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Stellungnahme

Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes zum Referententwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts

Erschienen am:

01.02.2005

  • Beschreibung
Beschreibung

Zusammenfassung
Im Rahmen der 3. Änderung des Betreuungsrechts ist der Deutsche Caritasverband vom Bundesjustizministerium zu einer Stellungnahme zum Referentenentwurf aufgefordert worden. Mit dieser Änderung soll die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung (PV) erstmals im Betreuungsrecht verankert werden. Die PV soll bei Einwilligungsunfähigkeit fortgelten. Es ist weder eine Befristung der Gültigkeit einer PV noch eine bestimmte Formvorschrift vorgesehen. Der Entwurf sieht keine Beschränkung der Reichweite auf ein bestimmtes Krankheitsstadium vor. Für den Fall, dass keine PV vorliegt und der mutmaßliche Wille eruiert werden muss, werden dem Betreuer/ Bevollmächtigten gemeinsam mit dem Arzt bei Einverständnis zwischen beiden Personengruppen weitreichende Kompetenzen eingeräumt. Das Vormundschaftsgericht soll nur bei unterschiedlicher Sichtweise von Arzt und Betreuer eingeschaltet werden.

Bewertung und Forderung
Die gesetzliche Verankerung der Patientenverfügung wird im Referentenentwurf nur unter betreuungsrechtlichen Aspekten gesehen. Die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen ist nicht genügend berücksichtigt.
Die Ausweitung der Reichweite der PV auf den Fall, dass der Betreute noch nicht im Sterben liegt, lehnt der DCV ab. Alle Fragestellungen im Zusammenhang mit lebensbeendenden Maßnahmen müssen regelhaft einer Überprüfung durch Dritte unterzogen werden. Hierfür sind zwei Lösungen denkbar: die Einschaltung des Vormundschaftsgerichtes oder die Einführung eines Ethik - Konsils.
Die gesetzliche Regelung der PV erfordert das Formerfordernis von Schriftlichkeit.
Das Rechtsinstitut muss eingebunden sein in Maßnahmen zur Sterbebegleitung und in ein flächendeckenden Netz von palliativmedizinischen und hospizlichen Maßnahmen. Die palliative Versorgung ist derzeit nicht im ausreichendem Maße gesichert.

Der DCV greift folgende Punkte auf:
1.          Einführung der Patientenverfügung als Rechtsinstitut
2.          Reichweite von Patientenverfügungen und ihre Bindungswirkung
3.          Formerfordernisse ,
4.          Notwendigkeit der regelhaften Überprüfung durch neutrale Dritte Vormundschaftsgericht bzw. Konsilslösung.

Zu 1
Der Deutsche Caritasverband (DCV) begrüßt die Einführung der Patientenverfügung als Rechtsinstitut. Dabei erwartet er vom Gesetzgeber, dass er nicht nur das Selbst-bestimmungsrecht des Einzelnen stärken will, sondern gleichrangig auch die Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen deutlich benennt und festlegt.

Der DCV weiß um die hohe Bedeutung des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen, Verfügungen zu medizinischen und pflegerischen Behandlungen zu treffen und weist auf das gelungene Beispiel der christlichen PV mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung hin (Hrg. Kirchenamt der EKD, Hannover und dem Sekretariat der DBK, Bonn, 2. Auflage 2003).

Der DCV kritisiert, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung nur das Selbst-bestimmungsrecht und die Verantwortung des Einzelnen stärken will. Dabei tritt die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen zu sehr in den Hintergrund.

So fehlt
•            in § 1901a Abs. 1 das Verfahren bei Einwilligungsunfähigkeit. Der erklärte Wille soll bei Einwilligungsunfähigkeit umgesetzt werden, „falls keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betreute die PV widerrufen hat“,
•            in § 1901a Abs.2 für das Handeln des Betreuers die Festlegung allgemein gültiger Standards für das Prüfverfahren „für die vom Betreuten getroffenen          Entscheidungen“. Es muss sichtbar sein, dass sich der Betreuer mit der Entscheidung des Betreuten – bezogen auf die konkrete Situation – auseinandergesetzt      hat.

Der Entwurf berücksichtigt nicht die Tatsache, dass ein früher schriftlich erklärter Wille nicht unumstößlich ist und sich wandeln kann. Es werden keine Vorgaben für Verfahren verbindlich vorgegeben, wie bei Einwilligungsunfähigkeit konkret und aktuell der einmal erklärte Wille zu ergründen sei.

Ebenso fehlt die Ausgestaltung der Schutzpflicht des Staates bei den Absätzen von § 1904 Abs. 3 und 4 BGB.

•            Der DCV spricht sich gegen die in § 1904 Abs. 3 und 4 vorgesehene weitreichende Kompetenz der Beteiligten beim Verfahren zur Ermittlung des mutmaßlichen        Willens des Patienten aus.
Hier soll der Betreuer bzw. Bevollmächtigte im Konsens mit dem Arzt über ärztliche Maßnahmen, die die Unterlassung bzw. den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen umfassen, weitreichende Entscheidungen über Leben und Tod fällen.
Wenn zwischen diesen beiden Personengruppen Einvernehmen besteht, muss nach dem vorliegenden Entwurf kein Vormundschaftsgericht angerufen werden.

