Extreme Schlafstörungen, starke Unkonzentriertheit und zunehmender Rückzug sind ernstzunehmende Warnhinweise, sagt Reinhard Müller, der anonym bleiben möchte. Carolin Kronenburg / Caritasverband für die Diözese Münster
"Ich bin bei der Arbeit eine Treppe runtergegangen und habe gedacht, ich lass mich jetzt einfach fallen, damit ich aus diesem Moloch rauskomme." Das war für die Führungskraft Reinhard Müller der ausschlaggebende Punkt, zum Arzt zu gehen. Der hat ihn sofort "rausgenommen" und krankgeschrieben. Diagnose Burnout.
Geäußert hatte sich dieser durch extreme Schlaflosigkeit, starke Konzentrationsmängel, Antriebslosigkeit, Magenbeschwerden, Rast- und Ruhelosigkeit. "Zudem habe ich mich aus meinem großen Freundeskreis immer mehr zurückgezogen. Bis es dann, das muss 2006 oder 2007 gewesen sein, gar nicht mehr ging", erinnert sich Müller.
Wie es so weit kommen konnte? Das ist dem 61-Jährigen rückblickend klar: Permanenter Stress bei der Arbeit; ein Haus musste bezahlt und vier Kinder durften großgezogen werden. Hinzu kam eine gesundheitliche Beeinträchtigung in Form eines Blutgerinnungsfaktorfehlers, die zu mehreren Thrombosen und einer Lungenembolie führte. Beim Burnout seien es immer Stressfaktoren, die aus mehreren Bereichen kommen, weiß Müller heute. "Deshalb kann der Arbeitgeber das nicht zu 100 Prozent verhindern, sondern eher hilfreich zur Seite stehen."
Im Rahmen der achtwöchigen ambulanten Therapie ging es für ihn erst einmal darum, wieder ein gesundes Körperbewusstsein zu entwickeln. Dabei halfen viele Spaziergänge, oft auch alleine, als Zeit zum Nachdenken. Eine Psychotherapeutin habe ihn auf dem Weg sehr gut begleitet. "In ganz kleinen Schritten habe ich mit ihrer Hilfe gelernt, bei der Arbeit Verantwortung abzugeben."
Das sei ihm nicht leichtgefallen, denn sein wenig eingearbeitetes, 14-köpfiges Team hatte in hoher Schlagzahl Arbeitsaufträge zu erledigen. "Nicht nur ich, sondern auch meine Mitarbeitenden mussten permanent Stress aushalten." Eine klare und teilweise andere Verteilung der Verantwortlichkeiten konnte aber zu etwas Entlastung im gesamten Bereich führen. Die Zufriedenheit bei den Mitarbeitenden sei gestiegen. "Ich habe die Leitungsfunktion immer gerne gemacht", sagt Müller. Deshalb wollte er, nachdem er gefestigt war, auch wieder in den alten Job zurück.
Vor drei Jahren wurde bei Müller dann eine bipolare Störung festgestellt; eine psychische Erkrankung, die sich durch phasenhafte, extreme Stimmungsschwankungen auszeichnet: zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt - zwischen manisch und depressiv. Zwei Klinikaufenthalte, Medikation und psychologische Betreuung folgten. Heute arbeitet Müller als Referent ohne Personalverantwortung in einem anderen Team. Dass an ihm festgehalten wurde, dass ein gut zu bewältigender neuer Aufgabenbereich für ihn gefunden wurde, dafür ist er der Caritas dankbar.
Warnhinweise wie extreme Schlafstörungen, starke Unkonzentriertheit oder wenn sich jemand immer mehr zurückzieht, sollten Betroffene und das Umfeld unbedingt ernst nehmen, empfiehlt Müller. Hilfreich sei dann, sich an einen vertrauten Menschen zu wenden und mit ihm alles durchzusprechen. Manchmal sei es auch einfacher, bei einer neutralen, fachkundigen Person Rat zu suchen.
In Kürze beginnt für den 61-Jährigen die Ruhephase der Altersteilzeit. So richtig konnte er sich erst nicht mit dem Gedanken an die arbeitsfreie Zeit anfreunden, "dann kam aber der Spitzbube in mir durch und jetzt freue ich mich auf das selbstbestimmte Leben". Füllen möchte er das mit seiner Familie und Freunden, er möchte reisen und wandern, den großen Garten beackern und endlich Zeit zum Lesen haben. Das erste Buch mit dem Titel "Alles klar trotz bipolar" liege schon bereit.
*Name von der Redaktion geändert
Weitere Informationen bietet das Magazin Caritas in NRW zum Thema Psychische Gesundheit, das zum Download bereitsteht unter: www.caritas-nrw.de/magazin
025-2025 (ck) 15. Juli 2025