Angesichts einer vermutlich
bevorstehenden Wahl im September 2005 formuliert der Deutsche Caritasverband
seine Erwartungen an eine solidarische und gerechte Politik im Interesse aller
Bürger(innen) dieses Landes.
Der Reformbedarf der sozialen Sicherungssysteme steht außer Frage. Den Status
quo zu erhalten hieße, auch zukünftig Gerechtigkeitsdefizite, die zum Beispiel
aufgrund der Bevölkerungsentwicklung entstehen, zu akzeptieren. Gleichzeitig
sind die Sicherungssysteme nicht mehr nachhaltig und demographiefest. Die
Finanzierung über die Lohnnebenkosten und die damit verbundene enge Kopplung an
den Faktor Arbeit haben dazu geführt, dass Arbeit in Deutschland zu teuer ist.
Dies ist ein wesentlicher Grund für die hohe Arbeitslosigkeit in der
Bundesrepublik.
Der Deutsche Caritasverband formuliert Kriterien, an denen sich die
Sozialpolitik messen lassen muss. Ziel der Sozialpolitik muss sein, jede(n)
Einzelne(n) zu einem eigenverantwortlichen und solidarischen Leben zu
befähigen. Für Menschen, die sich nicht oder nicht mehr selbst helfen können,
muss es ein unterstes soziales Netz geben, das ein Leben in Würde ermöglicht.
Das Ziel aller Unterstützungsleistung muss sein, Menschen zu befähigen, sich
selbst helfen zu können.
Der solidarische Gedanke muss wieder im Mittelpunkt politischer und
gesellschaftlicher Überlegungen stehen. Der Sozialstaat nützt allen und braucht
die Unterstützung aller. Alle Bürger brauchen ein Netz von Diensten in den
Bereichen Gesundheit und Pflege, aber auch in der Bildung und in der
Kinderbetreuung. Die Caritas bemüht sich, ihre Einrichtungen als Orte der
Solidarität und der Hilfe zur Selbsthilfe erfahrbar zu machen. Differenzierte
Angebote in diesen Bereichen sind ein Standortvorteil für Deutschland.
Der Deutsche Caritasverband richtet seine besondere Aufmerksamkeit auf die
Menschen in dem Drittel der Bevölkerung, das mit einem niedrigen Einkommen
zurechtkommen muss. Bei dieser Gruppe geht es in besonderem Maße um die
Sicherung der Existenz und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe.
Gerade diese Menschen haben in der politischen Debatte oft keine Stimme.
Am Beispiel der zukünftigen Finanzierung des Gesundheitssystems soll deutlich
gemacht werden, welche Maßstäbe der Deutsche Caritasverband an die vorgelegten
Prämien- beziehungsweise Bürgerversicherungsmodelle legt. Jeder Mensch hat ein
Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung. Wichtig ist dabei auch,
Menschen zur gesundheitlichen Selbst- und Vorsorge zu befähigen. Der Zugang zu
Gesundheitsleistungen darf nicht von Alter, Einkommen, sozialer Schicht,
Bildung oder Herkunft abhängen. Niemand darf durch Krankheit bedingt unter die
finanzielle Grenze des soziokulturellen Existenzminimums fallen. In der
Gesundheitsversorgung muss die Finanzierung solidarisch von Gesunden und
Kranken, Einkommensstarken und Einkommensschwachen getragen werden. Dazu
gehört, dass sich alle nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch
Beiträge oder Steuern angemessen beteiligen müssen. Der Deutsche Caritasverband
wird bei der Einführung neuer Finanzierungssysteme für das Gesundheitswesen,
aber auch anderer sozialer Sicherungssysteme darauf achten, dass keine
Umverteilung zulasten von Geringverdienenden, insbesondere von Familien mit
mehreren Kindern und allein Erziehenden, stattfindet.
Die zukünftigen Mandatsträger stehen in der Verantwortung, konsequent
langfristige und nachhaltige Veränderungen des sozialen Systems durchzuführen.
Nur so können der soziale Friede gefördert und wirtschaftliches Wachstum
erreicht werden. Grundsätzlich muss der Sinn notwendiger sozialpolitischer
Reformen den Bürger(inne)n vermittelt und transparent gemacht werden, um die
Reformfähigkeit unserer Gesellschaft und des sozialen Systems langfristig zu
erhalten. Der Deutsche Caritasverband versteht sich als Anwalt,
Dienstleister
und Solidaritätsstifter und wird seinen
Beitrag für eine nachhaltige Sozialpolitik und eine solidarische Gesellschaft
leisten.
Die Kriterien des Deutschen Caritasverbandes für eine Politik, die das Ziel der
Solidarität, Gerechtigkeit und Befähigung aller verfolgt, können unter den
Überschriften „Armut und Ausgrenzung bekämpfen, Menschen befähigen“ und „Arbeit
schaffen“ zusammengefasst werden. Im Folgenden werden die Kriterien für einige
zentrale politische Handlungsfelder konkretisiert.
