Es gilt das gesprochene Wort!
(Eröffnung durch eine kurdische Irakerin, Frau
Farida
Ghafur
Ameen
, auf Kurdisch)
Sehr geehrter Herr Bundesminister Schily,
sehr geehrte ….
sehr geehrte Damen und Herren,
ganz herzlich heiße ich Sie alle zum Integrationskongress des Deutschen
Caritasverbandes willkommen. Ich freue mich sehr, dass so viele Fachleute
zusammengekommen sind, um Fragen der Zuwanderung und Integration für die
Zukunft zu diskutieren. Ganz herzlich danke ich Ihnen, Herr Bundesminister
Schily, dass Sie die Einladung zu unserem Kongress angenommen haben und dass
Sie auch zu uns sprechen werden.
Integration ist eine Herausforderung. Die Begrüßung durch Frau Ghafur Ameen aus
dem Irak hat es gezeigt. Sprachbarrieren, Kulturunterschiede und Ängste stehen
oft zwischen uns. Menschen aus anderen Ländern, die nach Deutschland kommen,
haben Anliegen und Wünsche. Genauso hat sie auch unsere Gesellschaft gegenüber
den Migranten. Die Verständigung darüber ist aber gar nicht so leicht.
Gegenseitiges kennen lernen und Anstrengungen auf beiden Seiten sind notwendig,
damit die Integration gelingt. Was Integration erfordert, wie sie zukünftig
besser gestaltet werden kann und unter welchen Rahmenbedingen, ist das Thema
dieses Kongresses.
Integration und Zuwanderung sind jedoch nicht nur ein Spezialthemen für
Fachleute, sondern ein Phänomen unserer Welt und damit auch unserer
Gesellschaft. Rund 12 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in
unserem Land. Zum einen sind dies Menschen, die nicht die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzen. Zum anderen sind es Aussiedler und eingebürgerte
Migrantinnen und Migranten. Nach den USA ist Deutschland damit das zweitgrößte
Einwanderungsland der Welt.
In Deutschland tun wir uns schwer, diese Realität anzuerkennen. Bereits 1970
forderte Bischof Tenhumberg von Münster in einer Stellungnahme der Deutschen
Bischofskonferenz zu dem Thema u. a. die Überprüfung der These des
Nicht-Einwanderungslandes. Drei Jahre diskutierten wir über ein modernes
Zuwanderungsgesetz. Diese Debatte wurde vielfach für parteipolitisches Kalkül
und populistische Stimmungsmache missbraucht. Dies hat der Diskussion und den
Betroffenen mehr geschadet als genutzt. Im Sommer ist es Regierung und Opposition
endlich gelungen, sich auf einen Kompromiss zu verständigen. Wir freuen uns,
dass die gemeinsame Forderung der Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen
umgesetzt wird, geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgung als Asyl
relevante Gründe anzuerkennen. Es kommt jedoch jetzt entscheidend darauf an,
dass die Anliegen der Integration und Zuwanderung im Gesetz nicht von den
berechtigten Fragen der inneren Sicherheit dominiert werden. Menschen aus anderen
Nationen dürfen nicht grundsätzlich als Sicherheitsrisiko oder allein unter
Finanzaspekten betrachtet werden.
Ein Zuwanderungsgesetz ist jedoch nur eine Antwort auf die grundsätzlichen
Fragen, die wir angehen müssen: Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit
Menschen um, die aus vielfältigen, oft auch ganz persönlichen Gründen, fliehen
mussten bzw. ihr Land verlassen wollten? Wie empfangen wir Fremde, die manche
als lästige Bittsteller empfinden? Wie gehen wir mit Menschen aus anderen
Ländern um, die in unserem Land alte Leute pflegen, unsere Büros putzen oder
Software entwickeln?
In meinem Beitrag will ich mich mit diesen Fragen in fünf Schritten
auseinandersetzen.
1.
Grundlagen des Engagements der
Caritas
2.
Die Integration an einem
Wendepunkt
3.
