Ambulante Erziehungshilfen in Familien bilden eine zentrale Säule des Jugendhilfesystems in Deutschland. Sie bieten sozialpädagogische Unterstützung für Familien, Kinder und Jugendliche, die Hilfe in problematischen Lebenslagen oder Krisen benötigen. Ihre Qualität entscheidet darüber, inwieweit belastete Familiensysteme eine passgenaue und nachhaltig wirkende Unterstützung erhalten. Eine frühzeitige Intervention ist oft geeignet, Problemlagen bedarfsgerecht zu bearbeiten. Demgegenüber sind es häufig unzureichend bearbeitete und sich in der Folge verschärfende Problemdynamiken, die aufwändigere Hilfen, wie z.B. Fremdunterbringungen, erforderlich machen.
Anders als bei den stationären Hilfen hat der Gesetzgeber im Referentenentwurf des Gesetzes zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz - IKJHG) den verbindlichen Abschluss von Vereinbarungen für Leistung, Qualität und Entgelte ambulanter Hilfen auf Bundesebene nicht geregelt, eine Vereinbarung ist gem. § 77 SGB VIII nur "anzustreben". Auf der Länderebene sieht die Situation sehr heterogen aus, denn die Vereinbarungen zu den ambulanten aufsuchenden Hilfen werden zwischen den örtlichen und freien Trägern abgeschlossen. Die Länder könnten als übergeordnete Instanz aufgrund des Landesrechtsvorbehaltes nach § 77 Abs. 1 S. 3 SGB VIII weitere Aspekte in ihren Landesgesetzen regeln. Hiervon haben nur einige Bundesländer Gebrauch gemacht.
Das bedeutet, dass vielerorts erhebliche Diskrepanzen zwischen den hohen fachlichen Erwartungen an ambulante Erziehungshilfen und dem Mangel an Ausstattung dieser Hilfen bestehen.
Qualität der Hilfen entscheidet wesentlich über ihre Wirksamkeit1!
Qualifiziertes Handeln in den ambulanten aufsuchenden Hilfen bedeutet ein Handeln in komplexen, belastenden und belasteten Familiensituationen und den konstruktiven Umgang mit möglichen Widerständen der Familie. Wichtige Grundlagen für ein entsprechendes kenntnisreiches Vorgehen sind erfahrene Fach- und Leitungskräfte mit einer entsprechenden Qualifikation sowie Supervision und Fortbildung. Das muss finanziert werden!
Gerade in diesen Arbeitsfeldern zeigt sich, dass die Bedingungen der Leistungserbringung zugleich Bedingungen der Professionalität sind: Wo qualifizierte Fachkräfte ohne ausreichende Rahmenbedingungen arbeiten müssen, wird fachliches Wissen systematisch unterlaufen.
In einigen Regionen sind Angebote der ambulanten aufsuchenden Erziehungshilfe von Trägern in ihrem Fortbestand gefährdet, die
• Wert auf tarifgerechte Entlohnung legen,
• den Einsatz von gut qualifizierten Fachkräften sicherstellen,
• auf professionelle Strukturen und qualifizierte fachliche Leitung achten,
• die Möglichkeit kollegialer Beratung und qualifizierter Supervision innerhalb des Teams sichern,
• professionelle Rahmenbedingungen für übergreifende Verwaltungstätigkeiten vorhalten.
In vielen Regionen sind sie nicht in der Lage, kostendeckende Entgelte zu vereinbaren, oder sie stehen in Konkurrenz zu Trägern, die bei verschiedenen der oben beschriebenen Aspekte bereit sind, deutliche Abstriche zu machen.
Durch den aktuellen Fachkräftemangel verschärft sich das Qualitätsproblem durch Absenkungen fachlicher Standards weiter, es setzen Prozesse der Deprofessionalisierung ein. Diese Entwicklung bedeutet nicht nur eine Gefahr für die Wirksamkeit einzelner Hilfen, sondern stellt auch die Professionalität der Sozialen Arbeit insgesamt in Frage:
Fehlende rechtliche Absicherungen führen zu einer Praxis, in der die Verantwortung der Fachkräfte wächst, ihre Möglichkeiten aber beschnitten werden!