Armut und Ausgrenzung bekämpfen, Menschen befähigen
•
Das Existenzminimum:
transparent festlegen und individuelle Bedarfe berücksichtigen
Die Höhe der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes II wurden im Rahmen der
Sozialreformen zum 1. Januar 2005 neu festgelegt. Eine öffentliche Debatte zur
Höhe und Ausgestaltung wurde damals nicht geführt. Der Regelsatz wurde auf dem
Stand der früheren Sozialhilfe eingefroren und einmalige Leistungen werden nun
pauschaliert gewährt.
Aufgabe der Sozialhilfe soll es sein, „den Leistungsberechtigten die Führung
eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht“ (§ 1 SGB
XII). In einer Reihe von Fällen erfüllt sie diese Aufgabe nicht mehr.
Ausgangspunkt der Bemessung der Sozialhilfe im letzten Jahr waren die Ausgaben
von Niedrigeinkommenshaushalten nach der Einkommens- und Verbraucherstichprobe
aus dem Jahr 1998. Die ermittelten Werte wurden dabei um rund ein Drittel
gekürzt. Leistungen für Kinder wurden freihändig festgelegt und für ältere
Kinder gekürzt. Auch darüber wurde keine öffentliche Debatte geführt.
Die Ausgaben von Empfänger(inne)n der so genannten Grundsicherung in den
Bereichen Zuzahlungen zu Medikamenten, Praxisgebühren und insbesondere für
selbst zu zahlende nicht verschreibungspflichtige Medikamente sind in den
Regelsätzen und Pauschalierungen nicht berücksichtigt. Dies führt dazu, dass in
Einzelfällen Menschen weit unter die schon bisher knapp bemessenen Grenzen des
Existenzminimums fallen.
Die durchgängig pauschalierten Grundsicherungsleistungen des Arbeitslosengeldes
II und des Sozialgeldes (SGB II) berücksichtigen keine besonderen
Lebenssituationen, in denen ein wesentlich höherer Bedarf vorliegen kann. Das
SGB II enthält keine Öffnungsklausel für solche überdurchschnittlichen Bedarfe.
Die amtierende Bundesregierung lehnt es ab, hier etwas zu ändern. Wie
restriktiv die neuen Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums sind, zeigt
dieses Beispiel: Was bekommt eine junge Mutter für ihr erstes Baby zusätzlich
zu ihrer Regelleistung? Ein Kinderbett? Eine Wickelkommode? Einen Kinderwagen?
Nichts von alledem. Lediglich die Sonderbeihilfe für die erste
Stramplergarnitur
wird gewährt.
Die Regelsätze für das Existenzminimum müssen in Deutschland endlich in einem
transparenten Verfahren und nach einer öffentlichen Debatte festgelegt werden.
Sie müssen ein menschenwürdiges Leben für aktuell über fünf Millionen Menschen
ermöglichen. Die Belastungen aufgrund anderer Sozialreformen, wie
beispielsweise der Gesundheitsreform, sind ausreichend zu berücksichtigen. Das
Existenzminimum muss auch besondere Lebenssituationen durch die Gewährung von
Beihilfen oder Mehrbedarfzuschlägen berücksichtigen. Dass selbst eine
Babyerstausstattung nicht mehr gewährt wird, ist nicht hinnehmbar.
•
Armuts- und
Reichtumsberichterstattung weiterführen
Die amtierende Bundesregierung ist ihrer Selbstverpflichtung nachgekommen und
hat inzwischen zwei Armuts- und Reichtumsberichte vorgelegt. Erstmals wurden
dadurch die Realität von Armut, steigender Einkommens- und
Vermögensungleichheit sowie die Situation von Menschen in besonders prekären
Lebenslagen in einem Regierungsbericht öffentlich gemacht.
Die begonnene Armuts- und Reichtumsberichterstattung muss auch von der nächsten
Regierung fortgesetzt werden. Die Analyse der Lebenslagen in Deutschland ist
einer unabhängigen wissenschaftlich ausgewiesenen Institution (vergleichbar mit
dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Situation) zu
übertragen, wie es die katholischen Bischöfe in ihrem Impulspapier „Das Soziale
neu denken“ mit ihrem
Sozialstaats-TÜV
gefordert
haben. Die Wohlfahrtsverbände müssen mit ihren Erfahrungen an der Erarbeitung
beteiligt werden. Der nächste Armuts- und Reichtumsbericht ist direkt nach
Beginn der neuen Legislaturperiode in Auftrag zu geben und muss insbesondere
die Auswirkungen der Sozialreformen auf die Menschen in dem Bevölkerungsdrittel
untersuchen, das ein geringes Einkommen und kein Vermögen hat, sowie die
Verteilungswirkungen der Steuerreformen der letzten Jahre öffentlich machen.
