Ohne Frauen gäbe es keine Caritas
125 Jahre Caritas sind auch 125 Jahre Frauengeschichte. Ohne Frauenarbeit wäre die Caritas nicht das, was sie ist. Was zeigt der Blick in die Geschichte und auf die Mitarbeiter:innen-Statistik?
Irme Stetter-Karp: Schlichte Rechnung: Bei einem Anteil von 82 Prozent Frauen unter den Mitarbeitenden sieht ein reales Bild der deutschen Caritas ohne die Frauenleistung genau so aus: 124.000 Mitarbeiter. Lassen wir uns dieses Verbandsbild auf der Zunge zergehen: statt 690.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Niveau von einem Fünftel, mit allen sozialpolitischen, finanziellen, einrichtungsspezifischen und wettbewerbsbezogenen Konsequenzen. Im Umkehrbild gesehen: Da wird die Ressource deutlich, die Frauen faktisch einbringen.
Wie sah und sieht das Frauenbild der katholischen Kirche aus?
Das Frauenbild der katholischen Kirche zäunt Frauen traditionell ein auf die Zuschreibung einer dualen Geschlechterordnung. Und erzeugt damit de facto Diskriminierung, hinterlässt massive Gerechtigkeitslücken und negiert Berufungen. Dabei nimmt die Kirchenleitung nicht nur in Kauf, dass Frauen der Kirche den Rücken kehren, sondern produziert auch eine pastorale Not, die immer mehr Gläubige die Frage stellen lässt: Was ist wichtiger, die lebendige Feier des Glaubens oder das Beharren auf den Gewohnheiten der Institution?
Sie sind nun ZdK-Präsidentin. Erstmals ist eine Präsidentin an der Spitze des DCV. Haben sich die Strukturen in der Kirche schon so verändert, dass Männer Frauen eine kirchliche Karriere erlauben?
Es geht nicht um eine Erlaubnis. Fakt ist, dass im Herbst 2021 sowohl die Vollversammlung des ZdK als deren Souverän als auch die Delegiertenversammlung als Souverän des DCV die beiden genannten Frauen gegenüber insgesamt drei männlichen Konkurrenten jeweils mit Mehrheiten demokratisch gewählt haben. Die Strukturen sind unverändert. Es ist die über Jahrzehnte geübte demokratische Kultur in den katholischen Verbänden beziehungsweise im ZdK im Zusammenwirken mit den beiden Säulen der Räte und der Einzelpersönlichkeiten, in geheimer Wahl das Präsident:innenamt zu entscheiden. Fakt ist strukturell auch, dass noch immer ein solches Wahlergebnis allein aufgrund des Geschlechts in der verfassten Kirche nicht möglich wäre.
Wo steht die Caritas heute in Sachen Geschlechtergerechtigkeit?
Als ich 2000 zum ersten Mal im Zentralrat war, konnte ich die Frauen im Saal fast noch an einer Hand abzählen. Wir sind einen Schritt weiter. Die Caritas ist auf der Führungsebene bunter geworden, doch Kultur zu verändern braucht sehr viel Zeit.
Was kann und sollte hier noch verbessert werden?
Der Fachkräftemangel wird die Caritas fordern, als attraktive Arbeitgeberin zu punkten. Ob es ihr gelingen wird, auch aus den Erfahrungen der Differenz und nicht nur aus dem Gleichheitsanspruch zwischen den Geschlechtern einen anderen Gesellschaftsentwurf zu entwickeln? Da ist Luft nach oben.
Der Vertrauensverlust der Kirche trifft auch die Caritas. Können Frauen eher Brücken bauen, um Vertrauen wiederzugewinnen?
Frauen sind tatsächlich sehr häufig kommunikationsstark. In der aktuellen Kirchenkrise hilft es allerdings nicht, allein kommunikativ Brücken bauen zu wollen, ohne gleichzeitig inhaltlich darum zu kämpfen, dass das Land, zu dem die Brücke führt, bewohnbares Land ist. Anders gesagt: Gerade für die Caritas ist es wichtig, dass die Lebenswirklichkeit der Menschen sich in der kirchlichen Lehre mehr wiederfindet und die befreiende Botschaft spürbar wird.