Einführung in die europäische Förderpolitik
- Hintergründe der EU-Förderung
- Grundlagen der EU-Fördersystematik wie Strukturfonds und Aktionsprogramme
- Kernkompetenzen einer Einrichtung und Schnittmengen zur EU-Förderung
- Entscheidungskriterien für oder gegen ein EU-Projekt
- Was ein EU-Projekt außer dem Einwerben von Finanzmitteln für eine Einrichtung bringt
- neue caritas Spezial: Caritas - für ein soziales Europa
Aus der praktischen Erfahrung in der EU-Projektarbeit gesprochen, ist das Geheimnis der EU-Förderung schnell entzaubert, wenn Fachkräfte
- über die Hintergründe von EU-Förderung aufgeklärt sind,
- ein grundsätzliches Verständnis der EU-Fördersystematik haben,
- die Kernkompetenzen ihrer Einrichtungen beziehungsweise ihres Verbandes kennen und dadurch mögliche Schnittstellen zur EU-Förderung ableiten können und
- bei der Entscheidungsfindung für oder gegen ein EU-Projekt ein paar Kriterien berücksichtigen.
Für die letztlich erfolgreiche Ausarbeitung eines EU-Projektantrages und Durchführung eines Projektes ist zudem die Kenntnis von Schritten, Methoden und Instrumenten des Projektmanagements ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Hintergründe der EU-Förderung
Trotz der Erweiterung ihrer Kompetenzen im Laufe ihrer Geschichte hat die EU noch immer eine vor allem wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ausrichtung. Im Bereich der Sozialpolitik bleiben die Kompetenzen der EU beschränkt, was auch Auswirkungen auf die Förderung von Projekten hat: Hat die EU für einen bestimmten Bereich keine klaren Kompetenzen, hat sie auch keine Berechtigung, Gelder dafür auszugeben. Bei der Beantragung von Fördergeldern müssen daher immer die vertraglichen Kompetenzen und Ziele der EU beachtet werden. Es muss also versucht werden, Schnittmengen zwischen den europäischen Zielen und dem Bedürfnis der eigenen Zielgruppe sowie der Kompetenz der eigenen Einrichtung herauszufinden. Bei der Unübersichtlichkeit und Vielzahl der Förderprogramme lohnt es sich, sich auf die Programme zu konzentrieren, die die Kernkompetenz der eigenen Einrichtung ansprechen.
Im Jahr 2010 hat die Europäische Union ihre Europa 2020-Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum verabschiedet, in der sie konkrete Ziele vorgibt. Für die Caritas ist es insbesondere wichtig, dass die EU bis 2020 die Beschäftigungsquote erhöhen und die Schulabbrecherquote sowie den Anteil der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen in der Bevölkerung senken möchte. In der Förderperiode 2014-2020 hat die Europäische Kommission noch einmal betont, dass Fördergelder zur Erfüllung dieser Ziele genutzt werden sollen und die einzelnen Programme noch stärker auf die Europa 2020-Ziele hin ausgerichtet. Gerade, da in vielen Bereichen Gelder gekürzt werden, sollten bei Förderanträgen der Hintergrund europäischer Förderung und die Ziele europäischer Politik aufgenommen werden. Der Beitrag des eigenen Projekts zur Erfüllung der Ziele der Europa 2020-Strategie sollte daher eine Schlüsselrolle in der Antragsstellung spielen.