Die Ergebnisse des
Sozialmonitoringprozesses
, den die
Wohlfahrtsverbände mit der amtierenden Bundesregierung begonnen haben, sind zu
berücksichtigen. Zur Weiterführung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung
wird die Caritas weiterhin die Auswirkungen der Sozialreformen auf Menschen,
die bei ihr Hilfe suchen, sammeln und in gemeinsamen Gesprächen mit der
Bundesregierung Lösungsvorschläge unterbreiten. Eine Evaluierung der
Auswirkungen bleibt auf der Tagesordnung der Caritas.
•
Benachteiligte Kinder und
Familien befähigen
Familie und Kinder sind das Fundament unserer Gesellschaft. Familienpolitische
Reformen, die auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen, wollen
bevölkerungspolitische Impulse setzen. Auch wenn dies unbestreitbar ein
zentrales Ziel wirkungsvoller Familienpolitik sein muss, darf darüber die
prekäre materielle Situation vieler Familien nicht bagatellisiert werden. Der
in diesem Jahr eingeführte Kinderzuschlag für Haushalte mit Niedrigeinkommen,
der verhindern soll, dass Eltern allein wegen ihrer Unterhaltsverpflichtungen
auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, greift mit seiner
restriktiven Ausgestaltung viel zu kurz. Außerdem sind die Regelungen zu
kompliziert. Der Deutsche Caritasverband sieht im Ausbau des Kinderzuschlags
zusätzlich zum Kindergeld zu einer gesellschaftlichen Absicherung des
Kinderexistenzminimums für Bezieher von Niedrigeinkommen eine Möglichkeit, dass
Kinder für ihre Eltern nicht mehr zum Armutsrisiko werden.
Aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes müssen familienpolitische Komponenten
bei allen Reformschritten beachtet werden, um auch zukünftig die Freude an
Kindern und die Lust auf Kinder in der Gesellschaft zu erhalten.
Die Caritas setzt sich in ihren vielfältigen Diensten, insbesondere in den
10.000 katholischen Kindergärten, besonders für Kinder ein, die in der
Gesellschaft ausgegrenzt sind oder verminderte Chancen haben. Sprach- und
Bildungsförderung für Kinder mit
Migrationshintergrund
werden in vielfältigen Initiativen und Programmen erprobt. Der Deutsche
Caritasverband setzt sich besonders für Familien mit niedrigem Einkommen ein
und will sie und ihre Kinder befähigen, ihre Chancen im Leben verwirklichen zu
können. Damit dies gelingen kann, ist ein Rechtsanspruch auf eine verlässliche
Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren dringend notwendig. Für die
Bezieher(innen) von Niedrigeinkommen und arme Familien mit
Migrationshintergrund
soll der Kindergartenplatz beitragsfrei sein. In einem ersten Schritt ist dies
zumindest für das letzte Lebensjahr vor der Grundschule anzustreben, um eine
gemeinsame Sozialisation aller Kinder zu befördern.
Im Durchschnitt erlangen 15 Prozent eines Jahrgangs junger Erwachsener keinen
Berufsabschluss. Deshalb muss in Kindergarten und Schule sowie in allen
gesellschaftlichen Bezügen, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, die
Priorität der „Befähigung“ gelten. Deshalb wirbt der Deutsche Caritasverband
für eine Befähigungsinitiative, damit junge Menschen ihre Lebenschancen
verwirklichen können. Insbesondere benachteiligte Kinder und Jugendliche
brauchen eine stärkere Unterstützung.
Der Deutsche Caritasverband tritt für Solidarität mit Menschen in allen
Lebensphasen ein. Im Rahmen des medizinischen Fortschrittes und der Entwicklung
der Lebenswissenschaften entstehen viele ethische Fragen, die insbesondere
Menschen am Lebensanfang und Lebensende betreffen. Der Deutsche Caritasverband
setzt sich dafür ein, dass auch für die kommende Legislaturperiode ein
parlamentarisch legitimiertes Gremium, zum Beispiel in einer ähnlichen Form wie
die bisherige Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“, vom
Bundestag einberufen wird, das drängende biowissenschaftliche und medizinische
Fragen aufgreift und Empfehlungen entwickelt.
•
Integration ist eine
gemeinsame Aufgabe
Integration bedeutet Eingliederung in wirtschaftlicher, sozialer und
kultureller Hinsicht. Es muss ein Integrationsprogramm entwickelt werden, das
allen Zugewanderten offen steht sowie Beratungsmöglichkeiten und auf die
individuellen Kompetenzen abgestimmte Integrationsmaßnahmen bietet. Dabei muss
insbesondere die „nachholende“ Integration der bereits länger im Land
befindlichen Ausländer(innen) geleistet werden.
Deutschland ist ein Einwanderungsland: Nach Jahrzehnten der Migration sind die
Zuwandererzahlen seit Jahren rückläufig. 2003 wanderten per Saldo nur 143.000
Personen zu, 2004 etwa 70.000 bis 80.000. Ängste vor zu starker Zuwanderung
sind aus Sicht des
Deutschen Caritasverbandes daher unbegründet. Im Rahmen der Kampagnen zum
Caritas-Jahresthema 2006 wird Integration als Aufgabe für alle in Deutschland
dargestellt. Deutschland muss sich innerhalb eines offenen, zusammenwachsenden
Europas als offenes Land präsentieren. Dieses Ziel wurde mit dem
Zuwanderungsgesetz, das seinem Namen und seinen Inhalten nach ein „Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ ist, nicht erreicht. Mit seinem
ordnungsrechtlichen Charakter nimmt es Ausländer(innen) als Sicherheitsrisiko
wahr und ist zu wenig
integrationsfördernd
.