Eine zukunftsfähige Integration
gestalten
4.
Aktueller Handlungsbedarf
5.
Der Beitrag der Caritas zum
Projekt „Integration“
1.
Grundlagen des Engagements der
Caritas
Fremd zu sein, gehört den Grundgefährdungen des Menschen. „Wenn bei dir ein
Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der
sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst
ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich
bin der Herr, euer Gott“ (Lev 19,33 f). Diese Sätze aus dem Alten Testament
sind klar und eindeutig. Im Neuen Testament entscheidet mit den Worten Jesu die
praktische Sorge um Fremde und Obdachlose über Heil und Unheil der Menschen
(vgl. Mt 25,35 ff). Gott identifiziert sich so sehr mit dem Menschen, dass jeder
auf Gott trifft, der sich auf den Menschen einlässt. Darum nehmen sich die
Kirche und ihre Caritas der Fremden an und verteidigen ihre Rechte. „Die
Aufnahme des Fremden gehört also zum Wesen selbst der Kirche und bezeugt ihre
Treue zum Evangelium.“ So heißt es in der päpstlichen Instruktion „Die Liebe
Christi zu den Migranten“ vom 3. Mai diesen Jahres.
Aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes bezeichnet Integration nun einen
Prozess der umfassenden Eingliederung von Frauen und Männern, von Kindern und
Jugendlichen in die Gesellschaft. Die Akteure sind sowohl die Menschen mit
Migrationshintergrund als auch die Bürgerinnen und Bürger der einheimischen
Gesellschaft. Beide Seiten sind dabei aufgefordert, ihren Anteil zu erkennen
und sich konstruktiv mit dem Nachbarn einer anderen Herkunft auseinander zu
setzen. Dazu gehört auch der Wille und die Bereitschaft, sich aktiv mit der
Kultur des Anderen zu beschäftigen und die Verschiedenheit der Kulturen zu
bejahen. Ziel muss es sein, die jeweils andere Kultur als gleichwertig zu
akzeptieren – selbst dann, wenn sie befremdlich wirken mag.
Jeder – gleich ob einheimisch oder zugewandert – kann und muss etwas dafür tun,
um ein friedliches Miteinander zu ermöglichen. Nur dies führt zur
wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Teilhabe aller an der Gesellschaft.
Die Kirche leistet hierzu einen vielfältigen Beitrag. Dazu zählen auch ihre
Initiativen für den interreligiösen Dialog. Er ist ein wichtiges Element im
Austausch der Kulturen. Einen Schwerpunkt dieses kirchlichen Engagements bildet
insbesondere die Caritas unserer Kirche. Als Anwalt der Interessen von Migranten
und der einheimischen Bevölkerung beteiligt sie sich an der Entwicklung und am Unterhalt
von bedarfsgerechten Infrastrukturen. Als sozialpolitische Akteur setzt sie
sich für die notwendigen politischen Rahmenbedingungen ein. Konkret leistet sie
z.B. in ihren Migrationdiensten Hilfe und bietet Unterstützung für die
unterschiedlichen Migrantengruppen.
Die verbandliche Caritas kann dabei seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem
Engagement ihres Gründers Lorenz Werthmann auf Jahrzehnte praktischer Erfahrung
im Arbeitsfeld Migration und Integration zurückblicken. Sie hat ihre Angebote
immer wieder gemäß den gesellschaftlichen und politischen Realitäten
weiterentwickelt. In dieser Tradition hat der Deutsche Caritasverband im
letzten Jahr „Bausteine für ein zukunftweisendes Integrationsprogramm für
Deutschland“ vorgelegt. Damit will der Deutsche Caritasverband seine Kompetenz
und Erfahrung in die Gestaltung der Integration einbringen. Orientierungspunkt
wird dafür auch das Wort der deutschen Bischöfe zur Integration von Migranten
mit dem Titel „Integration fördern - Zusammenleben gestalten“ sein. Es wurde
erst in der letzten Woche veröffentlicht und unterstreicht das Engagement der
Kirche und ihrer Caritas für die Integration fremder Menschen in unserer
Gesellschaft.
