SKM-Beitrag im Jahrbuch 2022
Mehrmals wurde Herr H., 44 Jahre alt, von seiner Frau verprügelt. Mitten in der Corona-Krise spitzte sich die Situation zu: Der Mann musste sein Zuhause verlassen, schlief im Auto, war verzweifelt. Erst der Männerberater Manfred Höges aus dem SKM-Beratungsnetzwerk "Echte Männer reden." half ihm, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Männer als Opfer häuslicher Gewalt - eine Ausnahmeerscheinung?
Im Jahr 2019 wurden laut Kriminalstatistik 141.792 Opfer von Partnerschaftsgewalt polizeilich erfasst, zu 81 Prozent waren Frauen betroffen, zu 19 Prozent Männer. Die Zahlen der Kriminalstatistiken beweisen, dass auch Männer Bedarf an Schutzraum haben.
Doch mit gesellschaftlich gefestigten Rollenbildern der Geschlechter sind Männer als Opfer häuslicher Gewalt nach wie vor nicht im Bewusstsein der Menschen. Gewaltbetroffenen Frauen und deren Kindern stehen in Deutschland aktuell rund 6800 Plätze in Frauenhäusern, Schutzwohnungen oder ähnlichen Einrichtungen zur Verfügung. Für Männer sind es bundesweit bislang 29 Plätze.
"Dass wir für die betroffenen weiblichen Opfer häuslicher Gewalt selbstverständlich Frauenhäuser brauchen und auch vorhalten, ist es gut und richtig. Es ist aber auch wichtig, dass es ähnliche Angebote für Männer gibt", schlussfolgert Stephan Buttgereit, Generalsekretär des SKM Bundesverbands.
Acht Plätze in NRW: immer belegt
Diesem Umstand trägt das von SKM Düsseldorf und SKM Köln entwickelte Gewaltschutzprojekt "Freiraum" Rechnung. Mit dem Konzept für Schutzwohnungen für Männer haben die beiden SKMs die Ausschreibung des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen für sich entschieden. Insgesamt acht Plätze bietet das Schutzprojekt den männlichen Opfern.
Die Schutzwohnungen in NRW sind seit ihrer Eröffnung im Juni 2020 bis auf wenige Ausnahmen vollständig belegt. Der SKM Düsseldorf konnte alleine 2021 bereits knapp 30 Männer nicht aufnehmen, weil kein Platz frei war.
Zudem ist von einem erheblichen Dunkelfeld von häuslicher Gewalt gegen Männer auszugehen. Denn in der Auswertung des Bundeskriminalamtes sind nur die bei der Polizei gemeldeten Fälle enthalten. Expert(inn)en vermuten eine Dunkelziffer von etwa 80 Prozent. Wenn Männer Opfer werden, ist die Scham bei ihnen häufig noch größer als bei Frauen. "Unsere Gesellschaft muss lernen, dass auch Männer Opfer von Beziehungsgewalt werden können. Deshalb war und ist es mir ein Anliegen, diesen Männern auch zu helfen", erläutert Ina Scharrenbach, Gleichstellungsministerin in NRW, das Modellprojekt.
Männer, die Hilfe suchen, kommen aus allen Milieus und Nationalitäten. Sie suchen Schutz aus verschiedenen Gründen: Sie sind Opfer häuslicher Gewalt oder von Zwangsheirat. Die Männer flüchten vor psychischer und physischer Gewalt in Beziehungen oder vor familiärem Druck.
Vermittlung in andere Bundesländer ist möglich
Wendet sich ein Mann an den SKM, nimmt ein zumeist männlicher, ausgebildeter Krisen- und Männerberater den Kontakt mit ihm auf, und beide vereinbaren kurzfristig einen Termin. Gemeinsam sondieren Berater und Klient, ob dieser mit seiner Problemlage in die Struktur und auch in das Konzept der Gewaltschutzwohnungen passt. Wenn das der Fall ist, wird er aufgenommen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, wird geprüft, wie dem Mann in der Krise und der Not anderweitig geholfen werden kann, zum Beispiel in der Krisenberatung, die der SKM an vielen Orten in Deutschland anbieten. Auch die Vermittlung in Schutzräume in andere Bundesländer ist möglich, beispielsweise, wenn vor Ort kein Platz ist.
Auch im Fall der Flucht vor einer Zwangsheirat kann der Mann an einen Träger in einem anderen Bundesland vermittelt werden, um ihn davor zu schützen, aufgespürt zu werden. Die Unterbringung in der Wohnung ist auf rund drei Monate angelegt. Alle Schutzwohnungen sind anonym, damit die Männer vor Nachstellungen durch die Täter(innen) geschützt werden. Die Räume sind voll möbliert und liegen idealerweise innerstädtisch und sind gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. "Mit ‚Freiraum‘ wollen wir den betroffenen Männern zeigen, dass es eine Zeit nach der Krise gibt", erklärt Stephan Buttgereit. "In dieser Zeit gilt es, den Bewohnern Schutz zu bieten, ihre psychosoziale Lage zu stabilisieren, sie in ihrem Alltag zu entlasten und - ganz wichtig: eine Perspektive nach der Zeit im ‚Freiraum‘ zu entwickeln." Unterstützung vor ihrem Ein- und nach ihrem Auszug finden die Männer im bundesweiten SKM-Männerberatungsnetzwerk.
Der Bedarf ist da
In Deutschland existieren aktuell 29 Gewaltschutzplätze für männliche Opfer häuslicher Gewalt, insgesamt 16 sind davon in katholischer Trägerschaft. Neben den Trägern des SKM in NRW bieten der SKM Augsburg und die Caritas Nürnberg acht weitere Plätze an. Der SKM ist mit seinen Trägern und der verbandlichen Caritas im Gespräch, weitere Angebote bereitzuhalten, um den Bedarf in Zukunft besser abdecken zu können. Zum Teil wird überlegt, ob die Träger nicht selbst proaktiv bei ihren Landesregierungen Modellprojekte für Gewaltschutzwohnungen für Männer beantragen und initiieren können. Stephan Buttgereit zeigt sich zuversichtlich bezüglich weiterer Schutzplätze: "Mit den bereits bestehenden Konzepten haben die SKMs in Deutschland Grundsteine gelegt, die unsere Mitgliedsvereine nutzen können." Das tun sie: Ende 2021 richtet der SKM Warendorf vier weitere Gewaltschutzplätze für Männer ein.