Grundlagen der EU-Fördersystematik
Um einen Förderantrag zu bewilligen, möchte die EU-Kommission bzw. die ausführende Stelle immer einen europäischen Mehrwert dargelegt bekommen: Welcher tatsächliche Nutzen entsteht für die Teilnehmer und Organisatoren des Projekts? Und wie wirkt sich das Projekt auf die Erreichung der Ziele der EU aus? Parallel mit dem Haushalt der EU werden europäische Förderprogramme in einem Aushandlungsprozess zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat für jeweils sieben Jahre festgelegt. Da gerade in Zeiten knapper Kassen – auch bei der EU – Gelder immer gezielter eingesetzt werden müssen, sollen die Fördertöpfe in der aktuellen Förderperiode 2014-2020 noch politischer und wirksamer eingesetzt werden und nachweisbare Ergebnisse erbringen. Um Armut in Europa mit Mitteln aus EU-Fonds zu bekämpfen, müssen die einzelnen Projekte also zumindest auf einen Mehrwert zur Erreichung der Ziele der Europa 2020-Strategie zur Armutsreduzierung überprüft werden.
Europäische Fördergelder werden zumeist nach dem Prinzip der Kofinanzierung vergeben. Dies bedeutet, dass die EU einen bestimmten Anteil der geschätzten Kosten für ein Projekt übernimmt (meist zwischen 60 und 90 Prozent der tatsächlichen förderfähigen Kosten). Der restliche Betrag muss vom Projektträger selbst aufgebracht werden. Durch dieses System sollen europäische Gelder multipliziert werden. In der aktuellen Förderperiode 2014-2020 können in bestimmten Fällen Kosten über Pauschalen abgerechnet werden. Teilweise können die Kosten für freigestelltes Personal als Kofinanzierung angesetzt werden.
Grob verkürzt und stark vereinfacht lassen sich die EU-Fördermöglichkeiten unterteilen in
- Europäische Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) und
- Aktionsprogramme
ESI-Fonds, wie der Europäische Sozialfonds (ESF) oder der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dienen der Förderung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, der Stärkung der europäischen territorialen Zusammenarbeit sowie der Förderung von Konvergenz. Diese Fonds unterstehen einer geteilten Zuständigkeit, was bedeutet, dass jeder Mitgliedstaat in enger Abstimmung mit der Europäischen Kommission und auf Grundlage der europäischen Verordnungen pro EU-Fonds ein operationelles Programm entwickelt. In Deutschland reichen sowohl der Bund, als auch die Bundesländer eigene Programme ein. Ansprechpartner sind daher normalerweise in den behördlichen Strukturen des Bundes und der Bundesländer zu finden. Zum größten Teil bedarf es bei den ESI-Fonds keiner Kooperation mit Partnern aus anderen europäischen Ländern für die Projekte. Soziale Zwecke lassen sich mit den Strukturfonds, insbesondere dem ESF, durch Projekte, mit denen die Beschäftigungsfähigkeit von sozial benachteiligten Personen oder von Personal aus dem sozialen Sektor gefördert wird, verfolgen.
Mit den Aktionsprogrammen, wie beispielsweise Erasmus+, Europa für Bürgerinnen und Bürger oder das Programm "Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft" soll durch die Zusammenarbeit verschiedener Projektteilnehmer europäische Politik umgesetzt werden. Dafür stellt die EU in verschiedenen Programmen und Unterprogrammen Gelder für Projekte u.a. in den Bereichen Bildung, Justiz, Migration oder sozialer Zusammenhalt bereit, wobei in der Regel eine Kooperation mit Partnern aus anderen europäischen Ländern vorausgesetzt wird. Geförderte Projekte sollen einen Mehrwert auf europäischer Ebene erbringen und zur Umsetzung der Ziele der Europa-2020-Strategie beitragen. In der Regel werden dafür Partner aus anderen europäischen Ländern gebraucht. Die europäischen Aktionsprogramme werden je nach Programm von der Europäischen Kommission direkt oder auf anderen Ebenen verwaltet. Um die Antragsstellung und Umsetzung der Programme zu vereinfachen, hat die Europäische Kommission für einige Programme "Nationale Kontaktstellen" eingerichtet, die für die nationale Umsetzung eines bestimmten Programms und die Bewilligung der Anträge zuständig sind. Die jeweiligen Nationalen Kontaktstellen bereiten potentielle Antragssteller mit umfassenden Informationen und Förderseminaren auf die Antragsstellung vor und stehen für Fragen zur Verfügung.
Neben diesen Grundsätzen gibt es bei den Strukturfonds und den Programmen zahlreiche Besonderheiten in den einzelnen Richtlinien und Förderhinweisen. Ebenso gibt es neben den Strukturfonds und Programmen andere Finanzmittel der EU, die zum Beispiel über besondere Haushaltslinien vergeben werden.
Die Förderstruktur der EU ist so umfangreich, dass es neben dem normalen Arbeitsalltag schier unmöglich ist, alle Fördertöpfe kontinuierlich zu beobachten und alle Details der Förderrichtlinien zu kennen. Es empfiehlt sich daher, sich auf die Programme zu konzentrieren, die der Kernkompetenz der eigenen Einrichtung entsprechen.
Kernkompetenzen einer Einrichtung und Schnittmengen zur EU-Förderung
Die Kunst in der Akquise von EU-Fördermitteln für Projekte besteht darin, die Schnittmenge zwischen den EU-Förderanliegen und den Bedarfen der eigenen Zielgruppen beziehungsweise der eigenen sozialen Einrichtung herauszufinden und mit Hilfe von Projekten einen Gewinn für die eigene Arbeit einzufahren. Dies ist an vielen Stellen möglich, zum Beispiel bei der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, im Rahmen der EU-Bildungspolitik, der EU-Jugendpolitik oder der EU-Migrationspolitik. Auch die Politikbereiche Justiz und Sicherheit schließen zum Beispiel die Themen Drogenprävention, -aufklärung und -bekämpfung sowie Menschenhandel und Schutz der Menschenrechte mit ein. EU-Mittel sind jedoch immer zusätzliche Mittel und können kein Ersatz für nationale, regionale oder lokale Finanzierungslücken von sozialen Dienstleistungen sind.
Um die Schnittstellen zwischen den EU-Förderzwecken und der eigenen Arbeitsrealität identifizieren zu können, ist es hilfreich, die Kernkompetenzen der eigenen Einrichtung zu kennen. Auf diese Weise werden Entwicklungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen der eigenen Einrichtung sichtbar, die sowohl dem Leitbild und dem Auftrag der Einrichtung zuträglich sind als auch die EU-Förderzwecke bedienen können. Gleichzeitig ist man gedanklich nicht auf das bisherige Angebotsspektrum der Einrichtung limitiert.
Entscheidungskriterien für oder gegen ein EU-Projekt
In der Entscheidungsfindung für oder gegen einen EU-Projektantrag helfen verschiedene Kriterien wie zum Beispiel:
- Gibt es EU-Vorerfahrungen und/oder Erfahrungen in der Mittelakquise?
- Unterstützt das Leitbild ein Engagement auf EU-Ebene?
- Bestehen bereits Kontakte ins Ausland?
- Über welche Ressourcen verfügt die Einrichtung (Mitarbeiter, Qualifikationen, Fremdsprachenkenntnisse, ...)?
- Passt ein EU-Projekt in den Jahresarbeitsplan?
- Was ist die treibende Motivation hinter einem EU-Projektantrag?
- Wer steht hinter einem Antrag?
Basierend auf einem aufgeklärten Verständnis der EU-Förderung, einem Grundverständnis der EU-Fördersystematik, einer Entscheidung mit Hilfe der Kenntnis der eigenen Kernkompetenzen und unter Berücksichtigung von verschiedenen Kriterien ist es möglich, Chancen zu nutzen, die EU-Projekte bieten, und Risiken zu vermeiden beziehungsweise zu minimieren, die EU-Förderungen mit sich bringen.