2.
Integration an einem Wendepunkt
Nach der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts war Bewegung in die Frage
„Deutschland als Einwanderungsland“ gekommen. In der letzten Zeit wurden eine
Vielzahl von Vorschlägen und Forderungen für eine zukünftige
Integrationspolitik und ihre praktische Umsetzung vorgelegt. Politik,
Wissenschaft und große gesellschaftlichen Organisationen und Verbände haben
sich daran beteiligt.
Die Diskussion des nun verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes hat gezeigt, dass
alle gesellschaftlichen Kräfte diesbezüglich vor neuen Herausforderungen
stehen. Zu diesen Herausforderungen gehört auch der Umgang mit
fundamentalistischen und kriminellen Gruppen und Personen. Es muss
gewährleistet sein, dass berechtigte Sicherheitsinteressen unserer Gesellschaft
gewahrt und zugleich Migranten vor Diskriminierung geschützt werden. Um so
wichtiger ist eine differenzierte Migrations- und Integrationspolitik.
Das Ziel ist, mit angemessenen Maßnahmen die Grundlagen für eine dauerhafte,
qualifizierte und gelingende Integration von Migranten zu schaffen. Es ist ein
großer Fortschritt, dass jetzt ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die
Notwendigkeit von Integration besteht. Denn Integration muss als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe systematisiert und gestaltet werden.
Damit ist die Zeit gekommen, die Kräfte zu bündeln, um eine zukunftsfähige
Integration zu erreichen.
Folgende Fragestellungen sind dabei von besonderer Bedeutung:
Wie können alle am Integrationsprozess beteiligte
n Akteure, insbesondere die „Gesellschaft“ nachhaltig
für Integration mobilisiert und motiviert
werden?
Wie können integrationspolitische Maßnahmen auf
Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene effektiv aufeinander abgestimmt werden?
Wie entstehen funkt
ionierende Kooperationen auf kommunaler oder
regionaler Ebene und welche Voraussetzungen sind dafür notwendig?
Wie lässt sich in diesem Kontext die Zusammenarbeit
zwischen den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege und den freien Initiativen,
den
Kommun
en und auch den kirchlichen Gemeinden und
Gemeinschaften gestalten?
Wie sind Migranten in den Integrationsprozess
eingebunden und welche Aufgaben können sie übernehmen?
Wie kann die Arbeit von
Ehrenamtlichen mit und ohne Migrationshintergrund in diese
m Bereich sinnvoll ausgebaut werden?
3.
Zukunftsfähige Integration
gestalten
3.1.
Integration als prozesshaftes
Geschehen
Das Verständnis von Integration hat sich in den vergangen Jahrzehnten zu einem
prozesshaften Geschehen zwischen der Aufnahmegesellschaft und den Menschen mit
Migrationshintergund entwickelt. Aus Sicht der Caritas ist es das Ziel, eine
auf Gegenseitigkeit und beidseitiger Verantwortung beruhende Beziehung aufzubauen.
Unverzichtbare Grundlagen dafür sind die Achtung voreinander, gegenseitige
Wertschätzung, Respekt und Toleranz. Eine erfolgreiche Integration setzt den
Willen und die Bereitschaft auf beiden Seiten voraus, sich aktiv mit der Kultur
des anderen auseinander zu setzen. Es gilt die Verschiedenheit der Kulturen zu bejahen
und Fremdes oder gar Befremdendes auszuhalten.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gibt hierzu die unveräußerliche
Werte vor, die sowohl von der Aufnahmegesellschaft als auch von den
Zugewanderten gleichermaßen zu akzeptieren sind.
Gewünschtes und erhofftes Ergebnis einer gelungenen Integration wäre die
umfassende und gleichberechtigte, d. h. rechtliche, soziale, wirtschaftliche,
politische und kulturelle Teilhabe der Zugewanderten und die Entwicklung eines
wirklichen Zugehörigkeitsgefühls.
