Herr Dr. Seitz, Unions-Gesundheitsexperte Jens Spahn bezeichnete in der Süddeutschen Zeitung den Pflege-TÜV in der derzeitigen Form als "Desaster". Sehen Sie das auch so?
Politiker nutzen ja gern markige Worte. Fest steht: Wenn die Durchschnittsnote aktuell 1,3 ist, dann lässt das Prüfsystem nicht ausreichend zwischen den sehr guten und den weniger guten Einrichtungen differenzieren. Als "Desaster" würde ich den Pflege-TÜV trotzdem nicht bezeichnen. Wir brauchen aber zweifellos Veränderungen.
"Die kirchlichen Einrichtungen sind besonders gefordert, in Zukunft auf eine nachhaltige Qualitätskontrolle in der Altenpflege zu achten" – Caritas-Pflegeexperte Dr. Robert Seitz stand im Interview Rede und Antwort zur Qualität und zu künftigen Herausforderungen in der Altenpflege.Fabian Kutz, burcom Regensburg
Stimmt die These, dass der Pflege-TÜV unnötig viele Ressourcen und Mitarbeiter bindet?
Ja, das sehe ich auch so. Die Kosten liegen für die Prüfinstanzen und die Geprüften bei etwa 200 Millionen Euro jährlich. Insbesondere die stationäre Pflege ist an vielen Stellen deutlich überreguliert - nicht nur durch den Pflege-TÜV. Inzwischen müssen wir mit dem Meterstab durch unsere Häuser laufen und Zimmergrößen nachmessen. Vieles könnten die Pflegebedürftigen selbst oder deren Angehörige entscheiden.
Aber es gibt sicher auch gute Ansätze am Pflege-TÜV des MKD, oder?
Auf jeden Fall. Gerade in der Anfangsphase half der Pflege-TÜV, Probleme aufzudecken - insbesondere bei der Dokumentation. Insofern half der Pflege-TÜV sicher, flächendeckend die Dokumentationsqualität zu verbessern. Wir von der Caritas Regensburg haben mit unseren insgesamt über 100 ambulanten Diensten und stationären Einrichtungen den TÜV von Anfang an ernst genommen, aber nicht als Maß für Lebensqualität missverstanden. Unsere Noten waren übrigens bereits seit Beginn deutlich über dem Schnitt.
Würde Sie es begrüßen, dass der MKD auch nach der möglichen Abschaffung des Pflege-TÜV Pflegeeinrichtungen prüft?
Natürlich braucht das deutsche Pflegesystem, vor allem in Zeiten von Lohn- und Qualitätsdumping, eine Kontrolle und Regulierung. Das ist bei Marktversagen immer so und kommt letztlich den Pflegebedürftigen zugute. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) und der PKV-Prüfdienst der privaten Versicherer haben als unabhängige Institutionen das Rüstzeug, nachhaltig zu prüfen.
Eine Neuordnung der Qualitätssicherung muss her. So werden Pflegekräfte nachhaltig entlastet und können sich um den wichtigsten Teil ihrer Arbeit kümmern: den Menschen.DCV/KNA
Wie würde Ihrer Meinung nach eine optimale Qualitätskontrolle der Pflegeeinrichtungen aussehen? Ist das überhaupt möglich?
Viele erwarten von einem Kontrollsystem, dass es wie eine wissenschaftlich geeichte Maschine in einer Note die Ergebnisqualität für jeden Pflegebedürftigen ausspuckt. Das ist natürlich nicht leistbar. Trotzdem gibt es Kriterien für eine gute Qualitätskontrolle. Zuerst muss festgelegt werden, was überhaupt messbar ist, und das muss valide gemessen werden. Dabei muss die Prüfung mit einem geringen Verwaltungsaufwand machbar sein. Am Ende sollte ein verlässliches Ergebnis stehen, das nicht zu stark von Prüfpersonen abhängig ist und gleichzeitig Unterschiede in der Qualität aufzeigt. Und es sollte zuletzt auch von den Betroffenen akzeptiert werden. Hierzu zählen natürlich vor allem die Heimbewohner und deren Angehörige.
Gibt es alternative Modelle zum Pflege-TÜV?
Für die ambulante Pflege konnte sich kein anderes Modell herausbilden, wohl aber für den stationären Bereich. Unter dem einprägsamen Namen EQisA (Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe) wurde für die Pflegeheime ein alternatives Instrument entwickelt. Dort geht Eigenverantwortung vor Fremdkontrolle. Das Neue ist vor allem, dass nicht die externe Prüfung im Vordergrund steht, sondern das interne Qualitätsmanagement in den Einrichtungen, das von übergeordneten Fachleuten begleitet wird. Die Rolle des MDK könnte hier neu definiert werden, indem externe Stichprobenüberprüfungen im Rahmen von EQisA vorgenommen werden. Das würde auch zu einer Entlastung der Pflegefachkräfte in der Verwaltung führen.
Also würden Sie EQisA als neues Modell für alle Pflegeeinrichtungen einführen und den bestehenden MDK-Pflege-TÜV abschaffen?
Ja. Das ist im Übrigen auch die Linie des Deutschen Caritasverbandes. Caritas-Präsident Peter Neher hat sich dafür ausgesprochen, EQisA als neues System einzuführen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass dieses Instrument gut geeignet ist, die Qualität der Pflege gezielt zu verbessern und damit die Lebensqualität der Bewohner in Pflegeheimen sicherzustellen. Und das ist schließlich das Wichtigste.
