Es braucht zivilgesellschaftliches Engagement und klare gesetzliche Regelungen
Wie schlimm schätzen Sie die Klimakrise ein?
Grießhammer: Ohne große Gegenmaßnahmen wird die Klimakrise zur Klimakatastrophe. Wir steuern auf drei Grad Erwärmung zu. Das heißt mehr Hitzetote und viel mehr Extremereignisse wie Stürme, Überschwemmungen, Dürren - nicht nur in Afrika oder Asien, sondern auch bei uns.
Neher: In der biblischen Erzählung von der Sintflut haben die Menschen schon einmal wegen Eigennutz und wenig Rücksicht aufeinander die Erde in eine Katastrophe geführt. Daraufhin hat Gott mit Noah einen neuen Bund geschlossen und ihm und uns allen nochmals die Erde anvertraut. Damit haben wir gut umzugehen. Ich glaube, dass die Welt einmal vollendet werden wird, aber nicht in der Katastrophe endet.
Grießhammer: Dann muss dringendst die Stromproduktion ganz auf erneuerbare Energien umgestellt werden, im Gebäudebereich muss energetisch saniert werden, der Fleischverbrauch muss halbiert werden und die Mobilität muss sich dramatisch ändern. Die Politik muss den Rahmen setzen, aber letztlich kann sie das nicht alleine richten. Alle müssen mitmachen.
Neher: Ich stimme dem zu. Es braucht zivilgesellschaftliches Engagement, aber es braucht auch klare gesetzliche Regelungen. Und die soziale Komponente und die Gerechtigkeitsfrage sind keinesfalls von der ökologischen Frage zu trennen. Gerade Menschen in besonders prekären Lebenssituationen sind vom Klimawandel jetzt schon besonders betroffen. "Laudato si" von Papst Franziskus ist eine Gerechtigkeitsenzyklika, in der er erstmals die Umweltthematik mit der sozialen Frage kombiniert.
Grießhammer: Genau. Haushalte mit hohem Einkommen tragen viel mehr zu Treibhauseffekt und Klimaerhitzung bei, während Haushalte mit niedrigen Einkommen tendenziell unter den Maßnahmen leiden. Die Schweiz hat deswegen eine CO2-Steuer erhoben, deren Einnahmen zum großen Teil über eine Pro-Kopf-Prämie an die Bürger zurückgegeben werden. Davon profitieren vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen, weil die eben weniger Energieverbrauch haben, weniger zu Treibhauseffekt und CO2-Emissionen beitragen. Und es profitieren mehrköpfige Familien. Daneben muss man natürlich bei jeder einzelnen Maßnahme im Klimaschutz aufpassen, wie sie sich auf Haushalte mit niedrigem Einkommen auswirkt und gegebenenfalls Maßnahmen zur Kompensation ergreifen.
Neher: An der Tempobegrenzung auf 130 km/h, der CO2-Bepreisung oder der Prämie für E-Autos wird klar, dass die Politik ihren Job dabei nicht gut macht. Bei energetischen Wohnungssanierungen zahlen über höhere Mietpreise eigentlich die Mieter die Rechnung, während die Eigentümer dafür Unterstützung erhalten. Hier könnte die Politik den Sanierungszuschuss an die Miethöhe koppeln: je niedriger die Miete, umso höher der Zuschuss.
Grießhammer: Ein anderer Vorschlag ist, dass die Miete nur in dem Maße erhöht werden kann, wie die Heizungskosten tatsächlich sinken.
Neher: Der Stromspar-Check ist eine Erfolgsgeschichte des Umweltministeriums und der Caritas. Es ist gelungen, Stromverbrauch und Kosten für prekäre Haushalte zu minimieren, damit aber gleichzeitig den Energieverbrauch zu senken als Beitrag zur Ökologie und indem Langzeitarbeitslose selber noch ausgebildet werden als Stromsparhelfer. Diese Idee sollte eine breitere Basis finden.
Grießhammer: Durchaus. Hier wurden in über 300.000 Haushalten Ökologie und Soziales berücksichtigt sowie die Ökonomie für die Kommunen, nicht nur für die betroffenen Haushalte. Der Stromspar-Check könnte Modell für die Caritas-Organisationen und Einrichtungen werden.