Teilhabe bedeutet letztlich, dass zugewanderte Menschen mit gleichen Chancen
wie Einheimische Zugang zum Arbeitsmarkt haben, ihren Lebensunterhalt aus
eigenen Mittel bestreiten und in deutscher Sprache kommunizieren können.
Integration sollte deshalb als gesellschaftliche und politische Querschnittsaufgabe
begriffen und umgesetzt werden. Als gesellschaftliche Aufgabe betrifft sie
nämlich alle Bereiche des Lebens.
3.2.
Notwendige Grundlagen einer
gelingenden Integration
Integrationsförderung kann nur ein ganzheitlicher Ansatz sein. Sie muss auf den
einzelnen Menschen mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen abzielen. So nur
kann eine umfassende Teilhabe an allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen
von Wirtschaft, über die Bildung, bis zum lokalen Gemeinwesen erreicht werden.
Integrationsförderkonzepte müssen daher strukturelle Faktoren für die
Integration einbeziehen und Integrationshemmnisse beseitigen. Dies geschieht
z.B. durch Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen.
Integrationsförderung muss einen Ansatz verfolgen, der von den Stärken und
Fähigkeiten der Zuwanderer ausgeht. Außerdem ist ein enger Bezug zur Alltags-
und Lebenswelt der Zuwanderer von entscheidender Bedeutung. Dies erfolgt etwa
in niederschwelligen Angeboten des Migrationsdienstes in Wohnvierteln mit einem
hohem Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund.
Um der Motivation und des Integrationserfolges wegen sollte die Teilnahme an
Integrationsmaßnahmen so weit möglich und sinnvoll, freiwillig sein. Auch sollten
Wünsche der Zuwanderer bei der Auswahl einer Integrationseinrichtung
berücksichtigt werden. Der Migrationsdienst der Caritas versucht, diese Ziele
zu verwirklichen.
3.3.
Integration konkret: Der
Migrationsdienst der Caritas
Der Migrationsdienst der Caritas ist offen für alle Migranten. Das gilt
unabhängig davon, welchen Aufenthaltsstatus sie haben oder ob sie überhaupt
eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen.
Der Migrationsdienst der Caritas verfolgt die Absicht, die rechtmäßig und auf
Dauer in Deutschland lebenden Migranten rechtlich und sozial beim Prozess der
Integration zu unterstützen. Besonders hat er unter den auf Dauer hier lebenden
Migranten diejenigen im Blick, die häufig durch die Maschen von
Integrationsmaßnahmen fallen: arbeitslose und ältere Menschen.
Vorübergehend hier lebenden Flüchtlingen und Personen ohne Aufenthaltsstatus
bietet der Migrationsdienst auch Information, und Orientierung, individuelle
Hilfen und – soweit möglich – integrative Maßnahmen für die Zeit des
Aufenthalts. Er unterstützt sie in berechtigten Anliegen und hilft, alternative
Perspektiven im Ausland zu entwickeln.
Personen ohne Aufenthaltsstatus finden im Migrationsdienst eine Anlaufstelle in
drängender sozialer und menschlicher Not.
Ohne dass damit unerlaubtem Aufenthalt Vorschub geleistet werden soll, setzt
sich der Migrationsdienst anwaltschaftlich für soziale bzw. humanitäre
Mindestrechte zugunsten illegal hier lebender Menschen ein. Er unterstützt sie
insbesondere bei dringender medizinischer Versorgung, beim Schulbesuch der
Kinder und im Anspruch rechtmäßigen Lohns. Heute Vormittag habe ich das Katholische
Forum „Leben in der Illegalität“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Es wurde von
der Deutschen Bischofskonferenz, den Deutschen Maltesern, dem Jesuiten Flüchtlingsdienst
und dem Deutschen Caritasverband gegründet.
Zu seinen Zielen zählt dieses Forum die verstärkte Bewusstseinsbildung für das
Phänomen Illegalität, die Durchsetzung fundamentaler Rechte sowie die
Entkriminalisierung humanitär motivierter Hilfe.
