Beschuldigung
Bei erweislich falscher Beschuldigung sind folgende Maßnahmenerforderlich:
- Der Dienstgeber ist im Einvernehmen mit dem/der beschuldigten Beschäftigten verpflichtet, auf eine vollständige Rehabilitation hinzuwirken und alles zu tun, was fälschlich beschuldigte Beschäftigte rehabilitiert und schützt.
- StelltsichnachgründlicherPrüfungeineBeschuldigungodereinVerdachtalsunbegründet heraus, ist dies vom Dienstgeber in der Personalakte schriftlich festzuhalten.
Dazu gehören
- eine kurze Sachverhaltsschilderung,
- das Ergebnis der Untersuchung,
- die wesentlichen Punkte, aus welchen sich die Unbegründetheit erwiesen hat. Diese Unterlagen sind mit besonderer Sicherung aufzubewahren, für welche die Zugriffsrechte zu regeln sind.
3 .Unterlagen, die in Zusammenhang mit einer Beschuldigung oder einem Verdacht stehen, sind im bewiesenen Fall der Unbegründetheit oder Falschheit aus der Personalakte zu entfernen und zu vernichten. Hierzu bedarf es der vorherigen Zustimmung des/der Beschäftigten.
[1] Informationen zum Verfahren zur Anerkennung des Leids sind auf der Website des Deutschen Caritasverbandes abrufbar: https://www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/sexuellermissbrauch/verfahren-der-caritas-zur-anerkennung-de sowie auf der Website der DBK.
[2] Weitere Informationen auf der Website des DCV zu Hilfeangeboten: Link und auf der Website des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs UBSKM
E. Konsequenzen für beschuldigte -Personen und für Täter(innen)
Gegen im kirchlich-caritativen Dienst Beschäftigte, die sexualisierte Gewalt ausgeübt haben oder bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, wird im Einklang mit den jeweiligen staatlichen und kirchlichen dienstrechtlichen Regelungen vorgegangen. Täter(innen), die nach einer Tat gemäß Ziffer I[1] dieser Leitlinien verurteilt wurden, werden nicht in der Arbeit mit Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen eingesetzt. Bei Täter(inne)n, bei denen nachgewiesene Handlungen nach Ziffer II[2] dieser Leitlinien vorliegen, wird im Einzelfall über den -weiteren Einsatz entschieden.[3]
F. Öffentlichkeit
Sofern ein öffentliches Interesse besteht, wird die Öffentlichkeit durch den Träger unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes der Beteiligten in angemessener Weise informiert. Der Träger klärt die Verantwortlichkeiten. In der Regel wird eine Person benannt, die allein für die öffentliche Kommunikation zuständig ist. Beschäftigte sind verpflichtet, bei Anfragen auf diese Person zu verweisen. Der Träger prüft das Erfordernis der Weitergabe der Informationen an die Pressestellen des Diözesan-Caritasverbandes und des Deutschen Caritasverbandes.
G. Auswertung und Schlussfolgerungen
Alle Informationen, Hinweise und Verfahrensabläufe in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt sind vom Träger sorgfältig zu dokumentieren. Der Träger ist verpflichtet, den vorliegenden Fall auszuwerten und Schlussfolgerungen für die Optimierung der Prävention und der Intervention zu ziehen und diese umzusetzen.
H. Ehrenamtlich tätige Personen
Im Bereich der Intervention spielen Ehrenamtliche eine Rolle, wenn es um das Wahrnehmen von und das Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen geht. Sie sind wie Beschäftigte verpflichtet, unabhängig von Plausibilitätsabwägungen die interne oder die externe Ansprechperson oder die vom Leitungsorgan des Trägers benannte Person unverzüglich über Hinweise, Anhaltspunkte und Verdachtsmomente, die ihnen im Kontext ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zur Kenntnis gelangt sind, zu informieren. Dasselbe gilt, wenn sie über die Einleitung eines laufenden Ermittlungsverfahrens oder über eine erfolgte Verurteilung im dienstlichen Kontext Kenntnis erlangen.
Ist eine ehrenamtlich tätige Person die beschuldigte Person, gelten diese Leitlinien bezüglich des Vorgehens und der Konsequenzen entsprechend. Unter Wahrung der Sorgfaltspflichten ist dafür Sorge zu tragen, dass andere, die für die beschuldigte Person eine besondere Verantwortung tragen, sowohl über den Verdacht sexualisierter Gewalt im Sinne dieser Leitlinien als auch über die Einleitung oder das Ergebnis eines laufenden Ermittlungsverfahrens oder über eine erfolgte Verurteilung informiert werden.