Europäische Fördergelder werden durch eine Vielzahl unterschiedlicher Stellen in Brüssel oder auf nationaler Ebene "koordiniert", ehe die Fördermittel bei mehreren zehntausend Projektträgern vor Ort jährlich ankommen. Um verlässliche Informationen zu erhalten, ist es daher zunächst notwendig, herauszufinden, wer für die Programmumsetzung verantwortlich ist. Neben den jeweiligen Programmberatern ist das Internet mittlerweile für alle Förderprogramme die wichtigste Informationsquelle. Auf den jeweiligen Homepages sind neben den Richtlinien und Antragsunterlagen oft auch die in vorherigen Förderrunden ausgewählten Projekte dargestellt. Die Beschreibungen geben zumeist einen guten Einblick, welche Art von Projekten gefördert wird und welche Träger beteiligt sind. Man bekommt ein Gefühl dafür, ob das Programm für die eigene Projektidee das richtige Förderinstrument ist. Auch die Hauptvertretung Brüssel, das Berliner Büro des DCV und die EU-Fachberater in den Diözesan-Caritasverbänden können hierzu eine Einschätzung geben und im Rahmen der Antragsentwicklung beraten.
EU-Programme werden zum Teil mit, zum Teil auch ohne europäische Partner durchgeführt. Bei Projekten, die in Kooperation mit europäischen Partnern durchgeführt werden, sind gute Fremdsprachenkenntnisse zumindest in Englisch oder Französisch notwendig. Zudem sollte der administrative Aufwand des Netzwerkmanagements nicht unterschätzt werden. Auch kommt es nicht selten vor, dass längere Vorfinanzierungszeiten überbrückt werden müssen. Trotz alledem wirkt sich die Mitarbeit in europäischen Programmen positiv auf die geförderten Organisationen und die Motivation der Mitarbeitenden aus. Die aktive Beteiligung von Organisationen der Caritas an EU-Programmen stellt einen wichtigen Beitrag zu einem vereinten, sozialen Europa dar.
Was ein EU-Projekt außer dem Einwerben von Finanzmitteln für eine Einrichtung bringt
EU-Projekte können die Umsetzung des eigenen Leitbildes unterstützen. Sie geben Impulse für die eigene Arbeit. Durch sie kann eine Einrichtung Ansätze, Konzepte und/oder Methoden entwickeln, kennenlernen, erproben, adaptieren und/oder transferieren. EU-Projekte können helfen, genauere Kenntnis über die kulturelle Prägung einer bestimmten Zielgruppe zu erlangen. Sie schaffen Nähe zu politischen Entwicklungen und politischen Akteuren, wenn sie sich mit Innovationen und/oder der Verbreitung von Best-Practice-Beispielen und neuen Erkenntnissen befassen. Mit EU-Projekten lassen sich sogar Produkte entwickeln und vertreiben. Sie ermöglichen den Zugang zu Märkten und Arbeitskräften. Fremdsprachenkenntnisse bei Mitarbeitern werden durch EU-Projekte befördert. Schließlich dienen EU-Projekte der Einrichtung bei der Profilierung als innovativer und/oder internationaler Akteur.
neue caritas Spezial: Caritas – für ein soziales Europa
Rechtzeitig zu den Europawahlen am 25. Mai 2014 hat die Hauptvertretung Brüssel des Deutschen Caritasverbandes ein neue caritas Spezial zu Europa veröffentlicht. Das Heft richtet sich an alle, die mehr über Europa und die europapolitischen Themen und Aktivitäten der Caritas erfahren möchten. Unter dem Titel "Caritas – für ein soziales Europa" werden zentrale Themenfelder der Caritas in der Europäischen Union dargestellt. Verschiedene Autoren aus der Caritas haben Themen wie den europäischen Flüchtlingsschutz, die EU-Binnenmigration, oder das Europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht lesergerecht aufbereitet. Das Heft bietet zudem eine Einführung in die Förderpolitik und einen Überblick über die Aktionsprogramme 2014-2020.
Bestellt werden kann das Heft bei der Hauptvertretung Brüssel: euvertretung@caritas.de.