Der legendäre Ausspruch des früheren Verteidigungsministers Peter Struck, die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt, steht paradigmatisch für militärisches Engagement überall in der Welt, wo der Westen die eigene Sicherheit bedroht sieht. Das Afghanistankonzept der Bundesregierung droht zu scheitern. Der Konflikt in Afghanistan ist militärisch nicht zu lösen, eine Einsicht, die zunehmend auch aus Nato-Kreisen zu hören ist. Trotzdem sollen nach dem Willen von US-Präsident Barack Obama 17.000 weitere Soldaten nach Afghanistan entsandt werden.
Caritas international setzt sich mit anderen Hilfsorganisationen seit langem für einen Strategiewechsel ein, der im Kern dem zivilen Aufbau Vorrang vor dem Einsatz militärischer Mittel gäbe. Stattdessen erleben wir das Gegenteil: verstärkte und oft unangemessene Militäroperationen, die sich zu einem offenen Krieg mit steigenden Opferzahlen auch unter der Zivilbevölkerung entwickeln. Dies führt dazu, dass die Afghanen die als Befreier vom Taliban- Regime begrüßten Truppen heute eher als Besatzer wahrnehmen. Die wachsende Unzufriedenheit verschafft den radikalen Kräften Zulauf.
Besonders erschwert wird die Arbeit von Hilfsorganisationen durch die Vermischung militärischer und ziviler Tätigkeiten, wie sie etwa im Rahmen der auch von Deutschland unterstützten Regionalen Wiederaufbauteams stattfindet. Der militärische und entwicklungspolitische Nutzen des von der Bundesregierung als Erfolgsmodell propagierten Konzepts ist höchst umstritten. Wenn Soldaten neben ihrem militärischen Auftrag auch humanitäre Hilfe leisten sollen, um die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen und damit die eigene Sicherheit zu erhöhen, wird dadurch die Unabhängigkeit und Neutralität von Hilfsorganisationen unterminiert. Die Konsequenz ist, dass Hilfsorganisationen als verlängerter Arm der Isaf-Truppen angesehen und damit auch zur Zielscheibe gewaltsamer Übergriffe werden.
Deshalb fordert die Caritas, das eklatante Missverhältnis zwischen militärischem und zivilem Engagement zu beseitigen - die Bundesregierung gibt in Afghanistan viermal mehr Geld für den Bundeswehreinsatz als für die Entwicklungshilfe aus. Auch zwischen militärischem Einsatz und ziviler Not- und Entwicklungshilfe muss deutlich getrennt und das Bundeswehrmandat auf rein sicherheitspolitische Aufgaben beschränkt werden. Damit einhergehen müssen verstärkte Anstrengungen für zivilen Wiederaufbau, Verwirklichung von Menschenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien, Bekämpfung von Korruption und Drogenhandel. Dann könnte Afghanistan wieder auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung hoffen.
Jürgen Lieser ist Leiter der Arbeitsstelle Standards und Konzepte bei Caritas international
erschienen in neue caritas 7/2009