„Integration beginnt im Kopf – Für ein besseres Miteinander
von Deutschen und Zuwanderern“.
Diese
Slogan ist 2006
das Jahresthema der deutschen Caritas.
In Deutschland leben heute gut 14 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund.
Hierzu zählen über vier Mio. Aussiedler mit deutschem Pass, die in den
vergangenen Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Etwa 1,5 Mio. Kinder aus
binationalen Ehen wachsen mit deutscher Staatsangehörigkeit auf. Seit der
Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes im Jahr 2000 wurden über eine Million
Ausländer zu Deutschen.
Das Ausländerzentralregister verzeichnete 2004 rund 6,7 Mio. in Deutschland
lebende ausländische Staatsangehörige. Rund 2,1 Mio. sind Staatsangehörige von
EU-Staaten, rund 4,6 Mio. sind bereits seit 20 Jahren und länger in
Deutschland, mehr als die Hälfte seit mindestens zehn Jahren. Von den über 6,7
Mio. hier lebenden Ausländern wurde jede fünfte Person in Deutschland geboren.
Hier handelt es sich bereits um die so genannte zweite oder dritte
Migrantengeneration.
Die soziokulturellen, religiösen sowie politischen Hintergründe und
Lebensgeschichten der Migranten sich vielfältig. Ebenso die Gründe, warum sie
sich dafür entschieden haben, nach Deutschland zu kommen. Eine differenzierte
Betrachtung macht dies deutlich: Unter der Bezeichnung „Menschen mit
Migrationshintergrund“ werden Aussiedler und Spätaussiedler erfasst. Genauso
zählen dazu Arbeitsmigranten, aber auch Flüchtlinge und Asylsuchende. Rund eine
Million der im Jahr 2004 in Deutschland lebenden Ausländer waren Flüchtlinge.
Nicht vergessen werden darf die ca. eine Mio. Menschen ohne Aufenthaltsstatus, deren
Zahl nur geschätzt werden kann.
1. Integrationspolitik in Deutschland
Erst die Diskussion um ein Zuwanderungsgesetz und die Arbeit der Unabhängigen
Kommission „Zuwanderung“ die 2001 ihren Bericht vorlegte, machte es möglich,
dass Deutschland als Einwanderungsland betrachtet werden kann. Doch Deutschland
erscheint oftmals als ein Einwanderungsland wider Willen. Obwohl es zu allen
Zeiten Zu- und Einwanderung in mehr oder minder großem Ausmaß gegeben hat, gab
es bisher keine konsequente und systematische Politik der Integration.
Seit Anfang 2005 gibt es das „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der
Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von
Unionsbürgern und Ausländern“. Große Hoffnungen und Erwartungen wurden damit
verbunden. Das Ziel der Initiatoren war es, ein modernes und zukunftsweisendes
Gesetz zu gestalten. Doch die jahrelangen politischen Auseinandersetzungen, die
Ereignisse des 11. September 2001 und die Anschläge in Madrid im Sommer 2004
führten dazu, dass sicherheitspolitische Regelungen das Gesetz stark prägten.
Wie wichtig gelingende Integration ist bzw. wie dramatisch es sich auswirken
kann, wenn Integration nicht gelingt, haben die Ereignisse in den vergangenen
Wochen in Frankreich gezeigt. Jugendliche, die das Gefühl haben, ausgegrenzt
und chancenlos zu sein, zeigten in einer erschreckenden Weise ihre Wut und
Verzweiflung.
Die Ereignisse in Frankreich machen deutlich, dass es bei der Integration nicht
nur um den Erwerb der Sprache geht. Die Sprache des Landes zu beherrschen, in
dem man lebt, ist eine zwingende Voraussetzung für die Gestaltung des Alltags
und den Aufbau von Kontakten. Aber sie ist eben „eine“ Voraussetzung.
Integriert zu sein heißt, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Bereiche und damit verbundene Regeln zu kennen, teilzuhaben und selbst mit zu
gestalten. Dies erfordert die Bereitschaft aller – der deutschen und der
ausländischen Bevölkerung – sich mit Respekt, Achtung und Interesse zu
begegnen. Dabei kann Gemeinsames erkannt und geteilt werden. Der Umgang mit
Unterschieden muss austariert und geklärt werden.
Die Bilder brennender Autos und Häuser, Steine werfender Jugendlicher und der
Großeinsatz der Polizei in Frankreich haben auch in Deutschland dazu geführt,
dass Fragen der Integration und zur Entstehung von Parallelgesellschaften
erneut diskutiert werden. Neben der Bereitschaft jedes einzelnen Bürgers, sich
mit dem Anderen, dem „Fremden“ auseinander zu setzen, braucht es ganz
wesentlich das Engagement der Politik, der Wirtschaft, der Verbände und der
Kirchen.
In ihrer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel zu Recht
„Integration als eine Schlüsselaufgabe dieser Zeit“ bezeichnet. Denn die
Integration der zu uns gekommenen Menschen ist eine existenzielle Zukunftsfrage
für die Gesellschaft insgesamt, aber auch für die Kirche und ihre Caritas. Als
Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche und als Teil der Zivilgesellschaft
sehen wir uns hier in einer besonderen Verantwortung.
An dieser Stelle möchte ich der neuen Beauftragten für Migration, Flüchtlinge
und Integration, Frau Dr. Böhmer, die Zusammenarbeit mit dem Deutschen
Caritasverband in Fragen von Migration und Integration anbieten. Die
vielfältigen Erfahrungen und das Wissen, dass der Verband durch sein Engagement
in den zahlreichen Migrationsdiensten erworben hat, wären bei der Entwicklung
tragfähiger Ideen und Konzepte sicher hilfreich.
2. Politische Handlungsnotwendigkeiten
Um Integration gelingen zu lassen, braucht es jedoch mehr als gute Worte. Die
Forderung nach gegenseitiger Toleranz und Wertschätzung ist wichtig, aber nicht
ausreichend. Für ein echtes Miteinander sind politische und gesellschaftliche
Bedingungen erforderlich, die das Zusammenleben fördern und unterstützen. Dazu
gehören aus unserer Sicht unter anderem folgende Handlungsnotwendigkeiten:
Die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien müssen in ein konsistentes
nationales Antidiskrimierungsgesetz umgesetzt werden. Individuelle und
strukturelle Diskriminierung sind in Deutschland noch immer weit verbreitet,
insbesondere auf dem Wohnungs- und dem Arbeitsmarkt.
Die Eingliederung von Migranten auf dem Arbeitsmarkt muss besser gelingen.
Migranten sind von Arbeitslosigkeit erheblich stärker betroffen als die übrige
Bevölkerung und sie tragen ein drei Mal so hohes Armutsrisiko. Sie sprechen oft
nicht gut genug Deutsch. Sie haben oft keine oder schlechte Schulabschlüsse,
sind unter den Auszubildenden selten vertreten und noch seltener unter den
Hochschulabsolventen. Arbeitslose Ausländer haben besonders mit Vorurteilen zu
kämpfen, die durch das Schlagwort „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ geschürt
werden. Viele Migranten scheitern an starren Förderrichtlinien, unzureichender
Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse und mangelnder Nachfrage nach
migrationsspezifischen Kenntnissen.
Das Leben in der Familie kann eine wesentliche integrative Kraft sein. Wir
lehnen daher alle Überlegungen ab, das Zuwanderungsgesetz in Hinblick auf die
Familienzusammenführung zu verschärfen. Eine weitere Erschwerung der
Familienzusammenführung steht im Widerspruch zu dem durch das Grundgesetz gesicherten
Schutz der Familie sowie dem katholischen Familienbegriff. Sie würde der
Lebenswirklichkeit vieler Migranten nicht gerecht.
Seit Jahren fordert der Deutsche Caritasverband eine Bleiberechtsregelung für
langjährig geduldete Ausländer. Viele der Betroffenen leben seit zehn oder mehr
Jahren in Deutschland und haben sich hier eingelebt. Sie sind jedoch nach wie
vor von Abschiebung bedroht. Besonders betroffen sind Familien mit Kindern, die
hier geboren und aufgewachsen sind. Zum Aufbau einer Lebensperspektive
benötigen diese Menschen dringend das Aufenthaltsrecht.
Auch für Menschen ohne Aufenthaltsrecht muss es Sicherheit und Schutz geben. So
ist es unerlässlich, dass alle Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.
Kinder müssen den Kindergarten und die Schule besuchen können, auch dann, wenn
ihre Eltern illegal in Deutschland leben.
Entscheidend ist letztlich auch die Bereitschaft der Migranten, die
politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen im Land
anzuerkennen und mitzugestalten.
3. Der Beitrag der Caritas zu einer gelingenden Integration
Der Deutsche Caritasverband engagiert sich seit vielen Jahren in der Arbeit für
und mit Migranten. Die Migrationsdienste der Caritas beraten und unterstützen
Betroffene beim Erlernen der deutschen Sprache. Sie helfen bei der
Qualifizierung und der Suche nach einer Beschäftigung. Außerdem engagieren sie
sich gegen Diskriminierung und fördern den Dialog der Kulturen und Religionen.
Die Migrationsdienste arbeiten in enger Kooperation mit Kommunen, Ämtern,
Bürgervereinen, Kirchengemeinden u.v.a. und fördern so das Miteinander von
Deutschen und Migranten. Eine besondere Stärke der Migrationsdienste ist die
vernetzte Hilfe in Zusammenarbeit mit den anderen Diensten und Einrichtungen
der Caritas.
Die vom Deutschen Caritasverband im Herbst
diesen
Jahres in Leben gerufene Befähigungsinitiative für benachteiligte Kinder und
Jugendliche will in den kommenden Jahren beispielsweise in den
Kindertagesstätten Kinder mit Migrationshintergrund in besonderer Weise beim
Erwerb der deutschen Sprache unterstützen. Dabei wird auch versucht werden, die
Eltern aktiv einzubeziehen.
Die Caritas sieht es als einen Teil ihrer
anwaltschaftlichen
Verantwortung, sich für menschenwürdige Lebensbedingungen von Migranten einzusetzen
und die Integration in unsere Gesellschaft zu unterstützen. Dazu gehört, für
ein Klima von Wertschätzung und Respekt in der Gesellschaft Sorge zu tragen.
Die Kampagne zum Jahresthema 2006 soll dazu beitragen, den Blick für das
Verbindende zwischen Deutschen und Zugewanderten zu öffnen. Als Caritas wollen
wir damit einen Beitrag leisten, bestehende Ängste abzubauen und die
gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz zu stärken. So kann der Blick auf das
Gemeinsame helfen, mit den Unterschieden besser umzugehen.
Herr Dr. Broch, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen
Caritasverbandes, stellt ihnen nun vor, welche Überlegungen bei der Entwicklung
der Kampagne leitend waren und wie diese visualisiert wurden. Ganz herzlich
danke ich den Mitarbeitenden der Agentur BBDO in Düsseldorf, die erneut
unentgeltlich die Entwicklung und Realisierung der Kampagne übernommen haben.
Stellungnahme
Statement von Präsident Dr. Neher im Rahmen der Pressekonferenz am 14. Dezember 2005 in Berlin: "Jahresthema 2006: Integration beginnt im Kopf. ...
Erschienen am:
14.12.2005
Beschreibung