In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass es ausreichend sei, „frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiösen Überzeugungen, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen“(23) als Prüfkriterien für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens heranzuziehen. Da diese Kriterien einem großen Ermessens- und Interpretationsspielraum unterliegen, müssen Entscheidungen solcher Trag-weite grundsätzlich der Überprüfung durch ein Vormundschaftsgericht bzw. durch ein Konsil unterzogen werden. Vgl. dazu Top 4.
Angesichts von Bestrebungen der Rationierung im Gesundheitswesen und dem immer stärkeren Druck zu Kosten-Nutzen-Abwägungen (vor allem im Bereich von teuren therapeutischen Maßnahmen) sind diese Möglichkeiten sehr ernst zu nehmen.
Für den Fall, dass ein mutmaßlicher Wille des Patienten auch durch das Vormundschaftsgericht nicht zu ermitteln ist, muss dem Lebensschutz Vorrang eingeräumt werden. Diese Aussage muss im Gesetzestext verankert werden und nicht nur in der Begründung zum Gesetzestext.


Zu 2. Der Referentenentwurf des Justizministerium sieht keine Begrenzung der Reichweite von Patientenverfügungen und deren Bindungswirkung vor.
Der DCV ist der Meinung, dass die Reichweite von PV auf den Bereich des irreversiblen Verlaufs einer Krankheit, die zum Tode führt, zu begrenzen ist. Hier sollte die PV ihren eigentlichen Ort haben.
Sofern in PV auch Wünsche und die Ablehnung von bestimmten Therapien mit bindender Wirkung festgelegt sind – wie z.B. die Ablehnung der Einleitung oder Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen, obwohl sich der Patient nicht in einem irreversiblen Verlauf einer Krankheit befindet, müssen diese Forderungen grundsätzlich einer rechtlichen Überprüfung unterzogen werden.

Mit der Ausweitung der Reichweite auch auf den Fall, dass der Betreute noch nicht im Sterben liegt, wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Die gesellschaftlichen Folgen sind unabsehbar und u.U. nicht mehr einholbar. Der Rechts- und Sozialstaat wird mit diesem Paradigmenwechsel seiner verfassungs-rechtlichen Verpflichtung zum Lebensschutz gegenüber Menschen im Wachkoma oder mit schweren dementiellen Beeinträchtigungen, aber auch gegenüber anderen schwerkranken Patienten nicht mehr gerecht.
Der Referentenentwurf begründet seine Positionierung mit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, Verfügungen zu medizinischen und pflegerischen Behandlungen zu treffen. Äußerst kritisch ist zu sehen, dass
•            bei Einwilligungsunfähigkeit die in § 1901a Abs. 1 vorgeschlagene Einfügung eine grundsätzliche Fortwirkung der PV vorsieht, „falls keine konkreten Anhaltspunkte     vorliegen, dass der Betreute die Patientenverfügung widerrufen hat“. Hier fehlt die Benennung der Prüfkriterien zur Überprüfung des erklärten Willens bei     Einwilligungsunfähigkeit,
•            in § 1901a Abs. 2 ausgeführt wird, „der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten und die darin vom Betreuten    getroffenen Entscheidungen durchzusetzen, soweit ihm dies zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn eine Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen    hat.“ Nach der Begründung ist der Betreuer zur Beachtung und Durchsetzung des Patientenwillens verpflichtet. Kritisch ist die Umschreibung der Zumutbarkeit zu            § 1901a Abs. 2 in der Einzelbegründung zu sehen, nämlich mit „unverhältnismäßigem Aufwand   für zu beseitigende örtliche, finanzielle oder versorgungstechnischen Hindernisse oder wenn es auf ein gesetzlich oder arztrechtlich verbotenes Tun gerichtet ist“ (18). Es fehlt eine nachvollziehbare   Begründung, warum ein Betreuer ohne weitere Kontrolle an Stelle des Betreuten die weitreichende Frage über Leben und Tod allein entscheiden kann. Hinzu kommt, dass „der Betreuer die PV unabhängig davon zu beachten hat, ob in der PV auf die konkrete Behandlungssituation bezogene Festlegungen getroffen         werden oder lediglich allgemeine Behandlungswünsche geäußert werden“ (17). Hier besteht ein offener Widerspruch zu § 1901a Abs. 2 Satz 3, letzter Halbsatz,          wo gefordert wird, dass eine vom Betreuten getroffene Entscheidung vorliegt, „wenn die PV auf die konkrete Situation zutrifft.“

Diese Interpretations- und Begründungsansätze schmälern unzulässig den Schutz schwerstkranker und sterbender Menschen. Die Eingrenzungen widersprechen dem Grundgesetz Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 sowie unserem christlichen Verständnis der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens.



