Beziehungsgewalt enttabuisiert
In den Workshops ordnen die Schülerinnen und Schüler den Gewaltarten verschiedene Beispiele zu. Foto: Miriam Göbbel
Miriam Göbbel (links) tauscht sich regelmäßig mit Frauenhausleiterin Andrea Schlicht über die Entwicklung des Programms PräGe aus. Foto: Peter Esser
Seit wann gibt es das Programm PräGe und wie viele Schülerinnen und Schüler haben daran bisher teilgenommen?
Schlicht: Es gibt es seit 2013, wir haben heuer damit zehnjähriges Jubiläum. 2020 fand es aufgrund personeller Veränderungen und dann wegen Corona nicht statt. Bisher haben sich rund 4.400 Schülerinnen und Schüler daran beteiligt, etwa zur Hälfte jeweils Mädchen und Jungen, in allen Klassen ab der 7. Jahrgangsstufe, auch an Berufsschulen.
Warum wurde PräGe gestartet?
Schlicht: Wir wollen, dass es so früh wie möglich Angebote zur Prävention häuslicher Gewalt gibt und dass junge Menschen so früh wie möglich entsprechende Warnsignale und Handlungsmuster erkennen.
Was sind Ihre bisher wichtigsten Erfahrungen mit dem Programm?
Göbbel: Wir stellen eine große Unwissenheit bei den jungen Menschen bei diesem Thema fest. Viele sehen es zum Beispiel als normal an, Kontrolle statt Vertrauen walten zu lassen: zum Beispiel, indem sie das Handy des Partners kontrollieren - oft aus Eifersucht heraus. Doch nahezu alle zeigen sich dankbar für unser Angebot, drei Stunden in ihrem Unterricht bei ihnen zu sein, ihnen Wissen zum Thema Beziehungsgewalt zu vermitteln und mit ihnen dazu in einen Austausch zu kommen. Manche Klassen möchten auch, dass wir ein zweites Mal kommen, um dann nochmals andere Aspekte zu beleuchten.
Was bringt der Kurs vor allem?
Göbbel: Wir schaffen es zum einen, die Problematik zu enttabuisieren und sie als gesellschaftliches - nicht nur privates - Thema aufzuzeigen. Auch können wir den Jugendlichen vermitteln, wohin sie sich bei Gewalterfahrungen wenden können: an Beratungslehrerinnen und -lehrer sowie die Jugendsozialarbeit an der Schule, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter im Jugend- und Stadtteiltreff, an die Polizei unter dem Notruf 110 oder auch an uns unter 0841 / 309700 oder an frauenhaus@caritas-ingolstadt.de. Das tun wir auch mit einer Postkarte PräGe. Und wir machen die Erfahrung, dass sich manche wirklich uns gegenüber öffnen. Daher sind wir auch immer zu zweit im Unterricht, um sowohl in der großen Gruppe aufzuklären, als auch Einzelgespräche parallel führen zu können. Wir sind davon überzeugt, dass wir für die Problematik sensibilisieren. Mädchen und Jungen werden gestärkt, Vorboten von Gewalt zu erkennen, sich vor Gewalt zu schützen und konstruktive Konfliktlösungen zu erarbeiten. In den Schulungen können die Beteiligten ihre eigene Haltung bezüglich Gewalt reflektieren.
Welche konkreten Inhalte hat der Kurs?
Schlicht: Grundsätzlich haben wir das Projekt seit 2017 inhaltlich erweitert. Am Anfang ging es ausschließlich um häusliche Gewalt. Nun bieten wir auch den Schwerpunkt "Gewalt in den ersten Teenagerbeziehungen" an, weil dies die jungen Leute in ihrer Situation konkreter anspricht.
Göbbel: Es steht der Gewaltkreislauf, also wie Gewalt entsteht, im Mittelpunkt. Weitere Beispiele sind der Austausch über Erwartungen an den Traumpartner oder die Traumpartnerin. Schließlich geht es darum, dass jeder und jede konkret beim Vorlesen einer Beziehungsgeschichte beurteilt, bis wohin er oder sie mitgeht und wann eine Grenze gesetzt werden soll. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn der Partner oder die Partnerin nicht mehr erlauben, dass man sich mit Freunden trifft. Außerdem diskutieren wir die verschiedenen Gewaltarten: von der körperlichen über psychische, ökonomische und sexualisierte bis hin zur digitalen Gewalt.
Wie machen die Schülerinnen und Schüler mit?
Göbbel: Grundsätzlich sehr gut. Es kommt schon auch einmal vor, dass unangemessene Witze gemacht werden. Das sind aber Ausnahmen. Wir stellen fest, dass sich viele Schülerinnen und Schüler auch sehr für unser Caritas-Frauenhaus interessieren sowie für die Nöte der und Hilfen für Frauen und Kinder, die bei uns sind. Meistens kommt wirklich ein Austausch zustande und nur selten verbleiben wir im Vortragsstil.
Wie wird das Angebot "PräGe" finanziert?
Schlicht: Zum Großteil durch Spenden, und da vor allem durch den Soroptimist International Club Ingolstadt und den Verein Goals for Kids. Doch auch der Lions Club Ingolstadt hat uns schon mit Spenden unterstützt. Einen festen wichtigen finanziellen Beitrag leistet jährlich zudem die Stadt Ingolstadt. Und der Caritasverband für die Diözese Eichstätt bringt einen zehnprozentigen Eigenanteil ein. Finanziert werden dadurch vor allem die Personalkosten von Frau Göbbel und unserer anderen Mitarbeiterin in dem Programm sowie zu einem kleinen Teil Material- und Fahrtkosten.
Kann und soll das so weitergehen? Was wünschen Sie sich?
Schlicht: Die Finanzierung ist Gott sei Dank derzeit stabil, aber wir halten das Angebot für so wichtig, dass wir es dauerhaft fortführen wollen und wünschen uns deshalb, dass es zu einer Regelfinanzierung kommt. Wir würden uns freuen, wenn es nach zehn Jahren PräGe in diese Richtung ginge.