Der Migrationsdienst der Caritas wirkt mit an der langfristigen Gestaltung der
Zuwanderung. Er unterstützt aktiv alle Anstrengungen, Fremdenangst und
Fremdenfeindlichkeit zu überwinden. Dies leistete unter anderem das Projekt
„Caritas – Offener Umgang mit Fremden, Gleichstellung und Partizipation in der
Arbeitswelt.“ Die Abschlussveranstaltung des Projektes findet morgen Nachmittag
im Rahmen dieses Kongresses statt. An dem Projekt waren auch andere Fachdienste
und Einrichtungen der Caritas beteiligt. Gemeinsam wurden Maßnahmen erarbeitet,
um Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken.
Darüber hinaus hilft, unterstützt und berät der Migrationsdienst die
einheimische Bevölkerung bei ihrem Bemühen, das Zusammenleben zu verbessern.
Dies geschieht z.B. durch die Beteiligung an der „Woche der ausländischen
Mitbürger“, die von den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Vereinigungen
jährlich bundesweit durchgeführt wird. Sie hat gerade gestern wieder unter dem
Motto „Integrieren statt Ignorieren“ mit vielen Aktionen begonnen.
Durch die Zusammenarbeit des Migrationsdienstes mit anderen Diensten und
Einrichtungen der Caritas bestehen große Vorteile. Zum einen kann dadurch ein
ganzheitlicher Ansatz der Beratung und Hilfe für Migranten umgesetzt und die
Interkulturelle Öffnung bewusst und verantwortlich gestaltet werden. Zum
anderen können damit die Selbsthilfekräfte der Migranten optimal unterstützt
und verstärkt werden.
Der Vernetzung und der Gemeinwesenorientierung kommt bei den überwiegend
spezialisierten sozialen Diensten eine immer größere Bedeutung zu. Durch eine
stärkere Verzahnung der Fachdienste und Einrichtungen werden die Integration
von Menschen mit Migrationshintergrund und das Gesamtsystem der sozialen
Versorgung verbessert und die zur Verfügung stehenden Mittel optimal genutzt.
4.
Aktueller Handlungsbedarf
Die dritte Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen,
hat einmal in einem Memorandum festgestellt: „Integration ist ein Anspruch und
eine Anstrengung, zu der es keine Alternative gibt“. Diese Perspektive sollte
grundlegend sein für eine zukunftsfähige Integrationspolitik. Sie erfordert ein
umfassendes bundesweites Integrationsprogramm. Alle Akteure müssen in dieses
Programm eingebunden werden. Maßnahmen und Strategien können dadurch vernetzt
und die knapper werdenden Mittel gezielt eingesetzt werden. Das Programm sollte
allen Zugewanderten offen stehen und müsste die auf die individuellen
Kompetenzen abgestimmten Integrationsmaßnahmen enthalten. Die Gestaltung eines
solchen Programms braucht jedoch das Engagement aller Beteiligten. Die
Wohlfahrtsverbände sehen hier auch für sich eine zentrale Aufgabe. Dabei hat
der Bund für ein solches Programm den Rahmen zu setzen. Länder und Kommunen
müssen allerdings ebenfalls ihren Beitrag dazu leisten.
Zur Zeit ist ein solch umfassendes Integrationsprogramm nicht in Sicht. Die
finanziellen Ressourcen für Integrationsleistungen werden auf Bundes- und
Länderebene gekürzt. Im Zuwanderungsgesetz beschränkt der Bund seine
Zuständigkeit auf die Erstintegration. Die Länder können diese durch weitere
Integrationsangebote ergänzen. Sie müssen jedoch nicht. Bereits jetzt zeichnet
sich ab, dass mehrere Bundesländer ihren Beitrag zur Migrationsberatung
erheblich zurücknehmen werden. Dies gefährdet nachhaltig alle Bemühungen um
eine systematische Integrationspolitik. Aus unserer Sicht werden hierdurch
langfristig zusätzliche soziale Problemlagen und damit Kosten verursacht.
