Zusammenfassung
Im Rahmen der 3. Änderung des Betreuungsrechts ist der Deutsche Caritasverband
vom Bundesjustizministerium zu einer Stellungnahme zum Referentenentwurf
aufgefordert worden. Mit dieser Änderung soll die gesetzliche Regelung der
Patientenverfügung (PV) erstmals im Betreuungsrecht verankert werden. Die PV
soll bei Einwilligungsunfähigkeit fortgelten. Es ist weder eine Befristung der
Gültigkeit einer PV noch eine bestimmte Formvorschrift vorgesehen. Der Entwurf
sieht keine Beschränkung der Reichweite auf ein bestimmtes Krankheitsstadium
vor. Für den Fall, dass keine PV vorliegt und der mutmaßliche Wille eruiert
werden muss, werden dem Betreuer/ Bevollmächtigten gemeinsam mit dem Arzt bei
Einverständnis zwischen beiden Personengruppen weitreichende Kompetenzen eingeräumt.
Das Vormundschaftsgericht soll nur bei unterschiedlicher Sichtweise von Arzt
und Betreuer eingeschaltet werden.
Bewertung und Forderung
Die gesetzliche Verankerung der Patientenverfügung wird im Referentenentwurf
nur unter betreuungsrechtlichen Aspekten gesehen. Die Schutzpflicht des Staates
gegenüber dem Einzelnen ist nicht genügend berücksichtigt.
Die Ausweitung der Reichweite der PV auf den Fall, dass der Betreute noch nicht
im Sterben liegt, lehnt der DCV ab. Alle Fragestellungen im Zusammenhang mit lebensbeendenden
Maßnahmen müssen regelhaft einer Überprüfung durch Dritte unterzogen werden.
Hierfür sind zwei Lösungen denkbar: die Einschaltung des
Vormundschaftsgerichtes oder die Einführung eines Ethik - Konsils.
Die gesetzliche Regelung der PV erfordert das Formerfordernis von
Schriftlichkeit.
Das Rechtsinstitut muss eingebunden sein in Maßnahmen zur Sterbebegleitung und
in
ein
flächendeckenden Netz von
palliativmedizinischen und hospizlichen Maßnahmen. Die palliative Versorgung
ist derzeit nicht
im ausreichendem Maße
gesichert.
Der DCV greift folgende Punkte auf:
1.
Einführung der Patientenverfügung
als Rechtsinstitut
2.
Reichweite von
Patientenverfügungen und ihre Bindungswirkung
3.
Formerfordernisse
,
4.
Notwendigkeit der regelhaften
Überprüfung durch neutrale Dritte Vormundschaftsgericht bzw. Konsilslösung.
Zu 1
Der Deutsche Caritasverband (DCV) begrüßt die Einführung der Patientenverfügung
als Rechtsinstitut. Dabei erwartet er vom Gesetzgeber, dass er nicht nur das
Selbst-bestimmungsrecht des Einzelnen stärken will, sondern gleichrangig auch
die Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung der Schutzpflicht des Staates
gegenüber dem Einzelnen deutlich benennt und festlegt.
Der DCV weiß um die hohe Bedeutung des verfassungsrechtlich verankerten
Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen, Verfügungen zu medizinischen und
pflegerischen Behandlungen zu treffen und weist auf das gelungene Beispiel der
christlichen PV mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung hin (Hrg.
Kirchenamt der EKD, Hannover und dem Sekretariat der DBK, Bonn, 2. Auflage
2003).
Der DCV kritisiert, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der gesetzlichen
Regelung der Patientenverfügung nur das Selbst-bestimmungsrecht und die
Verantwortung des Einzelnen stärken will. Dabei tritt die Schutzpflicht des
Staates gegenüber dem Einzelnen zu sehr in den Hintergrund.
