"Keiner sagt, wie viel er schon verzockt hat"
Sport- und Onlinewetten sind großes Thema in der Caritas-Suchtberatungsstelle in Worms / DHS-Aktionstag zeigt schwierige Lage auf
Worms. Mittwochnachmittag, 15 Uhr, ein großer, sportlicher Mann betritt zurückhaltend den Raum. Er stellt sich als Johannes K. vor, setzt sich auf seinen gewohnten Platz gegenüber von Uwe Nichulski. Modernes Karohemd, weiße Turnschuhe, freundliches Lächeln. Hier im Psychosozialen Zentrum der Caritas in Worms war er in den letzten Monaten häufig, mehr als 20-mal in einem halben Jahr - doch inzwischen kommt er nur noch sporadisch vorbei. "Zur Stabilisierung", sagt Suchttherapeut Nichulski. Weiteren Behandlungsbedarf gebe es aktuell nicht mehr.
Suchtberater Uwe Nichuklski und seine Kolleg:innen aus der Caritas-Suchtberatung in Worms kennen die große Gefahr, die von Online-Wettbüros ausgeht. Sie fordern eine auskömmliche Finanzierung der Suchtberatungen vor Ort.© Caritasverband Worms e. V., Horst Stange
Das, was der junge Mann berichtet, könnte viele Unterschriften tragen - zu viele, sind sich der Berater und sein Klient einig. Allein: Die wenigsten finden den Weg in die spärlichen Suchtberatungsstellen. "Oft kommen die Betroffenen erst, wenn es zu spät ist und sie alles verloren haben", weiß Nichulski.
Johannes K., der eigentlich anders heißt und auch sonst großen Wert darauf legt, nicht erkennbar zu sein, ist einer von vielen. Drei von vier Fußballkollegen seien ebenfalls betroffen, schätzt er. "Und es werden immer mehr. Alle zeigen nur ihre Gewinne, aber wie viel sie schon verloren haben, darüber spricht niemand", sagt K. Es sei viel zu einfach, in drei Minuten 100, 300 Euro zu verzocken. Oder eben noch viel mehr. Die verheißungsvolle Werbung der Sportwettenanbieter lockt in nahezu jeder Sportübertragung mit dicken Gewinnen. "Der Einstieg wird einem viel zu leicht gemacht", beklagt K.
Guter Job, langjährige Beziehung, Eigenheim, großer Freundeskreis
2024 lebt Johannes K. ein Vorzeigeleben: guter Job, langjährige Beziehung, Eigenheim, großer Freundeskreis, unter der Woche viel Sport, am Wochenende Kumpels treffen und Unternehmungen. Was keiner weiß: Er steht unter Dauerstress, fühlt sich getrieben, kann nicht mehr schlafen - und seine Rechnungen nur noch schwerlich begleichen. Kreditkarte und Konto sind überzogen, der Druck wird immer schlimmer. "Ich habe dauernd aufs Handy geschaut, auch nachts. Meine Gedanken sind darum gekreist, auf was ich als nächstes wetten kann: Tore, Elfmeter, Fouls…", erinnert er sich. Auch wenn seine Freunde und Vereinskollegen wie er auf Sportwetten setzen, haben sie keine Ahnung, wie es ihm geht. Auch seine Partnerin und seine Familie bekommen lange nichts mit.
Dann gerät sein Leben aus den Fugen: Die Trennung nach einem knappen halben Leben zieht ihm den Boden unter den Füßen weg. "Ich wollte das nicht, das kam völlig unerwartet damals", erinnert sich K. Und: "Es hätte viel früher kommen müssen."
Denn obschon seine Spielsucht nicht der Trennungsgrund war - seine Partnerin hatte das Ausmaß längst nicht bemerkt -, war es ihre Entscheidung, die seine mit sich brachte: Seitdem hat K. keinen einzigen Euro mehr verzockt.
Viel zu erschüttert ist er vom Verlust dessen, was er seine Zukunft glaubte, auch wenn die Beziehung eingeschlafen und von Routinen weichgespült war. "Ich war die letzten drei Jahre im Alltag gar nicht mehr bei mir, weil sich in meinem Kopf alles nur noch ums Wetten gedreht hat. Wie hätte ich da für sie da sein können?", fragt sich K.
Jahrelang hat K. alles mit sich alleine ausgemacht.
Nach dem Knall sucht er verzweifelt Hilfe - und findet sie im Psychosozialen Zentrum der Caritas in Worms. Hier in der Suchtberatung ist es Uwe Nichulski, der ihn auffängt, mit ihm daran geht, die Ursachen für seine Abhängigkeit zu ergründen.
Ein schwieriger Schritt. Denn: Jahrelang hat K. alles mit sich alleine ausgemacht, hat sich weder Freunden noch Familie anvertraut. Nun sucht er sich parallel zur Suchtbehandlung auch einen Therapieplatz und stemmt sich mit aller verbliebenen Kraft gegen die Verzweiflung, vor finanziellen Abgründen und dem emotionalen Nichts zu stehen. Auch seinen Arbeitgeber holt er ins Boot, spielt mit offenen Karten - und findet Verständnis und Unterstützung. "Mir war klar, dass ich es diesmal nicht alleine schaffe", sagt er sichtlich bewegt. Ob die Suchtbehandlung wichtig gewesen ist? "Sehr", sagt er und zupft verlegen an einem Ohrläppchen.
Ein gutes Jahr später sitzt Johannes K. im Beratungszimmer in der Renzstraße, die langen Beine überschlagen, der Blick offen. "Ich war das Problem. Ich musste mich und meine Gefühle kennenlernen. Das war der Weg, das habe ich verstanden", sagt er. Das Wetten, so ist er rückblickend sicher, war nur eine Flucht, eine Suche nach Ablenkung, Bestätigung und Kommunikation, die er im echten Leben in Beziehungen und Begegnungen vermisste, eben weil er selbst gar nicht bei sich war und sich nicht einlassen konnte. Doch seit der Beratung und der Therapie habe sich nicht nur sein Kontostand verbessert, sondern auch seine Freundschaften. "Auf einmal redet man richtig miteinander und findet ganz andere Themen. Es ist vieles ehrlicher und echter geworden, so kannten mich meine Leute gar nicht", sagt K. und lacht.
Oft wird er seinen Suchtberater Uwe Nichulski nicht mehr sehen. Er hat sein Leben zurück und braucht ihn nicht mehr.