Immer wieder zeigt sich in Deutschland rassistisches oder ausländerfeindliches
Verhalten. Die Situation von und die Einstellung gegenüber denen, die als
„Ausländer“ betrachtet werden, ist teilweise Besorgnis erregend. Das wirksame
Vorgehen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist aus Sicht des Deutschen
Caritasverbandes eine Voraussetzung für gelingende Integration. In dem
gegenseitigen Prozess der Integration darf nicht nur
Migrant
(
inn
)en eine Integrationsleistung abverlangt werden, sondern
es muss sich auch die Gesellschaft ihnen gegenüber öffnen.
Trotz der Verbesserungen im Flüchtlingsschutz durch das Zuwanderungsgesetz
kommt Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen noch nicht in vollem
Umfang nach. Insbesondere die Situation von langjährig geduldeten
Ausländer(inne)n bleibt prekär. Deshalb plädiert der Deutsche Caritasverband
für eine entsprechende Bleiberechtsregelung. Weiter muss das Zuwanderungsgesetz
beispielsweise in Bezug auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge noch
nachgebessert werden.
Menschen, die sich ohne Papiere und ohne gesicherten Rechtsstatus in
Deutschland aufhalten, ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.
Ihren Kindern muss der Schulbesuch ermöglicht werden.
Der Deutsche Caritasverband lehnt aktuelle Vorschläge ab, das
Zuwanderungsgesetz im Hinblick auf die Familienzusammenführung zu verschärfen.
Eine weitere Erschwerung der Familienzusammenführung steht im Widerspruch zum
grundgesetzlichen Schutz der Familie sowie dem katholischen Familienbegriff und
wird der Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen vieler
Migrant
(
inn
)en nicht gerecht.
•
Antidiskriminierungspolitik
Individuelle und strukturelle Diskriminierung sind in Deutschland weit
verbreitet. Aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes müssen daher die
europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien in ein konsistentes nationales
Antidiskriminierungsgesetz umgesetzt werden. Erforderlich ist auch eine breit
angelegte Kampagne zur Gleichbehandlung, die alle Akteure in Politik und
Gesellschaft einbezieht.
Arbeit schaffen
•
Hartz
IV – Arbeitsmarktreformen nachbessern
Der Deutsche Caritasverband hat die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe im Grundsatz als notwendig erachtet. Die Zusammenlegung entsprach
einer alten Forderung, welche die
verbandliche
Caritas aus ihrer Armutsstudie zu Beginn der 90er-Jahre ableitete.
Im alten System gab es zu wenig integrierende Förderung für Menschen, die von
Sozialhilfe abhängig waren – und die Verschiebebahnhöfe des alten Systems
sollten in der Kritik an
Hartz
IV heute nicht
vergessen werden. Der Deutsche Caritasverband hat jedoch von Anfang an deutlich
gemacht, dass Fordern und Fördern sich gegenseitig bedingen. Unter den
derzeitigen wirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingen können nicht
genügend Arbeitsplätze entstehen.
Der Deutsche Caritasverband hat zu Beginn dieses Jahres in seinen Einrichtungen
und Diensten im Rahmen des
Sozialmonitoring
eine
erste Erhebung zu den Auswirkungen der Arbeitsmarktreformen durchgeführt. Dabei
wurden erhebliche Mängel in der Konstruktion der Gesetze, aber auch bei deren
Umsetzung, entdeckt.
Die mit
Hartz
IV verbundenen Einkommensverluste für
Arbeitslose und die verstärkten Anforderungen an Eigenleistungen und
Eigenverantwortung sind nur zu vertreten, wenn individuelle Betreuung,
Förderung und ausreichend Mittel für Eingliederungsleistungen zur Verfügung
stehen. Gerade dieser Teil der Reformen ist bislang, so die Rückmeldungen von
vielen Caritasstellen vor Ort, viel zu schleppend in Gang gekommen.
Die verbesserte Betreuung und schnellere Vermittlung von Arbeitsuchenden war
eine zentrale Zielsetzung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Für jeden Langzeitarbeitslosen soll ein persönlicher Ansprechpartner zuständig
sein. Für
ALG-II-Empfänger
mit schwerwiegenden
Vermittlungshemmnissen und für Hilfebedürftige unter 25 Jahren sollen
Fallmanager(innen) eingesetzt werden. Die vorgesehenen Betreuungsschlüssel (zum
Beispiel 1:75 für Jugendliche unter 25 Jahren) werden jedoch noch lange nicht
erreicht. Persönliche Ansprechpartner und Fallmanager(innen) sind immer noch in
zu geringer Zahl vorhanden oder überwiegend mit Verwaltung anstatt mit
Betreuung und Vermittlung beschäftigt.