So fehlt
•
in § 1901a Abs. 1 das
Verfahren bei Einwilligungsunfähigkeit. Der erklärte Wille soll bei Einwilligungsunfähigkeit
umgesetzt werden, „falls keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass
der Betreute die PV widerrufen hat“,
•
in § 1901a Abs.2 für das
Handeln des Betreuers die Festlegung allgemein gültiger Standards für das Prüfverfahren
„für die vom Betreuten getroffenen
Entscheidungen“.
Es muss sichtbar sein, dass sich der Betreuer mit der Entscheidung des
Betreuten – bezogen auf die konkrete Situation – auseinandergesetzt
hat.
Der Entwurf berücksichtigt nicht die Tatsache, dass ein früher schriftlich
erklärter Wille nicht unumstößlich ist und sich wandeln kann. Es werden keine
Vorgaben für Verfahren verbindlich vorgegeben, wie bei Einwilligungsunfähigkeit
konkret und aktuell der einmal erklärte Wille zu ergründen sei.
Ebenso fehlt die Ausgestaltung der Schutzpflicht des Staates bei den Absätzen
von § 1904 Abs. 3 und 4 BGB.
•
Der DCV spricht sich gegen die
in § 1904 Abs. 3 und 4 vorgesehene weitreichende Kompetenz der Beteiligten beim
Verfahren zur Ermittlung des mutmaßlichen
Willens
des Patienten aus.
Hier soll der Betreuer bzw. Bevollmächtigte im Konsens mit dem Arzt über
ärztliche Maßnahmen, die die Unterlassung bzw. den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
umfassen, weitreichende Entscheidungen über Leben und Tod fällen.
Wenn zwischen diesen beiden Personengruppen Einvernehmen besteht, muss nach dem
vorliegenden Entwurf kein Vormundschaftsgericht angerufen werden.
In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass es ausreichend sei, „frühere
mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiösen
Überzeugungen, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine
altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen“(23) als
Prüfkriterien für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens heranzuziehen. Da
diese Kriterien einem großen Ermessens- und Interpretationsspielraum
unterliegen, müssen Entscheidungen solcher Trag-weite grundsätzlich der Überprüfung
durch ein Vormundschaftsgericht bzw. durch ein Konsil unterzogen werden. Vgl.
dazu Top 4.
Angesichts von Bestrebungen der Rationierung im Gesundheitswesen und dem immer
stärkeren Druck zu Kosten-Nutzen-Abwägungen (vor allem im Bereich von teuren therapeutischen
Maßnahmen) sind diese Möglichkeiten sehr ernst zu nehmen.
Für den Fall, dass ein mutmaßlicher Wille des Patienten auch durch das
Vormundschaftsgericht nicht zu ermitteln ist, muss dem Lebensschutz Vorrang
eingeräumt werden. Diese Aussage muss im Gesetzestext verankert werden und
nicht nur in der Begründung zum Gesetzestext.
Zu 2. Der Referentenentwurf des
Justizministerium
sieht keine Begrenzung der Reichweite von Patientenverfügungen und deren
Bindungswirkung vor.
Der DCV ist der Meinung, dass die Reichweite von PV auf den Bereich des
irreversiblen Verlaufs einer Krankheit, die zum Tode führt, zu begrenzen ist.
Hier sollte die PV ihren eigentlichen Ort haben.
Sofern in PV auch Wünsche und die Ablehnung von bestimmten Therapien mit bindender
Wirkung festgelegt sind – wie z.B. die Ablehnung der Einleitung oder
Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen, obwohl sich der Patient nicht in
einem irreversiblen Verlauf einer Krankheit befindet, müssen diese Forderungen
grundsätzlich einer rechtlichen Überprüfung unterzogen werden.
Mit der Ausweitung der Reichweite auch auf den Fall, dass der Betreute noch
nicht im Sterben liegt, wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Die
gesellschaftlichen Folgen sind unabsehbar und u.U. nicht mehr einholbar. Der
Rechts- und Sozialstaat wird mit diesem Paradigmenwechsel seiner
verfassungs-rechtlichen Verpflichtung zum Lebensschutz gegenüber Menschen im
Wachkoma oder mit schweren dementiellen Beeinträchtigungen, aber auch gegenüber
anderen schwerkranken Patienten nicht mehr gerecht.