DHS-Aktionstag am 13. November 2025
Am 13. November 2025 findet der Aktionstag Suchtberatung statt - dieses Jahr unter dem Motto "Sucht betrifft uns alle - Hilfe auch!". Ins Leben gerufen haben diesen die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) und ihre Mitgliedsverbände - darunter auch die Caritas-, um über die Arbeit und die Angebote der Suchtberatungsstellen zu informieren. Und: um auf Finanzierungslücken hinzuweisen, die die Beratung vor Ort bedrohen.

"Vielen Suchtberatungsstellen fehlt es an ausreichend Geld", sagt Anja Jäger, Fachbereichsleiterin des Psychosozialen Zentrums der Caritas. Auch in Worms gebe es keine rechtlich bindende Vorgabe für die Finanzierung der Suchtberatung. Die Caritas-Suchtberatungsstelle - wo jährlich etwa 500 Menschen Hilfe suchen und viele davon über Jahre hinweg kostenfrei betreut werden - finanziert sich zu gut einem Drittel aus Eigenmitteln und Spenden an die Caritas; das Land trägt abhängig vom Bereich durchschnittlich 52 Prozent der Kosten, die Kommune 15, der Kreis 3 Prozent.

Rund 130.000 Euro hat die Caritas in 2024 in die Suchtberatung investiert - ein große Herausforderung angesichts steigender Bedarfe und Kosten.
Kontakt
Caritasverband Worms e.V., Psychosoziale Beratungsstelle für Suchtkranke und Angehörige, Renzstraße 3 (über Café "gleis7), 67547 Worms; psbb@caritas-worms.de, Telefon 06241 48036-310