Ein mühsamer Weg zum Glück
Wie im Gefängnis
An die ersten Monate in Deutschland hat Alim keine guten Erinnerungen. "Es war wie im Gefängnis", erinnert sich der junge Mann. "Man musste seinen Pass abgeben und erhielt ein Papier. Immer wurde man kontrolliert, wenn man rein und raus ging. Ein Armband musste am Handgelenk getragen werden zur Identitätsklärung. Keine Informationen, wie und wann es weiter geht. Nach einem Monat gab es nur die Info, dass alle in eine andere Einrichtung kommen, aber nicht wann." Nach einen Tag in Düsseldorf wird Alim nach Nürnberg umverteilt. Dort bleibt er drei Monate. Danach kommt er nach Rott am Lech, eine kleine Gemeinde mit knapp 2.000 Einwohner(inne)n. Auch dort hätte sich die die Situation nicht verbessert: lange Wartezeiten bei der Essensausgabe, kaum Waschmaschinen und keine Angebote zum Deutschlernen. " Ich und ein paar Freunde haben selbst mit Youtube angefangen, Deutsch zu lernen. Auf der Straße konnten wir uns schlecht mit Englisch verständigen, weil die Deutschen es abgelehnt haben, mit uns Englisch zu sprechen."
Enge und eingeschränkte Mobilität
Nach zwei Monaten in Rott am Lech kommt Alim in eine andere Unterkunft in Schnaitsee im Landkreis Traunstein. Trotz anfänglicher baulicher Schwierigkeiten, wie fehlende Wasch- und Spülbecken, gab es dort die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Denn zunächst wohnten in dem Haus insgesamt zehn geflüchtete Menschen. "Aber als noch zehn weitere Bewohner in das Haus kamen", erzählt Alim, "hat sich die Stimmung gedreht. Es gab dann viel Probleme mit Streit, Schlägerei, Küche zu klein oder Sanitäreinrichtungen zu wenig und zu klein." Außerdem gab es kaum Möglichkeiten, in die größeren Städte Wasserburg am Inn oder Trostberg zu kommen - die Busse fahren nur selten am Tag. "Ich war schockiert, als ich erfahren habe, dass in diese kleine Doppelhaushälfte zu den zehn Bewohnern weitere zehn hinzukommen", sagt Ursula Götzinger. Seit Ende 2015 engagiert sie sich für Geflüchtete. "Die Enge und der Lärmpegel waren unerträglich. Ich war immer erleichtert, wenn ich nach ungefähr zwei Stunden das Haus wieder verlassen konnte. Ein Herd mit vier Platten und einem Backofen, zwei Duschen, zwei Toiletten, eine Waschmaschine für 20 Leute: Das war weit von jeglichem Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen entfernt.
Kennenlernen beim gemeinsamen Backen
Ursula und Alim lernen sich beim gemeinsamen Backen in der Unterkunft kennen. "Ursula hat uns dabei den Unterschied zwischen den Wörtern Schlüssel und Schüssel erklärt: Denn das Wort Schlüssel kannten bereits alle. Dann natürlich auch die Worte Mehl, Zucker, Teig und so weiter", erinnert sich Alim. Seitdem kam Ursula für mehrere Stunden einmal die Woche in die Unterkunft. Sie half den Bewohnern zunächst beim Kennenlernen der deutschen Gebräuche wie Fasching, Ostern und Weihnachten - und natürlich beim Deutschlernen. "Da einige regelmäßig die Schule besuchten, trat dann zunehmend das unterstützende Lernen in den Vordergrund", erzählt Ursula. "Alim wagte dann als einziger den Übertritt von der 1. Integrationsklasse der Berufsschule auf die Fachoberschule. Er musste dazu einen Aufnahmetest machen, den er auch geschafft hat. Alim hat sich mit dem Lernen leicht getan, aber er hat auch keine Gelegenheit ausgelassen, sich Wissen anzueignen."
Minijob, Ausbildung und eigene Wohnung
Alim erzählt, dass Ursula ihn immer unterstützt hat: besonders in Momenten, in denen er aufgeben wollte - zum Beispiel, als sein Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt wurde. "Ursula war immer für mich da und hat so viel für mich gemacht", sagt Alim. "Zum Beispiel habe ich ihr gesagt, dass ich gerne einen Minijob hätte. Kurz darauf hatte sie sich dafür eingesetzt, dass ich eine Stelle in einer Autowerkstatt zum Reinigen von Autos bekomme. Mein Chef hat schnell gemerkt, dass ich Ahnung von Autos habe. Ein paar Monate später bekam ich dann einen Ausbildungsvertrag für Kfz-Mechatroniker. Und nun bin ich im zweiten Lehrjahr." Durch die Anstellung konnte sich Alim eine eigene Wohnung mieten, den Führerschein machen und ein Auto kaufen. Doch am meisten wiege die Sicherheit, die er dadurch gewonnen habe: "Über die 3+2-Regelung ist mein Aufenthalt zunächst gesichert. Es war auch eine Erleichterung, als ich endlich aus der Unterkunft ausziehen konnte in meine eigene, kleine Wohnung."
Was sich Alim für die Zukunft wünscht
Über die Arbeit lernte der junge Mann auch seine jetzige Verlobte kennen - bei der Reparatur ihres Autos. Mittlerweile hat das Paar auch alle notwendigen Unterlagen und Genehmigungen für die Heirat bekommen. "Es ist wunderschön, dieses junge Glück sehen zu können", freut sich Ursula Götzinger. "Das größte Geschenk hat Alim mir aber mit seiner Frage gemacht, ob ich Trauzeugin sein möchte. Da gab es kein Überlegen für mich. Das ist ein sehr großer Vertrauensbeweis und ich habe sofort ja gesagt." Noch dieses Jahr wird im Rahmen einer kleinen Feier die standesamtliche Hochzeit stattfinden. Als nächstes möchte Alim seine Lehre abschließen und danach seinen Meister machen. Außerdem möchte er seine Sprachkenntnisse auf C1 verbessern. Ein großer Wunsch von ihm ist es, dass seine Mutter zu Besuch nach Deutschland kommt. Er hat auch einen Rat an andere Flüchtlinge, die noch nicht so lange in Deutschland sind: "Du musst die neue Kultur, die Regeln und Gesetze akzeptieren. Du musst dich integrieren, aktiv sein und Kontakt suchen zu den Menschen. Schon lange in Deutschland lebenden Flüchtlingen, die sich nicht integrieren, rate ich: Du kannst jeden Tag neu anfangen. Du kannst jeden Tag beginnen und dein Leben ändern."
Der Text wurde auf Grundlage eines Gesprächs zwischen Alim und Ursula Götzinger, welches Frau Götzinger gemeinsam mit Alim protokolliert hat, erstellt.