Neher: Die Caritas ist natürlich auch selbst gefordert. So haben wir jüngst beim Gebäudebau hier unsere Heizung umgestellt. 2014 sind wir mit der Kampagne "Weit weg ist näher, als du denkst" verbandlich noch nicht durchgedrungen. In der kommenden Delegiertenversammlung 2020 in Aachen ist der Klimawandel Schwerpunkt. Wir müssen Impulse geben für energetische Sanierungen in den Diensten und Einrichtungen sowie für die Fahrzeugflotten. Mit unserem Auslandshilfswerk "Caritas international" wollen wir weiterhin mit entsprechendem Saatgut bei Trockenheit, dem Bau von Wasserrückhaltebecken oder bei der Energiegewinnung unseren Beitrag leisten. Das Ganze wird begleitet von einer hausinternen Projektgruppe.
Grießhammer: Die finanziellen Bedingungen sind heute besser. Es gibt mehr Zuschüsse, die Zinsen sind niedriger und auf der anderen Seite steigen die Energiepreise durch die CO2-Bepreisung. Unter den 25.000 Einrichtungen der Caritas sind ja viele alte Gebäude, die saniert werden sollten. Aber der Klimaschutz muss mit der Tagesarbeit einhergehen. Es braucht dafür eine klare Strategie und konsequente Umsetzung.
Neher: Es braucht dazu aber auch Kostenträger, die mitmachen, und Delegierte, von denen Impulse ausgehen. Um beispielsweise eine gute Pflege in einem Altenheim zu erreichen, gehört auch der ökologische Aspekt dazu (z.B. Textilketten, Essen, bauliche Maßnahmen). Da sind noch dicke Bretter zu bohren. Es braucht den Willen, aber auch politische Rahmen-bedingungen.
Grießhammer: Ich komme auf Ihr Gleichnis mit Noah zurück. Mit dem Bau der Arche wurde versucht, der Überschwemmung entgegenzuwirken. Im Klimabereich können die reichen Nationen noch ein paar Dämme bauen, die für einige Jahrzehnte halten. Viele Auswirkungen kann man aber gar nicht mehr durch irgendwelche Maßnahmen kompensieren.
Neher: Ich habe letztes Jahr Mitglieder von Caritas Fidschi und Tonga getroffen. Deren Lebensgrundlagen brechen jetzt schon weg. Wenn es so weitergeht, sind sie in Kürze ökologische Flüchtlinge. Aber sollen wir jetzt den Entwicklungs- und Schwellenländern sagen: "Nehmt euch zurück, ihr könnt nicht den gleichen Lebensstandard haben wie wir, sonst gefährdet ihr den gemeinsamen Planeten?" Das wäre anmaßend und gleichzeitig wissen wir, hätten sie den gleichen Standard wie wir, dann ginge es jetzt schon nicht mehr. Das heißt im Umkehrschluss: Wir müssen auch deutliche Maßnahmen ergreifen, was unsere eigene Art zu leben angeht.
Grießhammer: Richtig. Falsch wäre aber die Schlussfolgerung, dass es keinen weiteren Konsum oder Wachstum in Entwicklungsländern geben darf. Wir haben immer noch über 800 Millionen hungernde Menschen und 3,4 Milliarden Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Dort ist nachholende Entwicklung notwendig und erforderlich. Ich finde ganz interessant, was die Auswirkung von der Corona-Krise sein wird. Viele Menschen merken: "Konsum ist nicht alles." Gegenseitige Unterstützung, Freundschaften, Nachdenken über ein anderes Leben sind auch wichtig.
Neher: Die Wirkungen der Corona-Krise sind im Moment schwer einzuschätzen. Aber wenn daraus ein Bewusstsein der gegenseitigen Sorge erwüchse, wäre das wirklich wertvoll. So wie in der Corona-Krise wegen der Ansteckungsgefahr Junge auf Alte achten sollten, müssen die Älteren sich der Folgen des Klimawandels für die Jüngeren bewusst werden. Auch wenn sie 2050 oder 2100 nicht mehr da sind, werden ihre Enkel, die sie jetzt so schmerzlich vermisst haben, womöglich noch leben. Aus diesem Bewusstsein heraus sollte ein neues und politisches Handeln entstehen zugunsten einer sozial-ökologischen Klimarettung.