Dr. Robert Seitz, Abteilungsleiter Soziale Einrichtungen beim Diözesan-Caritasverband Regensburg Caritas Regensburg
Ein Armutszeugnis also für unsere Pflegepolitik, die doch so konsequent "ambulant vor stationär" fordert und fördert? Meine Antwort lautet: ja, wenn wir von profitgetriebenen Verwahranstalten reden, in deren Mauern wir bis zum Schluss eingesperrt sind. Denn so erscheinen Pflegeheime in der veröffentlichten Meinung häufig. Mit der Realität hat das freilich in den allermeisten Fällen nichts zu tun. Heimbewohner erleben das, was auch im Alter das Wichtigste ist: Lebensfreude.
Unser Lebenselixier sind die sozialen Kontakte, die sich in den Wohngruppen und Gemeinschaftsräumen von Seniorenheimen ziemlich leicht ergeben. Oder ist es besser, den ganzen Tag allein in seiner vertrauten Umgebung zu sitzen und auf den Abend zu warten? Außerdem brauchen wir Schutz, auch für unsere Gesundheit. Den liefert ein gutes Alten- und Pflegeheim mit seinen Spezialisten, beispielsweise für Schmerzmanagement und Demenz, rund um die Uhr. So wird ein Heim zur neuen Heimat, weil mindestens seit den Römern gilt: "Wo es mir gut geht, da ist meine Heimat."
Politik, Kosten- und Pflegeträger haben die vornehme Aufgabe, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass es unseren Senioren gut geht. Da ist es mindestens so wichtig, in menschliche Interaktion und Empathie zu investieren wie in moderne Mauern. Gerade ältere und demente Menschen hängen an Vergangenem. Sie leben häufig in der Vergangenheit. Es ist gut, dass die aktuelle Pflegereform Demenz besser berücksichtigt und bei der Bestimmung von Pflegebedürftigkeit die individuellen Ressourcen jedes Einzelnen in den Mittepunkt stellt. Die Einteilung in fünf Pflegegrade zielt auf alle Bereiche ab, die Lebensqualität ausmachen; von der Mobilität über die Psyche bis zur Gestaltung des Alltags und sozialer Begegnungen. Und auf das Soziale legen gute Pflegeträger großen Wert: Altenheime sind Stätten sozialer Begegnung, für die Senioren einer Wohngruppe ebenso wie für deren Familien und Angehörigen. Und für Gäste aus dem Quartier, für Jung und Alt, wenn zum Beispiel ein Kindergarten seine Feste im Altenheim gemeinsam mit den Bewohnern feiert. Das Heim liefert für ein solch intergeneratives Zusammenleben die ideale Infrastruktur und eine effiziente Logistik – übrigens auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Ganz nebenbei lernen Kinder einen unbefangenen, ja sogar fröhlichen Umgang mit älteren und demenziell erkrankten Senioren.
Ob nun häusliche, ambulante oder stationäre Pflege am besten ist? Das hängt von jedem Einzelnen ab, auch von dessen familiären und sozialen Umfeld. Für mich persönlich wird es jedenfalls kein Paradigma "Ambulant vor Stationär!" geben, solange in beiden Bereichen so engagierte und motivierte Kräfte arbeiten, wie ich sie aus meinem beruflichen Umfeld kenne. Ich wünsche mir aber, dass ich meine Entscheidung dann immer noch eigenständig treffen kann und von niemandem beeinflusst oder gar bevormundet werde. Und dass ich für meine Wahl eine faire finanzielle Unterstützung aus der Pflegeversicherung erhalte – auch oder gerade dann, wenn ein Alten- und Pflegeheim meine letzte Heimat sein wird.