Die Reisegruppe der Caritas Deutschland mit Erzbischof Vincent Landel (3.v.r.)
Zusammen mit zwölf Fachkräften aus Caritasverbänden in ganz Deutschland konnte ich vom 29. Mai bis 4. Juni dieses Jahres einen unmittelbaren Eindruck von den sozialen Problemen in Marokko gewinnen. Im Mittelpunkt des Besuchs stand neben den Herausforderungen, denen sich die Caritas Marokko in einem muslimischen Land zu stellen hat, vor allem der Umgang mit den zehntausenden Flüchtlingen, die aus der Subsahara in Marokko auf dem Weg nach Europa stranden und teilweise auf Dauer dort bleiben. Neben der Caritasarbeit in der Hauptstadt Rabat standen Projekte von Caritas International in Casablanca und Meknes auf dem Reiseplan.
Da in Marokko zwar für Ausländer Religionsfreiheit herrscht, jedoch die marokkanische Staatsangehörigkeit an den Islam gekoppelt ist, besteht die christliche Minderheit (weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung) und damit die Caritas ausnahmslos aus Ausländern. Neben wenigen katholischen Familien (insbes. aus der Kolonialzeit) und mit Marokkanern verheirateten Christen stellen etwa 30 000 Migranten aus über 100 Nationen das Gros der Christen in Marokko dar.
Erzbischof von Rabat, Monsignore Vincent Landel
Besonders beeindruckend war ein Besuch beim Erzbischof von Rabat, Msgr. Vincent Landel. Er bezeichnet sich selbst – obwohl französischstämmig – als schwarzafrikanischer Bischof, weil in seiner Diözese über 90 Prozent aus Ländern der Subsahara stammen. Die Erzdiözese, die ihm anvertraut ist, erstreckt sich von Norden nach Süden über 2000 Kilometer und von Ost nach West auf 1000 Kilometer. Er kann sich dabei auf die Mitarbeit von 25 Priestern in 30 Pfarreien und 150 Ordensleuten stützen.
Seine Rolle sieht der Erzbischof als Vermittler zwischen Kulturen und Religionen. Ihm gehe es – nach seinen Worten – dabei nicht um Missionierung, sondern insbesondere um die soziale Entwicklung in Marokko und die Sorge für die Menschen. Genau darin sehe er auch die Rolle der Caritas. Er betonte, dass es ihm besonders wichtig sei, dass die Kirche im marokkanischen Staat als Gesprächspartner gehört und ernst genommen wird. Er würdigte dabei auch die Anstrengungen des marokkanischen Königshauses, dem eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung und eine offene Gesellschaft am Herzen liege. Die Anerkennung illegaler Migranten und die Errichtung eines eigenen Ministeriums für Migration waren Wünsche der Erzbischofs, die vom marokkanischen Staat schließlich umgesetzt wurden.
Von besonderem Interesse war für uns Besucher aus Deutschland unter anderem die Frage, ob Marokko ein sicheres Herkunftsland sei. Erzbischof Landel beantwortet dies mit einem klaren "Ja". Es gebe weder politische Verfolgungen, noch religiöse Diskriminierungen bei der Ausübung des Glaubens. Allerdings seien Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht mit unseren Maßstäben zu vergleichen.
Die Caritas sieht ihre Arbeit in Marokko hauptsächlich in der Unterstützung von Selbsthilfeinitiativen und in der politischen Lobbyarbeit. Dabei stehen die Arbeit mit Migranten, aber auch die gesellschaftliche Anerkennung von Menschen mit Behinderung und die Förderung der ländlichen Entwicklung im Vordergrund.
In Marokko sind wir Migranten begegnet, die seit Jahren erfolglos versuchen, in das "gelobte Land" Europa zu kommen. Die Caritas versucht die Migranten davon zu überzeugen, dass ihre Talente und Qualifikationen in Marokko gebraucht werden und bietet ihnen konkrete Möglichkeiten, sie einzusetzen.
Gespräch in der Geschäftsstelle der Caritas Rabat
In einem Caritas-Migrationszentrum am Stadtrand von Rabat haben wir uns in mehreren Arbeitsgruppen mit den dortigen Mitarbeitern über Themen wie das Asyl- und Einwanderungsrecht, Gesundheits- und Sozialsystem und den Umgang mit psychisch Kranken und traumatisierten Menschen ausgetauscht. Eine schwierige, kaum zu lösende Gradwanderung für die Caritas Rabat ist dabei die Tatsache, dass Schlepperbanden bei der Übersiedlung von Flüchtlingen aus der Subsahara auf die Hilfe der Caritas und der Kirche verweisen. Und gleichzeitig gehört es zum Selbstverständnis von Caritas, hilfebedürftigen Menschen nicht den Rücken zuzudrehen, sondern ihnen in jeder Lage zu helfen.
Die Projektreise war ein beeindruckender Besuch in einem faszinierenden Land und ein unvergesslicher Eindruck über Caritasarbeit in einem schwierigen Umfeld. Die Caritas hat in Marokko weitaus existentiellere Probleme zu bewältigen, aber eben nur einen Bruchteil der strukturellen und monetären Ausstattung der Deutschen Caritas zur Verfügung. Es war ermutigend zu erleben, dass eine Zusammenarbeit über kulturelle und religiöse Unterschiede hinaus möglich ist, wenn es um Hilfe für Menschen geht. Trotz aller Konflikte und Schwierigkeiten im Detail habe ich Marokko als ein Beispiel für Toleranz und friedliches Zusammenleben von Christen und Muslims erlebt.