Der Aufbau des Fallmanagements muss zügig vorangetrieben werden. Zudem ist es
unabdingbar, dass Fallmanager(innen) auch eine hinreichende Qualifizierung und
Beratungskompetenz erhalten. Für die persönlichen Ansprechpartner empfiehlt
sich die Entwicklung eines Anforderungsprofils (zum Beispiel Fallsteuerung,
Prozessplanung, Kenntnisse der regionalen Trägerstruktur), da diese
Personengruppe für die erfolgreiche Vermittlung von erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen eine spezifische Qualifizierung benötigt. Wie nötig dies ist,
zeigt folgendes Beispiel: Beim Erstgespräch mit Jugendlichen wird in einem
Leitfaden der Bundesagentur eine Einteilung der Jugendlichen in zwei Kategorien
verlangt: „Kann nicht“ oder „Will nicht“. Schon das Tragen eines
Tattoos
oder ein
Piercing
wird
als sichtbares Zeichen des „
Will-nicht
“ gesehen, und
damit kann der Weg zu einem intensiveren Fallmanagement versperrt und das
Einleiten von Sanktionen verbunden sein.
Aktivierung und Teilhabe setzen Wahlrechte der Bürger voraus. Obwohl die
Hilfebedürftigen nun als Kund(
inn
)en bezeichnet
werden, wird ihren Wünschen und Vorstellungen in der Praxis viel zu wenig
Beachtung geschenkt. Zum Beispiel können Arbeitsuchende meist nicht wählen,
welchen Zusatzjob sie annehmen wollen. Auch im SGB II muss deshalb im Hinblick
auf Eingliederungsleistungen ein Wahlrecht der Betroffenen gesetzlich
ausdrücklich vorgesehen werden. Die Fallmanager(innen) verfügen über viel Macht.
Sie können Leistungskürzungen verhängen, wenn der arbeitslose Jugendliche die
Eingliederungsvereinbarung nicht unterschreibt, auch wenn dies möglicherweise
durchaus legitime Gründe hat. Jugendliche, die mit ihrem Fallmanager nicht zu
einer gütlichen Einigung kommen, brauchen eine Vertrauensperson, die
vermittelnd für sie eintreten kann.
•
Mehr Jobs für gering
Qualifizierte
Unter den derzeitigen Bedingungen gibt es zu wenig Arbeitsplätze insbesondere
für gering Qualifizierte. Im Vergleich der OECD-Länder hat Deutschland die bei
weitem höchste Arbeitslosenquote in dieser Personengruppe. Druck kann das
Problem nicht lösen. Es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass
Unternehmen auch Menschen mit geringer Qualifikation zu lohnenden Bedingungen
beschäftigen können. Geboten ist aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes eine
spezifische Entlastung gering qualifizierter Arbeit bei den Lohnnebenkosten.
Denn insbesondere dort bewirkt der hohe Abgabenkeil zwischen Bruttolohnkosten
der Unternehmen und Nettolöhnen, dass sich gering qualifizierte Arbeit für die
Unternehmen nicht lohnt beziehungsweise diese in die Schwarzarbeit abgedrängt
wird.
Es braucht weitere Reformschritte, damit die Integration in den ersten
Arbeitsmarkt gelingen kann. Deutlich mehr Beschäftigung für gering
Qualifizierte wird es nur geben, wenn auch niedrig entlohnte Beschäftigungen im
Dienstleistungsbereich ausgeweitet werden. Hier bedarf es aber ergänzender
sozialer Leistungen. Eine neue Regierung sollte den Mut finden, ein
nachhaltiges System von Kombi-Löhnen zu schaffen. Ziel ist, Arbeit zu fördern
statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Der Deutsche Caritasverband teilt die
ermutigende Mahnung des Bundespräsidenten, dieses Ziel zu verfolgen, auch wenn
einzelne Modellprojekte hierzu noch nicht den durchschlagenden Erfolg hatten.
Sicherung des Existenzminimums und Integration von gering Qualifizierten in den
ersten Arbeitsmarkt gemeinsam werden ohne diesbezügliche Reformschritte nicht
in ausreichendem Umfang funktionieren.
Der Deutsche Caritasverband begrüßt, dass die
Zuverdienstmöglichkeiten
in einer Novellierung des SGB II (
Hartz
IV) deutlich
verbessert wurden. Der Deutsche Caritasverband hat sich hierfür sehr
eingesetzt. Es war aus Caritas-Sicht kontraproduktiv, dass ein Zusatzjob oft
attraktiver war als ein Minijob, da dieser häufig besser geeignet ist, eine
Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Die Wirkungen dieser Reform
müssen weiter beobachtet werden. Der Deutsche Caritasverband wird dies im
begonnenen
Sozialmonitoring
weiterführen.
Gegebenenfalls sind hier weitere Reformschritte notwendig, etwa eine zeitlich
befristete Freistellung eines Minijobs von der Anrechnung auf das SGB II.
Arbeitslosigkeit ist eine massive Form der Ausgrenzung, auch wenn sie in einem
Sozialstaat stattfindet. Die beste Armutsbekämpfung und -prävention ist Arbeit.
Insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit bedroht Menschen mit Armut. Diejenigen,
die Zugang zum Arbeitsmarkt haben, können sich weit häufiger aus der
Armutssituation befreien, was den dauerhaft Arbeitslosen nicht gelingt. Bei
einer zunehmenden internationalen Konkurrenz wird es allerdings immer
schwieriger, dass gering Qualifizierte, die Verantwortung für Familien tragen,
Löhne erhalten, die das Existenzminimum sichern. Daher braucht es im unteren
Einkommenssegment eine Kindergrundsicherung, die verhindert, dass Kinder dort
ein Armutsrisiko werden, sowie geeignete Formen der Lohnergänzung. Zudem ist es
kein unentrinnbares Schicksal, nicht qualifiziert zu sein. Es kommt darauf an,
Menschen zu befähigen, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können.
•
Zweiter Arbeitsmarkt für
Benachteiligte notwendig
Angesichts der heutigen Situation auf dem Arbeitsmarkt ist die Lage der
Menschen, die seit mehr als zwei Jahren arbeitslos sind, und von Personen mit
multiplen Vermittlungshemmnissen (zirka 96.000) als aussichtslos zu bezeichnen.
Aufgrund beschränkter finanzieller Mittel für die „Förderung“ (nach SGB III)
werden arbeitslose „Kunden“, die leicht vermittelbar scheinen, von den
Arbeitsagenturen bevorzugt bedient. Die übrigen Kunden, die eher
„Betreuungsfälle“ für Fallmanager(innen) sind, können selbst mit individueller
Beratung und eingebettet in einen Resozialisierungsprozess nur schwer zu einem
Arbeitsplatz gelangen. Für ihre Förderung stehen keine finanziellen Mittel zur
Verfügung.
Diese Menschen brauchen Begleitung und
Coaching
und
müssen immer wieder motiviert werden, um eine verkettete Problematik Stück für
Stück – Scheitern inbegriffen – aufzuarbeiten. Verschiedene Projekte der
Caritas haben es sich zur Aufgabe gemacht, in derzeit zirka 135 Beschäftigungs-
und Qualifizierungseinrichtungen 3656 Menschen durch Arbeit und psychosoziale
Begleitung in ihrem Lebenszusammenhang zu stabilisieren. Dabei gelang es, rund
20 Prozent der Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Der Deutsche Caritasverband ist bereit, in diesem zweiten Arbeitsmarkt
weiterhin tätig zu sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen dies
ermöglichen, um auch den Menschen eine Chance zu geben, die bedrückende
Erfahrungen der Ausgrenzung gemacht
haben und wieder eine Teilhabe anstreben. Die Träger solcher Beschäftigungs-
und Qualifizierungsmaßnahmen brauchen hierfür eine gesicherte öffentliche
Finanzierung. Der zweite Arbeitsmarkt kann seine Aufgabe zur Integration nur
leisten, wenn auch der erste Arbeitsmarkt mehr Chancen für gering Qualifizierte
ermöglicht. Durch Kombilohnmodelle und eine spezifische Entlastung der
Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich kann mehr Arbeit für gering Qualifizierte
im ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden.
Die
verbandliche
Caritas hat vor einem Jahr ihre
Bereitschaft erklärt, zur Integration von gering Qualifizierten und Menschen
mit Vermittlungshemmnissen Zusatzjobs einzurichten. Dies ist ein Versuch der
Caritas, unter dem gegebenen gesetzlichen Rahmen Perspektiven für Menschen ohne
Beschäftigung beizutragen. Die Bereitschaft, bei der Schaffung von Zusatzjobs
mitzuwirken, ist an ganz eindeutige Bedingungen geknüpft: Sie dürfen reguläre
Arbeit nicht verdrängen, sie müssen durch Qualifizierungselemente für den
Inhaber/die Inhaberin der Arbeitsgelegenheit nützlich sein, sie dürfen nicht zu
einer Qualitätseinbuße in den Einrichtungen führen. Und nur über eine
freiwillige Vereinbarung zwischen Arbeitsuchendem und Einrichtung kann es zu
einem Einsatz in sozialen Einrichtungen und Diensten kommen, die einen Dienst
am Menschen leisten. Der Deutsche Caritasverband erhebt derzeit die hierbei
gewonnenen Erfahrungen. Er überprüft dabei auch kritisch, ob er die selbst
gesetzten Kriterien erfüllt. Die Caritas wird die Öffentlichkeit darüber
gesondert informieren.