Der Referentenentwurf begründet seine Positionierung mit dem
Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, Verfügungen zu medizinischen und
pflegerischen Behandlungen zu treffen. Äußerst kritisch ist zu sehen, dass
•
bei Einwilligungsunfähigkeit
die in § 1901a Abs. 1 vorgeschlagene Einfügung eine grundsätzliche Fortwirkung
der PV vorsieht, „falls keine konkreten Anhaltspunkte
vorliegen, dass der Betreute die Patientenverfügung widerrufen
hat“. Hier fehlt die Benennung der Prüfkriterien zur Überprüfung des erklärten
Willens bei
Einwilligungsunfähigkeit,
•
in § 1901a Abs. 2 ausgeführt
wird, „der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten
zu beachten und die darin vom Betreuten
getroffenen
Entscheidungen durchzusetzen, soweit ihm dies zumutbar ist. Das gilt auch dann,
wenn eine Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen
hat.“ Nach der Begründung ist der Betreuer
zur Beachtung und Durchsetzung des Patientenwillens verpflichtet. Kritisch ist die
Umschreibung der Zumutbarkeit zu
§
1901a Abs. 2 in der Einzelbegründung zu sehen, nämlich mit „unverhältnismäßigem
Aufwand
für zu beseitigende örtliche, finanzielle
oder
versorgungstechnischen Hindernisse
oder wenn es auf ein gesetzlich oder arztrechtlich verbotenes Tun gerichtet
ist“ (18). Es fehlt eine nachvollziehbare
Begründung,
warum ein Betreuer ohne weitere Kontrolle an Stelle des Betreuten die
weitreichende Frage über Leben und Tod allein entscheiden kann. Hinzu
kommt, dass „der Betreuer die PV unabhängig
davon zu beachten hat, ob in der PV auf die konkrete Behandlungssituation
bezogene Festlegungen getroffen
werden
oder lediglich allgemeine Behandlungswünsche geäußert werden“ (17). Hier
besteht ein offener Widerspruch zu § 1901a Abs. 2 Satz 3, letzter Halbsatz,
wo gefordert wird, dass eine vom
Betreuten getroffene Entscheidung vorliegt, „wenn die PV auf die konkrete
Situation zutrifft.“
Diese Interpretations- und Begründungsansätze schmälern unzulässig den Schutz
schwerstkranker und sterbender Menschen. Die Eingrenzungen widersprechen dem Grundgesetz
Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 sowie unserem christlichen Verständnis der
Unverfügbarkeit menschlichen Lebens.
Zu 3. Mit einer Einführung der Patientenverfügung als Rechtsinstitut muss auch
dem Formerfordernis von Schriftlichkeit Rechnung getragen werden.
Personen, die dieses Rechtsinstitut für den Fall der letzten Lebensphase in
Anspruch nehmen, äußern darin ihre Lebenseinstellungen und wollen ernst
genommen werden. Der Entwurf sieht hierfür keine Formerfordernisse vor.
Aus der praktischen Arbeit der Betreuungsvereine ist dringend zu fordern, dass
das Erstellen einer PV in Zusammenhang mit einer umfassenden Beratung erfolgen
sollte, dass
die Schriftlichkeit
die Unterschrift
d
ie regelmäßige Überprüfung, ob die Willensgeltung noch
zutrifft, durch Datumserneuerung bestätigt wird,
ferner sollte klargestellt
sein, dass
Willensbekundungen jederzeit schriftlich oder
mündlich widerrufen oder geändert werden können. Diese Maßnahmen
gehören zur Schutzpflicht des Staates und
sind ein Teil der Ausprägung der
staatlichen Lebensschutzverpflichtung gegenüber dem Einzelnen.