Die derzeitigen Vorschläge des Bundesministeriums des Innern würden die
Beratung auf die Erstberatung für erwachsene Zuwanderer reduzieren. Eine
weitergehende Beratung der Migranten nach mehr als drei Jahren Aufenthalt und
der sogenannten Bestandsausländer ist bisher ungesichert. Der Bund sieht hier
die Länder in der Pflicht, die Finanzierung zu übernehmen. Eine Verbindlichkeit
besteht dafür jedoch nicht.
Rückzugstendenzen von Bund und Ländern haben eine entsprechende Signalwirkung
auch in den kirchlichen Raum. Dies führt für die Träger zu Finanzierungslücken
und Planungsunsicherheiten, bis hin zum Rückzug aus dem Tätigkeitsfeld. Bei
aller Mittelknappheit müssen aber Basisstrukturen einer umfassenden Beratung
für alle Migrantengruppen erhalten bleiben.
Der Bund, die Länder und die Wohlfahrtsverbände hatten sich bisher gemeinsam
für ein weitgehend flächendeckendes Netz von Integrationsleistungen eingesetzt.
Der Bund muss auch künftig Verantwortung für die „nachholende“ Integration der
bereits länger im Land befindlichen Menschen mit Migrationshintergrund tragen.
Er kann diese Aufgabe nicht unbesehen an die Länder und Kommunen sowie die
Wohlfahrtsverbände abtreten. Die im Augenblick vor-herrschende
Planungsunsicherheit muss überwunden werden.
Insbesondere die kirchlichen Wohlfahrtsverbände, Caritas und Diakonie, haben
sich bisher mit einem hohen Eigenmittelanteil an der Migrationsberatung
beteiligt. Allein die Caritas hat hier im Jahr 2003 25 Millionen Euro an
Eigenmitteln eingebracht. Integrationserfolge der Vergangenheit sowie
politische und fachliche Weiterentwicklungen sind auch das Verdienst des
Engagements und der Kompetenz der Wohlfahrtsverbände. Derzeit vermissen wir,
dass diese Erfahrungen und Kompetenzen in die Neustrukturierung der Integrationslandschaft
einbezogen werden. Die Wohlfahrtsverbände können ihre bewährte
Integrationsarbeit aber nur in echter Kooperation mit Bund, Land und Kommunen
weiterführen.
Grundsätzlich halten wir an unserer Empfehlung fest, die Aufgaben der
vorgesehenen Migrationsberatung nicht allein auf die Methode des
Case-Managements und die Erstintegration zu beschränken. Die Vernetzung der für
Migranten relevanten sozialen Dienste muss als Aufgabe der Migrationsdienste
erhalten bleiben. Gleiches gilt für Befähigung der sozialen Dienste und
Einrichtungen zur Arbeit mit Migranten. Beides aber sind notwendige
Voraussetzungen für eine gelingende Integrationsarbeit.
Noch ein Wort zum Zuwanderungsgesetz: Bei allem Erreichten gibt es noch
deutlichen Nachbesserungsbedarf. Dies betrifft insbesondere die höchst
problematischen Kettenduldungen, die nicht abgeschafft wurden. Es ist zu
befürchten, dass zukünftig eine neue große Gruppe von Zuwanderern entsteht, die
ohne sicheres Bleibe-recht längere Zeit bei uns lebt. Auch diesen Menschen kann
Teilhabe an unserer Gesellschaft nicht völlig verweigert werden. Deshalb muss
für längerfristig Geduldete die legale Aufnahme einer Beschäftigung ermöglicht
werden. Gelegenheit hierzu könnten die anstehenden Rechtsverordnungen zum
Arbeitsmarktzugang bieten.
Generell sollten auch Themen wie ein kommunales Wahlrecht für Ausländer und die
doppelte Staatsbürgerschaft weiter diskutiert werden. Handlungsbedarf besteht
auf allen Ebenen. Die Caritas will dazu ihren konstruktiven Beitrag leisten.
5.