•
Wiedereinstieg
nach Familienarbeit
Wie kaum in einem anderen Land werden in Deutschland ältere Arbeitnehmer(innen)
diskriminiert. Es zeichnet sich ein weiteres Problem ab. Im jetzigen System der
Arbeitsmarktpolitik laufen Frauen, die lange Jahre durch die Erziehung von
Kindern und die Pflege von Angehörigen eine gesellschaftlich bedeutende Aufgabe
geleistet haben, Gefahr, benachteiligt zu werden. Wenn sie aufgrund ihrer Ehe
mit einem Ehemann, der Arbeit hat, nicht bedürftig sind, werden sie im Bereich
der aktiven Arbeitsförderung nur sehr nachrangig unterstützt. Die Arbeitsagenturen
konzentrieren sich auf die Empfänger(innen) von Arbeitslosengeld I und
Arbeitslosengeld II. Geringe Chancen zum
Wiedereinstieg
in den Arbeitsmarkt nach einer längeren Familienphase oder einer Unterbrechung
zur Pflege von Angehörigen wird aber zwangsläufig zu vielen individuellen
Entscheidungen führen, diese für die Gesellschaft wichtige Leistung nicht zu
erbringen.
•
Arbeitnehmerschutzrechte
notwendig
Diskutiert wird derzeit der Umfang des Kündigungsschutzes. Ein radikaler Abbau
von Arbeitnehmerschutzrechten würde das Gefühl der Unsicherheit der
Arbeitnehmer(innen) verstärken. Dies wäre für die konjunkturelle Situation und
die Binnennachfrage nachteilig. Dieses Argument schließt nicht Reformen im
Bereich des Kündigungsschutzes dort aus, wo über moderate Reformen versucht
wird, die Neueinstellung von Arbeitslosen zu erreichen.
•
Freiwillige sind die Stützen
der Gesellschaft
Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement wird in der aktuellen politischen
Debatte vorrangig als Faktor der Kostendämpfung betrachtet. Der Deutsche
Caritasverband lehnt eine solche einseitige Sichtweise ab. Solidarisch stärken
Ehrenamtliche und Freiwillige gemeinsam mit den beruflich im Sozialbereich
Tätigen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie sind wesentliche Stützen der
Gesellschaft. Mit ihren Leistungen erbringen Ehrenamtliche und Freiwillige auch
einen beachtlichen volkswirtschaftlichen Nutzen.
Ehrenamt und freiwilliges Engagement brauchen deshalb unterstützende und
befähigende Rahmenbedingungen. Hierzu gehören Qualifizierung und Begleitung
ebenso wie die Bereitstellung von Startmitteln und von Rechtsformen, in denen
dieses Engagement ohne einengende Bürokratie, aber mit hinreichender Sicherheit
seinen Platz findet. Der deutsche Caritasverband appelliert an die Politik, diese
Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln und die notwendigen Mittel nicht als eine
Haushaltsbelastung, sondern als Zukunftsinvestition in ein gelingendes soziales
Gemeinwesen anzusehen. Der Deutsche Caritasverband kann mit seinen großen
Netzwerken Ehrenamtlicher in Pfarreien, Verbänden und Gruppen sowie
Freiwilligen-Zentren und Projekten exemplarisch aufzeigen, wie gelingende und
nachhaltige Lösungen im sozialen Raum aussehen können. Er bietet der Politik
seine ausdrückliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit an.
•
Ein sozial gerechtes
Steuersystem
Ein gerechtes Steuersystem ist eine Voraussetzung für eine gerechte
Gesellschaft. Öffentliche Aufgaben müssen definiert und die hierfür notwendigen
Mittel nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit über Steuern aufgebracht werden.
Das Steuersystem in Deutschland muss grundlegend neu gestaltet werden. Der
Deutsche Caritasverband wird bei allen Reformdebatten immer darauf achten, dass
die Verteilungswirkungen im Steuersystem auch zusammen mit den Reformschritten
im Sozialversicherungssystem gesehen werden.
Beim Umbau des Steuersystems muss die Steuerlast leistungsgerecht und sozial
gerecht verteilt und die Transparenz des Verfahrens sowie des Tarifs erreicht
werden. Das Steueraufkommen muss auf die jeweilige Ebene staatlichen Handelns
verteilt werden. Aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes muss sich der Umbau
des Steuersystems insbesondere dahingehend auswirken, dass intendierte
Entlastungen besonders Familien mit mehreren Kindern und Geringverdiener(innen)
besser stellen. Durch eine solche Ausrichtung könnten auch nicht intendierte
Verteilungseffekte aus den jüngsten Reformen der sozialen Sicherungssysteme
ausgeglichen werden.
Einen wichtigen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit stellen die Erhöhung der
Verfahrenstransparenz und die Übersichtlichkeit des Steuertarifs dar.