Falls die beschuldigte Person von einem anderen Träger entsendet ist, ist die entsendende Stelle beziehungsweise der Träger, bei dem die beschuldigte Person ehrenamtlich tätig ist, unter Wahrung der Sorgfaltspflichten umgehend zu informieren. Die Zuständigkeit für das weitere Vorgehen liegt beim entsendenden Träger.
Für die Weiterleitung von Informationen gelten bei Ehrenamtlichen die datenschutzrechtlichen Regelungen für die im kirchlich-caritativen Dienst Beschäftigten gemäß Kapitel J entsprechend.
I. Aufarbeitung länger zurückliegender Fälle
Der Forderung nach Klarheit und Wahrheit bei der Aufklärung der Fälle ist unbedingt zu entsprechen. Die Träger betroffener Dienste und Einrichtungen verpflichten sich, sich aktiv in der Aufarbeitung der Vergangenheit der Dienste und Einrichtungen, für die sie heute Verantwortung tragen, zu engagieren. Dies gilt auch bei Fällen sexualisierter Gewalt in Institutionen, die staatlich nicht mehr verfolgbar sind (zum Beispiel wegen Verjährung oder Tod der beschuldigten Person). Die Träger sind aufgefordert, die Geschichte ihrer Einrichtungen und Dienste im Hinblick auf sexualisierte Gewalt zu betrachten. Träger, denen ein Fall sexualisierter Gewalt bekannt wird, sind aufgefordert, ihre Dialogbereitschaft mit ehemaligen betroffenen Personen beispielsweise über ihre Öffentlichkeitsarbeit aktiv mitzuteilen, Schuld anzuerkennen und gegebenenfalls weitere Unterstützung wie beispielsweise beraterische, therapeutische und gegebenenfalls seelsorgliche Begleitung oder finanzielle Hilfen anzubieten oder zu vermitteln.[1]
J. Datenschutz, Auskunft und Akteneinsicht
Soweit diese Leitlinien auf personenbezogene Daten einschließlich deren Veröffentlichung anzuwenden sind, gehen sie den Vorschriften des Gesetzes über den Kirchlichen Datenschutz (KDG) sowie der Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche (Kirchliche Archivordnung - KAO) vor, sofern sie deren Datenschutzniveau nicht unterschreiten. Im Übrigen gelten das Gesetz über den Kirchlichen Datenschutz (KDG), die zu seiner Durchführung erlassene Ordnung (KDG-DVO) sowie die Kirchliche Archivordnung (KAO).[1]
Die Fristen für die Aufbewahrung von Unterlagen richten sich nach den jeweiligen Vorschriften über die Aufbewahrungsfristen für Personalakten, Voruntersuchungsakten und so weiter. Für die Zeit der Aufbewahrung sind die Unterlagen vor unbefugten Zugriffen in besonderem Maße zu sichern. Im Übrigen ersetzt die ordnungsgemäße Archivierung von gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 Kirchliche Archivordnung (KAO) anzubietenden und zu übergebenden Unterlagen die nach dem KDG oder anderen kirchlichen oder staatlichen Rechtsvorschriften erforderliche Löschung, wenn die Archivierung so erfolgt, dass Persönlichkeitsrechte des/der Betroffenen oder Dritter nicht beeinträchtigt werden. An Verfahren nach diesen Leitlinien beteiligte Personen haben Anspruch darauf, Auskunft über sie persönlich betreffende Informationen zu erhalten. Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte bestimmen sich nach den jeweils geltenden rechtlichen Vorschriften.
[1] Nähere Regelungen zum Umgang mit personenbezogenen Daten in Protokollen und sonstigen Unterlagen kann der Diözesanbischof beziehungsweise können die Arbeitsrechtlichen Kommissionen erlassen.
K. Inkrafttreten und Geltungsdauer
Es obliegt den Gliederungen und Mitgliedsorganisationen, für die Verbindlichkeit der Leitlinien sowie die verbindliche Anwendung und Umsetzung Sorge zu tragen. Für Beschäftigte im kirchlich -caritativen Dienst entfalten diese Leitlinien, soweit sie das Arbeitsverhältnis berühren, nur dann rechtliche Wirkung, wenn sie von der zuständigen arbeitsrechtlichen Kommission im Sinne des Art. 7 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse beschlossen worden sind. Die Übernahme der Leitlinien wird innerhalb von fünf Jahren ab Inkrafttreten einer Evaluation unterzogen.
Verabschiedet durch den Caritasrat am 8. Juli 2020, am 16. November 2023 vom Caritasrat erneut an kirchenrechtliche Neuregelungen angepasst. Mit Schreiben vom 19. Januar 2024 vom Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) als mit der Ordnung der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz-oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst vom 24.01.2022 gleichwertig.