Der Beitrag der Caritas zum
Projekt „Integration“
Die Migrationsarbeit der Caritas wäre ohne das Engagement und den Einsatz
zahlreicher ehrenamtlich/freiwillig tätiger Menschen kaum denkbar. Sie leisten
sowohl in den Fachdiensten wie auch im
Migrationsdienst einen wichtigen Beitrag, mit dem Integration vorangetrieben
wird. In Zukunft wird die Caritas noch stärker daran arbeiten, die Arbeit
zwischen beruflichen und ehrenamtlich/freiwilligen Mitarbeitenden zu vernetzen
und Menschen für dieses freiwillige Engagement zu gewinnen. Dies gilt auch für
die Gruppe der Migranten. Durch das gemeinsame Engagement von Migranten und
Einheimischen unter dem Dach der Caritas wird ein wichtiger Schritt zu einer
verbesserten Beziehung und Integration getan.
Innerhalb der verbandlichen Caritas wurden Integration und Zuwanderung als
Querschnittsthema etabliert. Es wird bei allen sozialpolitischen Fragen
mitberücksichtigt.
Als Verband hat die Caritas die interkulturelle Öffnung der eigenen
Einrichtungen und Dienste mit einem umfassenden Diskussionsprozess angestoßen.
Denn nicht nur auf der Klientenseite, sondern auch auf der Seite der Mitarbeitenden
steigt die Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu gilt es, sich
Gedanken zu machen und bei Bedarf neue Wege beschreiten.
Der Deutsche Caritasverband ist Teil eines weltweiten Netzwerkes von
Caritasorganisationen, die sich für Frieden und Versöhnung einsetzen. Die
Erfahrungen und Kompetenzen dieses Netzwerkes sind darauf ausgerichtet,
Fluchtursachen zu bekämpfen und Not zu lindern. Durch Caritas International,
dem Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, wirkt die Caritas an der
langfristigen Struktur- und Aufbauhilfe in den Heimatländern vieler Migranten
mit.
So vielfältig das Engagement für die Integration ist, so dringend notwendig ist
der Austausch und die Entwicklung gemeinsamer und zukunftsfähiger Strategien
mit allen Beteiligten.
Dazu bietet dieser Kongress eine gute Plattform. Aus der Klärung der genannten
Fragen sollen konkrete Empfehlungen werden. Und diese sollen aus dem Dialog
zwischen den verschiedenen Fachleuten, Disziplinen und Institutionen entstehen.
So sind neben den politisch Verantwortlichen des Bundes, der Länder und der Kommunen
auch Vertreter von verschiedenen Organisationen, Verbänden der freien Wohlfahrtspflege
sowie die zuständigen Ebenen der Exekutive als auch Vertreter aus dem
Wissenschaftsbereich vertreten. Lassen Sie mich mit einem Zitat aus dem Wort
der Deutschen Bischöfe zur Integration von Migranten schließen. „Die Herausforderungen,
vor denen wir stehen, sollten niemandem Angst machen. Denn wenn wir das
Notwendige tun, können wir erreichen, was im Interesse aller liegt: eine gute
Zukunft für alle in diesem Land, eine gemeinsame Zukunft für Einheimische und
Zugewanderte.“ (S. 57)
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen einen guten Austausch und anregende
Impulse und Diskussionen, damit die Zuwanderung und Integration neu gestaltet
und damit Zukunft für die betroffenen Menschen gelingen kann!
Ihnen, Herr Minister Schily, danke ich noch einmal, dass Sie heute bei uns sind
und Ihren Beitrag unter das Thema „Anforderungen an die Integrationspolitik –
Integration vor dem Hintergrund eines sich verändernden Sozialstaates“ gestellt
haben. Ich bitte Sie nun, Herr Minister Schily, um Ihren Vortrag.
Msgr. Dr. Peter Neher
Präsident des Deutschen Caritasverbandes
Stellungnahme
"Zuwanderung und Integration gestalten - Zukunft gewinnen"
Erschienen am:
28.09.2004
Beschreibung