Gesicherte, auskömmliche Finanzierung und Augenhöhe
Ein wichtiger Schritt, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist die Verständigung über die Qualitätsgrundsätze und -maßstäbe zwischen freien und öffentlichen Trägern und eine darauf aufbauende gesicherte auskömmliche Finanzierung qualifizierter ambulanter, aufsuchender Erziehungshilfen.
Darum muss die Verpflichtung zum Abschluss von Vereinbarungen für Leistungen, Qualität und Entgelte analog den stationären Erziehungshilfen auch für die ambulanten Hilfen im § 77 SGB VIII auf Bundesebene im Rahmen des IKJHG einheitlich geregelt werden!
Darüber hinaus müssen die Leistungserbringer auf Augenhöhe mit den Jugendämtern verhandeln können. Dies ist eine Frage der Haltung. In Streitfällen lässt sich eine solche gleiche Augenhöhe regelmäßig nur mittels Anrufung der Schiedsstelle herstellen3. Diese ist nach geltender Rechtslage bisher aber nur für eine (teil-)stationäre Leistungserbringung möglich.
Im SGB IX-2. Teil, sind dagegen ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe seit Jahren schiedsstellenfähig. Im RefE-IKJHG sollte diese Regelung wegfallen, was bei einer Zusammenlegung mit der Jugendhilfe eine maßgebliche Schlechterstellung bedeuten würde!
Im Beteiligungsprozess des BMFSFJ bestand 2024 ein breiter Konsens aller Beteiligten darüber, dass auch in der Kinder- und Jugendhilfe eine Schiedsstellenfähigkeit für ambulante Leistungen eingeführt werden muss.
Die gesetzliche finanzielle Absicherung ambulanter Hilfen ist damit nicht allein eine juristische Detailfrage, sondern ein zentraler Schritt, um die Handlungsfähigkeit und die fachliche Integrität Sozialer Arbeit in belasteten Familiensituationen insgesamt zu sichern.
Die unterzeichnenden Verbände und Personen
appellieren darum nachdrücklich an die Bundesjugendhilfepolitik, Folgendes in das IKJHG aufzunehmen:
• Den verbindlichen Abschluss von Vereinbarungen für Leistungen, Qualität und Entgelte der ambulanten Erziehungshilfe analog den Vorgaben für die (teil)stationären Hilfen im § 77 zu regeln.
• Die Schiedsstellenfähigkeit der ambulanten Hilfen jetzt endlich gesetzlich im § 77 zu verankern.
Köln, 21.10.2025
Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF)
Dr. Julia Hille, Martin Diem, Katharina Esser und Birgit Averbeck, averbeck@dgsf.org
Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst e.V." (BAG ASD)
Kerstin Kubisch-Piesk, Kerstin.Kubisch-Piesk@bag-asd.de
Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe e. V. (BVkE)
Stephan Hiller, stephan.hiller@caritas.de
Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe (VPK e.V.)
Janine Hahn, hahn@vpk.de
Evangelischer Erziehungsverband e. V. EREV
Dr. Björn Hagen, b.hagen@erev.de
Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk (EFJ)
Martin Isermeyer, isermeyer.martin@ejf.de
Internationale Gesellschaft für Erzieherische Hilfen e. V. (IGfH)
Stefan Wedermann, wedermann.koch@igfh.de
Dr. Marie-Luise Conen, Dipl. Psych. Dipl.- Päd. M. Ed (Master of Education, Temple University, Philadelphia), Familientherapeutin
Dr. Andreas Dexheimer. Vorstand Diakonie Rosenheim
Prof. Dr. Silvia Hamacher, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen katho. Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit. Schwerpunkt Counceling und Frühe Bildung
Prof. Dr. Nikolaus Meyer, Professor für Profession und Professionalisierung Sozialer Arbeit, Hochschule Fulda
Prof. Dr. Fabian Kessl, Bergische Universität Wuppertal, Institut für Erziehungswissenschaft
Prof. Dr. Dr. Reinhard Wiesner, Ministerialrat a.D. und Honorarprofessor für Jugendhilferecht
Prof. Dr. Holger Ziegler, Universität Bielfeld, Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit