Übergang Schule und Beruf absichern
Im August 2021 waren 250.500 Junge Erwachsene in Deutschland arbeitslos. Rund die Hälfte aller Jugendlichen suchen vergeblich nach einer passenden Ausbildungsstelle. Jeder 10. Betrieb reduziert sein Angebot an Lehrstellen im Jahr 2021.
Wie kommen wir zu einem chancengerechten Ausbildungsmarkt, der allen jungen Menschen, auch denen aus prekären Lebenssituationen, eine qualifizierte Ausbildung und damit Armutsprävention ermöglicht?
Gerade wenn wir an die Jugendlichen denken, die aus besonders schwierigen Lebenssituationen, wie beispielsweise Obdachlosigkeit kommen, passt unser Hilfesystem nicht, so wie es ist. Die Jugendlichen haben in ihrem Leben kaum verbindliche Erwachsene erlebt. Manche der jungen Menschen haben keine sicheren Bindungen, keine verlässlichen Beziehungen, sie konnten kein Selbstbewusstsein entwickeln. Da funktionieren manche Lösungsstrategien im Gehirn anders. Vertrauen, das kennen sie oft gar nicht. Und dann wird ihnen einfach ein System übergestülpt. Es erwartet nämlich von den jungen Menschen Anpassung. Es nimmt wenig Rücksicht auf Gefühle wie Würde oder Scham.
Was muss sich aus Ihrer Sicht verändern, damit diese jungen Menschen wieder Fuß fassen können?
Die Jugendlichen müssen immer Angst haben. Wenn dann noch Suchtverhalten dazu kommt, kann das auch in Unsicherheit und Panikattacken führen. Sie brauchen dringend die Möglichkeit, Vertrauen zu Menschen aufzubauen, bis sie ein Gefühl von Sicherheit haben, die es dann auch wirklich gibt. Aber das System erlaubt häufig den Faktor Zeit nicht. Und dass, obwohl es genug Fachkräfte und Menschen gibt, die darum wissen. Und auch dafür ausgebildet sind. Als Sozialarbeiterin berate ich, dann sage ich: Überlege das in Ruhe. Dann braucht die Jugendliche aber oft nicht genau die Zeit, die ich ihr vorschlage. Vielleicht braucht sie z.B. 7 statt 3 Monate. Bei den Überlegungen wird ja erst mal ausgetestet und das Vertrauen geprüft. Hast du mich noch immer gern, auch wenn ich Mist mache? Werde ich vielleicht wieder verlassen?
Was sagen Sie zur Kooperation von Jugendhilfe, Jobcenter und Kommune?
Aus unserem System heraus ist das natürlich toll gedacht. Aber in der Praxis sieht es oft schlecht aus. Nehmen Sie als Beispiel die Altersbegrenzung in Unterbringungsmöglichkeiten, Kleinkinder zu Kleinkindern, ältere Kinder zu älteren Kindern, ständig müssen die jungen Menschen woanders hin. Wenn es schlecht läuft, ist man nacheinander 20 verschiedene Einrichtungen. Aber was ist mit der Sicht der Jugendlichen? Sie verbringen viel Zeit damit, Ohnmacht und Ungewissheit auszuhalten. Und wenn es dann nicht läuft, werden sie immer wieder kritisiert. Und sie haben das Gefühl, sich um die Liebe anderer Menschen bewerben zu müssen, die über sie entscheiden aber nicht ihre Familie sind. Dafür brauchen sie viel Stärke. Da hat man manchmal keine Kraft mehr für die Schule, für eine Ausbildung.
Wie sollte die Hilfe besser verzahnt werden?
Die Überleitung der Übergänge ist häufig nicht gut organisiert. Jetzt bist du 18 Jahre alt, als 16-Jähriger warst du wohnungslos am Hauptbahnhof. Du bist nicht gruppenfähig. Aber eine eigene Wohnung ist schwierig mit 18 Jahren. Du sollst einen HartzIV-Antrag stellen, wirst nicht mehr von der Jugendhilfe betreut. Per Gesetz ist die Betreuung eigentlich bis zum 27. Lebensjahr. Aber meine Erfahrung ist, dass 9 von 10 jungen Menschen raus aus der Jugendhilfe sind. Oft wollen die Jugendlichen das selbst nicht mehr. Das System hat es bis dahin vermurkst. Das Jugendamt ist für die Jugendlichen immer negativ behaftet, weil sie sich oft ohnmächtig fühlen.
Wenn sie sich einlassen sollen, muss man auch dafür sorgen, dass die Betreuung intensiv und beständig ist. Die schwer traumatisierten Jugendlichen brauchen Zeit und mehr Ressourcen. Von meinem Gefühl her fordert Vieles, das angeboten wird, sehr viel von den Jugendlichen. Das müsste behutsamer sein. Rücksicht auf Fähigkeiten und Möglichkeiten nehmen. Es geht darum, herauszufinden, wo wirklich die Fähigkeiten des Einzelnen liegen. Dann haben sie auch eine Chance eine Motivation zu entwickeln, eine Perspektive.
Eine Hilfeplanung sollte also nicht nur durch die staatlichen Institutionen sichergestellt werden, sondern auch unter Beteiligung der jungen Menschen?
Ja, unbedingt. Eine Hilfeplanung ist gut und gibt Sicherheit. Das finde ich wichtig. Aber die Jugendlichen müssen entsprechend beteiligt werden. Wenn in Hilfeplangesprächen die Zuständigkeit zum Beispiel in drei Jahren zwölf Mal wechselt und damit die Jugendlichen immer von vorn anfangen müssen, bringt das gar nichts. Auch das Wunsch- und Wahlrecht von jungen Menschen ist in der Theorie ja gut: Ich wünsche mir Hilfe oder eine Einrichtung, die so und so ist. Aber oft klappt das nicht, dann fühlen sich die Jugendlichen nicht ernst genommen. Wenn wir nichts haben, was für die Jugendlichen passt, müssen wir ein neues Angebot erschaffen. Wir haben die fachliche Kapazität dafür. Oft genug haben diese jungen Menschen das Gefühl, dass sie falsch sind. So nach dem Motto: Der passt nirgendwo rein. Die Meinung und das Gefühl kommt zu kurz bei den Hilfeplangesprächen - das löst Ohnmacht und Widerstand aus. Oder schlimmer noch, sie werden angepasst und devot und damit oft depressiv.
Es gibt verschärfte Sanktionen des Job-Centers gegen junge Erwachsene unter 25 Jahren und die Kürzung der Leistung für Unterkunft. Was halten Sie davon?
Diese Sanktionen sollten abgeschafft werden. Junge Menschen fallen aus den Leistungssystemen und landen im Zweifel direkt auf der Straße. Es ist ja ohnehin schon ein Existenzminimum. Damit steigt wieder die Schamgrenze. Der junge Erwachsene hat nur noch 50 Prozent für Lebensmittel und muss zur Tafel, um über die Runden zu kommen. Der Druck steigt. Das engt ein und die Jugendlichen sind schon wieder fremdbestimmt. Das befördert auch Schwarzarbeit oder Betrügereien. Wir reden ja schon von denen, die kaum andere Optionen hatten. Das ist wahnsinnig ungerecht und ineffizient. Diese jungen Menschen hatten immer Angst und müssen wieder Angst haben.
Strafe, statt individuelle Hilfe. Was braucht es stattdessen?
Häufig fragen sich die Jugendlichen: Warum bin ich überhaupt da? Wie ersetzbar bin ich? Was kann ich überhaupt? Was macht mir Freude? Was interessiert mich? Individuell angepasste Hilfen, können dabei unterstützen, den für sie passenden Weg zu gehen. Wir müssen uns fragen, wie gut dieses System ausgestaltet ist, dass man auch zwischendrin einsteigen kann. Es gibt leider kaum variable Optionen. Wir brauchen viel mehr Flexibilität, damit die jungen Menschen mit Würde und ehrlicher Aufmerksamkeit behandelt werden.