Die Vorschrift der
Schriftlichkeit entspricht der Tragweite, der in der PV getroffenen
Entscheidung. Für Betreuer und Bevollmächtigte, die vor die Aufgabe gestellt
sind, die Interpretation und Umsetzung des
Patientenwillens zu vollziehen, sind diese Aspekte wesentliche Grundlagen für
ihr Handeln.
Außerdem ist zu empfehlen, ein
Koppelungsverbot für Träger von sozialen Einrichtungen vorzusehen, das diesen
untersagt, mit Abschluss von Heim- und
Pflegeverträgen
eine PV zu verlangen.
Nur für einen sehr eng
einzugrenzenden Kreis von Personen, der sich nicht eigenständig schriftlich
äußern kann, aber tatsächlich den Wunsch hat, eine PV zu
verfassen, sollte die Möglichkeit
gegeben sein, sich verbindlich mündlich zu äußern. Für diesen speziellen
Personenkreis sollte kein schriftliches Formerfordernis
notwendig sein. Die Schriftlichkeit sollte in diesen Fällen
durch einen geeigneten Zeugenbeweis ersetzt werden.
Zu 4.
Aus der Sicht des DCV müssen alle Fragestellungen im Zusammenhang mit
lebensbeendenden Maßnahmen regelhaft einer Überprüfung durch Dritte unterzogen
werden. Diese Verfahrensweise ist ein wesentliches Element der Schutzpflicht
des Staates gegenüber dem Einzelnen und sichert damit auch das
Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen.
Die Betreuungsvereine fordern, dass in den Fällen des § 1904 Abs. 3 und 4
sowohl für den Betreuer wie für den Bevollmächtigten die vormundschaftliche
Genehmigung eingeholt werden muss. Der Entwurf möchte im Zusammenhang mit dem §
1904 Abs. 3 und 4 BGB diese Vorgehensweise ausschließen. Die Praxis zeigt, dass
sich Betreuer und Bevollmächtigte in solchen Situationen vielfach überfordert
fühlen. Daher fordern die Vereine, dass der mutmaßliche Wille des Betreuten
durch einen neutralen Dritten – hier Vormundschaftsgericht – überprüft werden
soll, um sicherzustellen, ob alle verfahrensrechtlichen Aspekte berücksichtigt
worden sind. Es soll an die Bevollmächtigten die gleichen Anforderungen wie an
die gesetzlich beauftragten Betreuer gestellt werden.
Statt einer regelhaften Überprüfung durch das Vormundschaftsgericht können wir
uns auch vorstellen, dass im Zuge der Ermittlung des mutmaßlichen Willens die
sorgfältige Ermittlung regelhaft durch eine gemeinsame Erörterung im Rahmen
eines Konsils erfolgen kann. Diese Lösung besitzt unter Umständen eine bessere
Praktikabilität.
In dieses sollten eingebunden sein:
der gesetzliche Betreuer bzw. Bevollmächtigte
der behandelnde Arzt
der behandelnde Pflegende
auf Wunsch ein bzw. eine
Seelsorger/-in
ei
ne verantwortliche Person aus dem Kreis der Angehörigen
sowie
eine weitere neutrale Person (z.B. aus
Ethik-Komitee).
Wir unterstützen hier den Vorschlag der
Enquete-Kommission „Ethik und Recht
in
der modernen Medizin“, dem wir uns
anschließen
können:
Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung ist nicht nur eine weitere praktische
Umsetzung der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen, sondern dient
gleichzeitig dazu, dass das Vormundschaftsgericht bzw. ein Ethik - Konsil
seiner Intention und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zum Durchbruch
verhilft. Nur durch strenge verfahrensmäßige Regelungen kann man dem wachsenden
Kostendruck unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gegenüber
Schwerstkranken und Sterbenden begegnen.
In jedem Fall – sei es über das Vormundschaftsgericht oder über eine
Konsilslösung - muss der Gesetzgeber eine Lösung finden, wie eine objektive
Überprüfung des mutmaßlichen Willens des Betreuten erfolgen kann.