Insbesondere müssen die vielfältigen Ausnahmetatbestände,
Abschreibungsmöglichkeiten und Sonderprivilegien drastisch reduziert werden,
weil durch sie Ungerechtigkeiten entstanden sind. Subventionen müssen nach ihrer
steuernden Wirkung bewertet werden. Sie sind danach zu überprüfen, ob nicht
einzelne Gruppen oder Regionen ungerechtfertigt bevorzugt werden. Insbesondere
die Abschreibungsmöglichkeiten bei fremd genutzten Immobilien müssen drastisch
eingeschränkt werden. Seit Jahren ist das Aggregat aller Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung bei der Einkommensteuer negativ. Dies kann nicht die
Realität widerspiegeln, denn Personen mit Vermögen würden nicht dauerhaft in
den Immobiliensektor investieren, wenn hier nur Verluste zu machen wären. In
den vergangenen Jahren sind durch die Senkung des Spitzensteuersatzes von 52
auf 42 Prozent besser situierte Haushalte deutlich entlastet worden, ohne dass
gleichzeitig Steuervermeidungsmöglichkeiten abgeschafft worden wären.
Die generelle Senkung des Einkommenssteuersatzes kann derzeit kein Ziel an sich
sein, angesichts der heute bestehenden Schieflage in den öffentlichen
Haushalten. Vordringlich ist aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes, die
Sozialversicherungen von versicherungsfremden Leistungen zu entlasten, damit
die Lohnnebenkosten sinken können. Zudem muss die Finanzkraft der Kommunen
gesteigert werden, auf deren Ebene die Erstzuständigkeit im sozialen Bereich
liegt. Derzeit werden viele dringend notwendige soziale Leistungen auf
kommunaler Ebene eingeschränkt, für die keine gesetzlichen Verpflichtungen
bestehen. Dies trifft insbesondere von Ausgrenzung bedrohte Menschen wie
überschuldete Personen oder Obdachlose.
Derzeit ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in der politischen Diskussion. Für
die Bewertung eines solchen Schrittes ist entscheidend, ob auch dies Teil einer
Steuerpolitik ist, die zu mehr Transparenz und zu einer Entlastung der
Lohnnebenkosten führt. In keinem Falle darf die Mehrwertsteuer zu einer Kompensation
einer weiteren Senkung der Einkommenssteuer genutzt werden. Bekanntermaßen hat
die Mehrwertsteuer eine sozial problematische degressive Wirkung. Der Deutsche
Caritasverband regt an zu prüfen, ob ein Mehrwertsteuersplitting dem
entgegenwirken kann, das heißt eine Spaltung in einen niedrigeren Tarif für die
Produkte zur Deckung des Grundbedarfs und die spezifischen Bedarfe für Kinder
sowie eine Erhöhung des Tarifs für alle sonstigen Produkte und
Dienstleistungen. Der Deutsche Caritasverband weist sehr eindrücklich darauf
hin, dass höhere Mehrwertsteuersätze auch zu Anpassungen der Sozialleistungen
für Grundsicherungsempfänger(innen) und Familien mit niedrigem Einkommen führen
müssen. Mit der Mehrwertsteuererhöhung darf keine erneute Absenkung des Existenzminimums
verbunden sein.
Deutschland braucht eine Steuerreform, die drei Zielen folgt: Sie muss
ungerechte Steuervermeidungsmöglichkeiten beseitigen und damit mehr Transparenz
und Leistungsgerechtigkeit herstellen. Und sie muss durch die Entlastung der
Lohnnebenkosten – insbesondere für gering qualifizierte Arbeit – Arbeit
billiger machen und damit Arbeitslosigkeit bekämpfen. Schließlich müssen die
Belange von Familien, insbesondere derer im Bevölkerungsdrittel mit niedrigem
Einkommen, beachtet werden. Im Rahmen einer solchen Reform können auch andere
Steuerarten daraufhin überprüft werden, ob sie einen stärkeren Beitrag zu
diesen beiden Zielen leisten können. Die Caritas appelliert an die politischen
Parteien, im Wahlkampf keine uneinlösbaren Versprechen zu machen, die diesen
Zielen entgegenstehen und die spätere politische Akzeptanz dieser notwendigen
Reform untergraben müssen.
•
Das Ziel ist eine soziale und
gerechte Gesellschaft
In den sozialpolitischen Reformen muss es grundsätzlich darum gehen, jede(n)
Einzelne(n) zu mehr Solidarität und Eigenverantwortung zu befähigen.
Der Deutsche Caritasverband begleitet die Politik als konstruktiv-kritischer
Partner und bringt insbesondere die Anliegen von benachteiligten Menschen ein.
Durch Lösungsvorschläge für verschiedene sozialpolitische Fragen trägt der
Deutsche Caritasverband dazu bei, dass das Ziel einer sozialen und gerechten
Gesellschaft realisiert wird. Entsprechend wird der Deutsche Caritasverband
auch den Wahlkampf 2005 kritisch begleiten, die Positionen der Parteien und der
späteren Bundesregierung überprüfen sowie seine Konzepte einbringen.
Der Vorstand des Deutschen Caritasverbandes
Freiburg, 11. Juli 2005
Kontakt: Dr. Thomas Becker, Abteilungsleiter Sozialpolitik und Publizistik beim
DCV,
E-Mail:
thomas.becker@caritas.de
Stellungnahme
Menschen befähigen, Arbeit schaffen, Armut und Ausgrenzung bekämpfen
Erschienen am:
13.07.2005
Beschreibung