Das Modellprojekt ‚Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe – Projekt EQisA' konnte bereits sehr gute Erfolge erzielen und könnte schon bald bundesweit eingeführt werden.
Die katholische Kirche und ihre Caritas ist die größte Arbeitgeberin für Pflegeberufe in Deutschland. Allein im Bistum Regensburg verbringen rund 4000 Senioren ihren Lebensabend in katholischen Alten- und Pflegeheimen. Sind Kirche und Caritas als größte Träger von Pflegeeinrichtungen in Deutschland besonders gefordert, wenn es um Fragen zur Zukunft der Pflegequalität geht?
Tatsächlich sind die kirchlichen Träger besonders gefordert. Denn wir haben schon aus unserem Selbstverständnis heraus einen hohen Qualitätsanspruch. Alle Alten- und Pflegeheime in Trägerschaft oder Geschäftsführung des Caritasverbandes Regensburg haben den "grünen Haken" für Verbraucherfreundlichkeit erhalten. Am Projekt EQisA ist die Caritas federführend beteiligt, von bundesweit 169 Einrichtungen sind zehn Caritas-Einrichtungen aus der Diözese Regensburg. Damit sind wir in der Gruppe der Qualitätspioniere deutlich überproportional vertreten. Wir wollen auch bei Pflegekonzepten Maßstäbe setzen: beispielsweise im Bereich Demenz mit einem konsequent auf Bewohnerbedürfnisse und -freiheiten ausgerichteten Ansatz, zum Beispiel im Baulichen mit dem "Marktplatz-Konzept" in Geisenfeld.
Worin besteht für Sie die Qualität eines Altenheimes oder eines Pflegedienstes?
Das ist vor allem der Ruf einer Einrichtung oder eines Dienstes. Wenn die Leute sagen "Du brauchst Hilfe im Alter? Geh zur Caritas!", dann haben wir eine hohe Qualität. Ganz entscheidend sind die Caritas-Mitarbeitenden, unsere Kolleginnen und Kollegen, vor Ort. Wenn diese das Profil der Caritas authentisch leben, mit einem einfühlsamen und lebensbejahenden Wesen, mit einem Gespür für den angemessenen Umgang mit Alter und Gebrechen, ganz besonders auch mit dem Tod, dann stimmt die Qualität.
Werden dieses authentische Profil und die gute Arbeit durch die vielen Protokollierungen und Formalitäten nicht in den Hintergrund gedrängt?
Zunächst möchte ich festhalten, dass Dokumentation und Protokollierungen wesentlicher Bestandteil einer professionellen Pflege sind. Nur dürfen diese Aufgaben nicht zur lästigen Pflicht werden. Deshalb ist es unser Ziel und Bestreben, die Dokumentation auf das Wesentliche zu beschränken. Aber auch heute wird in unseren Einrichtungen und Diensten täglich wirklich gute Arbeit geleistet. Der Grund ist einfach: Die Altenpflege ist eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit, die mehr berufliche Erfüllung bringt, als so mancher Büro- oder Fabrikjob. Gleiches gilt in der Altenhilfe für die Tätigkeit in der Hauswirtschaft und in der Küche, die ja ebenfalls oft sehr nah am Menschen ist.
Spüren Sie bei der Caritas Regensburg einen Fachkräftemangel in der Pflege?
Insgesamt spüren wir den Pflegenotstand noch nicht. Ich vermute, dass dies am guten Ruf der Caritas als Arbeitgeber liegt, wozu auch eine faire und verlässliche Bezahlung gehört. Vereinzelt und regional kann es jedoch durchaus zu Engpässen kommen. Wir versuchen vor allem, die Vorteile und Attraktivität des Pflegeberufs zu verdeutlichen. Leider gibt es auch oft Vorurteile. Dem wollen wir entgegenhalten, dass die Tätigkeit in der Pflege zwar anstrengend und anspruchsvoll, aber auch sehr erfüllend und - zumindest bei der Caritas - viel besser bezahlt ist, als dies oft vermutet wird.
Würden Sie einem jungen Menschen den Beruf der Altenpflegefachkraft empfehlen?
Ein klares: JA! Wer es möchte, kann die Ausbildung sogar mit einem Pflegestudium kombinieren. Hierzu haben wir eine Kooperation mit der Hochschule in Deggendorf abgeschlossen. Wer sich für einen Pflegeberuf interessiert, dem empfehle ich, in die Einrichtungen zu gehen, sich dort mit Pflegekräften zu unterhalten, mit Auszubildenden und erfahrenen Kräften. So erhalten sie ein realistisches Bild. Und das ist ein buntes, ein lebendiges und lebensfrohes Bild.
Herr Dr. Seitz, wir danken für das Gespräch
Zusatzinfos:
Im Bistumsgebiet Regensburg gibt es 51 katholische Alten- und Pflegeheime, davon sind 18 allein in Trägerschaft des Diözesan-Caritasverbandes. Bei vier weiteren Heimen werden die Geschäfte vom ihm geführt. Fast 4000 ältere Menschen verbringen in diesen Häusern ihren Lebensabend. Unter dem Dach des Diözesan-Caritasverbandes bestehen fast 950 Einrichtungen. Pro Jahr werden von Einrichtungen und Diensten der Caritas im Bistum Regensburg mehr als 260.000 Menschen betreut.
Mehr Informationen zum Thema Altenpflege der Caritas Regensburg: www.altenpflege-caritas.de