Zu 3. Mit einer Einführung der Patientenverfügung als Rechtsinstitut muss auch dem Formerfordernis von Schriftlichkeit Rechnung getragen werden.

Personen, die dieses Rechtsinstitut für den Fall der letzten Lebensphase in Anspruch nehmen, äußern darin ihre Lebenseinstellungen und wollen ernst genommen werden. Der Entwurf sieht hierfür keine Formerfordernisse vor.
Aus der praktischen Arbeit der Betreuungsvereine ist dringend zu fordern, dass das Erstellen einer PV in Zusammenhang mit einer umfassenden Beratung erfolgen sollte, dass
          die Schriftlichkeit

         die Unterschrift

         d ie regelmäßige Überprüfung, ob die Willensgeltung noch zutrifft, durch Datumserneuerung bestätigt wird,
            ferner sollte klargestellt sein, dass
          Willensbekundungen jederzeit schriftlich oder mündlich widerrufen oder geändert werden können. Diese Maßnahmen gehören zur Schutzpflicht des Staates und         sind ein Teil der Ausprägung der staatlichen Lebensschutzverpflichtung gegenüber dem Einzelnen.
            Die Vorschrift der Schriftlichkeit entspricht der Tragweite, der in der PV getroffenen Entscheidung. Für Betreuer und Bevollmächtigte, die vor die Aufgabe gestellt       sind, die Interpretation und Umsetzung des Patientenwillens zu vollziehen, sind diese Aspekte wesentliche Grundlagen für ihr Handeln.
            Außerdem ist zu empfehlen, ein Koppelungsverbot für Träger von sozialen Einrichtungen vorzusehen, das diesen untersagt, mit Abschluss von Heim- und             Pflegeverträgen eine PV zu verlangen.
            Nur für einen sehr eng einzugrenzenden Kreis von Personen, der sich nicht eigenständig schriftlich äußern kann, aber tatsächlich den Wunsch hat, eine PV zu            verfassen, sollte die Möglichkeit gegeben sein, sich verbindlich mündlich zu äußern. Für diesen speziellen Personenkreis sollte kein schriftliches Formerfordernis       notwendig sein. Die Schriftlichkeit sollte in diesen Fällen durch einen geeigneten Zeugenbeweis ersetzt werden.


Zu 4.
Aus der Sicht des DCV müssen alle Fragestellungen im Zusammenhang mit lebensbeendenden Maßnahmen regelhaft einer Überprüfung durch Dritte unterzogen werden. Diese Verfahrensweise ist ein wesentliches Element der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen und sichert damit auch das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen.

Die Betreuungsvereine fordern, dass in den Fällen des § 1904 Abs. 3 und 4 sowohl für den Betreuer wie für den Bevollmächtigten die vormundschaftliche Genehmigung eingeholt werden muss. Der Entwurf möchte im Zusammenhang mit dem § 1904 Abs. 3 und 4 BGB diese Vorgehensweise ausschließen. Die Praxis zeigt, dass sich Betreuer und Bevollmächtigte in solchen Situationen vielfach überfordert fühlen. Daher fordern die Vereine, dass der mutmaßliche Wille des Betreuten durch einen neutralen Dritten – hier Vormundschaftsgericht – überprüft werden soll, um sicherzustellen, ob alle verfahrensrechtlichen Aspekte berücksichtigt worden sind. Es soll an die Bevollmächtigten die gleichen Anforderungen wie an die gesetzlich beauftragten Betreuer gestellt werden.

Statt einer regelhaften Überprüfung durch das Vormundschaftsgericht können wir uns auch vorstellen, dass im Zuge der Ermittlung des mutmaßlichen Willens die sorgfältige Ermittlung regelhaft durch eine gemeinsame Erörterung im Rahmen eines Konsils erfolgen kann. Diese Lösung besitzt unter Umständen eine bessere Praktikabilität.

In dieses sollten eingebunden sein:
          der gesetzliche Betreuer bzw. Bevollmächtigte

         der behandelnde Arzt

         der behandelnde Pflegende

         auf Wunsch ein bzw. eine Seelsorger/-in

         ei ne verantwortliche Person aus dem Kreis der Angehörigen sowie
          eine weitere neutrale Person (z.B. aus Ethik-Komitee).
Wir unterstützen hier den Vorschlag der Enquete-Kommission „Ethik und Recht   in der modernen Medizin“, dem wir uns   anschließen können:
Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung ist nicht nur eine weitere praktische Umsetzung der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen, sondern dient gleichzeitig dazu, dass das Vormundschaftsgericht bzw. ein Ethik - Konsil seiner Intention und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zum Durchbruch verhilft. Nur durch strenge verfahrensmäßige Regelungen kann man dem wachsenden Kostendruck unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gegenüber Schwerstkranken und Sterbenden begegnen.
In jedem Fall – sei es über das Vormundschaftsgericht oder über eine Konsilslösung - muss der Gesetzgeber eine Lösung finden, wie eine objektive Überprüfung des mutmaßlichen Willens des Betreuten erfolgen kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zuletzt geändert am:
  • 01.02.2005
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