Interview mit Carla Wilde: Familienzusammenführung ist ein zentrales Thema der Migrationsberatung
Familienzusammenführung ist ein zentrales Thema der Migrationsberatung
Carla Wilde, Migrationsberaterin bei der Caritas in Halle, berichtet im Interview, warum Familiennachzug wichtig für die Integration ist.
Caritas: Frau Wilde, Sie arbeiten seit 1997 bei der Caritas in Halle und sind als Migrationsberaterin tätig. Wie hat sich Ihre Arbeit im Laufe der Jahre verändert?
Carla Wilde, Migrationsberaterin bei der Caritas in HalleDCV/Carla Wilde Privat
Carla Wilde: Die Arbeit ist sehr vielschichtig geworden. Als ich anfing, hatten wir sechs Stellen in der
Migrationsberatung. Heute bin ich allein. Aber es gibt deutlich mehr Anfragen und die Themen sind komplexer geworden. Besonders seit den großen Fluchtbewegungen 2015/16 hat sich der Beratungsbedarf erhöht. Auch die Anforderungen an uns als Beratende sind gestiegen, weil wir in ganz unterschiedlichen Lebenslagen unterstützen müssen.
Caritas: Sie bieten auch französischsprachige Beratung an. Wie viele Fälle betreuen Sie im Jahr insgesamt?
Carla Wilde: Das variiert, aber im Schnitt betreue ich etwa 250 bis 300 Fälle pro Jahr. Die Bandbreite reicht von Einzelpersonen bis hin zu ganzen Familien, die Unterstützung brauchen.
Caritas: Ein zentrales Thema in Ihrer Arbeit ist die Familienzusammenführung. Warum ist das so wichtig?
Carla Wilde: Die Trennung von Familien ist für alle Familienangehörigen extrem belastend. Es fällt den Menschen schwer, sich auf das neue Land einzulassen, wenn sie ständig in Sorge um ihre Angehörigen sind. Sobald die Familie nachkommt, läuft vieles besser. Die Integration gelingt leichter, die Menschen können sich auf Arbeit und Sprache konzentrieren und fühlen sich sicherer. Ich habe oft erlebt, dass die psychische Belastung durch die Trennung sehr groß ist.
Caritas: Sie haben die Erfahrung gemacht, dass das Aussetzen des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige negative Folgen hat. Können Sie das näher erläutern?
Carla Wilde: Ja, das war zwischen 2016 und 2018 ein großes Thema. Die Politik dachte, das würde vielleicht abschreckend wirken, aber das war nicht der Fall. Aber die Trennung macht Familien kaputt. Die Menschen hier sind in ständiger Sorge um ihre Lieben und können sich kaum auf ihr Leben in Deutschland konzentrieren. Ich erinnere mich an einen Vater mit drei pubertierenden Kindern - er war völlig überfordert, weil ihm, alleinerziehend, die familiäre Unterstützung fehlte.
Caritas: Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Beratungspraxis schildern?
Carla Wilde: Gerne. Ein Beispiel ist Mehari T. aus Eritrea. Er kam 2015 nach Deutschland, wurde 2016 als Flüchtling anerkannt und wollte dann seine Frau und die beiden Töchter nachholen. Das Verfahren hat Jahre gedauert. Erst 2021 konnte die Familie endlich nachkommen. In dieser Zeit haben wir ihn bei allen Schritten begleitet. Von der fristwahrenden Anzeige bis zur Unterstützung bei Dokumenten und DNA-Tests. Nach dem Nachzug gab es viele weitere Aufgaben - Kindergeld, Krankenversicherung, Schulanmeldung. Wir haben gemeinsam die einzelnen Schritte geplant, damit er sich nicht überfordert fühlt.
Caritas: Wie hat sich die Familie nach der Zusammenführung entwickelt?
Carla Wilde: Es war eine große Erleichterung für alle. Die Familie hat sich gut eingelebt, die Kinder gehen zur Schule, und die Ehefrau konnte während ihrer Schwangerschaft durch die Kooperation mit der Schwangerschaftsberatung unterstützt werden. Es ist schön zu sehen, wie sich die Lebenssituation stabilisiert hat, nachdem sie wieder vereint waren.
Caritas: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Migrationsberatung?
Carla Wilde: Ich wünsche mir, dass die Familienzusammenführung erleichtert wird und die Verfahren schneller ablaufen. Außerdem wäre es wichtig, dass die Beratungsstellen ausreichend personell ausgestattet sind, um die Menschen individuell begleiten zu können. Integration gelingt am besten, wenn die Menschen hier nicht allein sind.
Caritas: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Wilde.
Das Interview führte Anja Stoiser