Krisenengagement – zukünftig gefragter denn je?
Birgit Persch-Klein, Referentin für Ehrenamtliches Engagement und Gemeindecaritas beim Caritasverband für das Bistum EssenFoto: Privat
Caritas in NRW Frau Blobner-Bausch, was bedeutet Krisenvorsorge?
Sabine Blobner-Bausch: In meinem Arbeitszusammenhang ist Krise zu verstehen als größeres lokales Schadensereignis, dass Menschen von einem Tag auf den anderen aus ihrem gewohnten Leben reißt und oft mit bedrohlichen, chaotischen, nicht vertrauten Umständen einhergeht. Die Flutkatastrophe 2021 war der Ausgangspunkt dafür, dass die Caritas sich gefordert fühlte, in solchen Situationen mit ihren Möglichkeiten zu helfen. Auch in der Zukunft ist mit Ausnahmesituationen wie z. B. großflächigem Stromausfall, Naturkatastrophen, Pandemien, Anschlägen, Fluchtbewegungen zu rechnen. Die Krisenvorsorge der Caritas Ruhr-Mitte hat sich auf die Fahne geschrieben, sich für solche Situationen in den inneren Strukturen, in der Aufstellung der Ehrenamtsarbeit und im kommunalen Netzwerk der Katastrophenhilfe vorzubereiten.
Caritas in NRW: Welche Herausforderungen, Ideen oder Erfahrungen ergaben sich aus der Flutkatastrophe?
Sabine Blobner-Bausch: Betroffen waren im Bereich der Caritas Ruhr-Mitte Menschen, die auf einem Campingplatz an der Ruhr lebten und deren Hab und Gut in den Fluten unterging. Es waren einige wenige Bewohner:innen, die dort Urlaub machten. Aber sehr schnell stellte sich heraus, dass auf diesem Campingplatz viele Menschen ihr dauerhaftes Zuhause hatten. Es waren Personen, die teilweise keine Elementarversicherung hatten und auch nicht die Bedingungen für spätere formale Aufbauhilfen erfüllten. Sie fielen durch viele Raster und standen oft vor dem Nichts. Die Caritas zeigte Präsenz: Zentrum war ein schnell erworbenes Tiny-Haus, ein Ort, wo die Not von den Betroffenen benannt wurde und unbürokratische Hilfe geleistet werden konnte. Der enge und vertrauensvolle Kontakt zeigte einerseits, wie groß und vielfältig die Notlagen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher Art waren. Es zeigte sich aber auch, wie die Betroffenen selbst wieder handlungsfähig wurden und im Laufe von 3 Jahren eine beachtliche Selbstorganisation auf die Beine stellten.
Caritas in NRW: Kann man sich auf einen plötzlichen Ernstfall vorbereiten?
Sabine Blobner-Bausch: Die erste Gegenfrage, die auf diese Frage kommt, lautet: "Auf welchen Ernstfall denn?" Und ja, es macht einen bedeutenden Unterschied, ob der Strom zwei Tage ausfällt oder eine extreme und dauerhafte Hitzewelle auf uns zukommt.
Die Krisen sind vielgestaltig und wir können nicht bis ins Detail vorsorgen. Aber wir können den Gedanken an eine Ausnahmesituation mit in den Alltag nehmen: Was wäre, wenn…? Was würde mir/uns dann helfen? Um wen muss ich mich besonders sorgen? Welche Hilfsmittel gibt es? Welche Informationen brauche ich? Das Wichtigste aber: Wie stimmen wir uns mit allen Beteiligten und Betroffenen ab, denn Krisen sind nur gemeinsam zu bewältigen. Wir sind es gewohnt, grenzenlos kommunizieren zu können, überwiegend digital. Doch wie organisieren wir uns, wenn diese Mittel nicht zur Verfügung stehen? Interessant ist, dass nach einer oft hilflosen Denkpause Ideen entstehen: ganz simple manchmal, aber ein erster Schritt, um ein vorhandenes Problem auf einfache und unkonventionelle Art angehen zu können.
Die Einrichtungen der Caritas sind allerdings intern in besonderer Weise aufgefordert, sich vorzubereiten. Dazu müssen die Kommunikationswege und Verantwortlichkeiten klar sein, Versorgungslagen und Notfallpläne besprochen, Arbeitsflexibilität erkundet, wesentliche Netzwerkkontakte gepflegt und Szenarien geprobt werden.
Caritas in NRW: Was waren die ersten Überlegungen?
Sabine Blobner-Bausch: Wir haben uns in einem ersten Anlauf dem Thema "Integration von spontanen Helfer:innen" gewidmet: Wie kann man Menschen integrieren, die sich spontan melden und sich, ohne vielleicht die Caritas zu kennen, nützlich machen wollen? Mit dem Programm "Fit fürs Helfen" sind Engagierte in unseren Einrichtungen angesprochen worden, die sich monatlich weiterbilden können. Dazu wurden die Themen erweitert, so dass auch Fragestellungen aus dem Alltag ehrenamtlicher Arbeit Platz findet, z. B. Selbstschutz, Resilienz, Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz und Lebensmittelhygiene, Erste-Hilfe-Kurs, Deeskalationstechniken…
Caritas in NRW: Wie gestaltet sich die Verknüpfung zu anderen Organisationen, wie den Maltesern etc.
Sabine Blobner-Bausch: Im Katastrophenschutz arbeiten neben den Feuerwehren auch Organisationen wie DRK, DLRG, Malteser, Johanniter, ASB und das THW zusammen. Diese Kooperationen sind gut eingespielt und werden in Bochum vom Referat für Krisenmanagement koordiniert. Als neue Institution muss sich die Caritas zunächst vorstellen und konkrete Angebote machen. Unsere Unterstützung hängt von der Art der Gefahrenlage ab - etwa durch kurzfristige Unterbringung über die Alten- oder Wohnungslosenhilfe. Feste Zusagen wie eine bestimmte Zahl an Notbetten lassen sich jedoch nicht machen. Einsetzbar ist unser Tinyhouse als mobiles Beratungszentrum mit zwei Mitarbeiterinnen aus der allgemeinen Sozialberatung (ASB). Zudem bereiten wir ehrenamtlich Tätige auf spontane Einsätze vor. Eine gute Zusammenarbeit mit anderen Organisationen ist dabei wichtig - auch, um Helfende gezielt weiterzuleiten. Digitale Kommunikation könnte durch das Bundesprojekt "Mobile Helfer" unterstützt werden, wobei Großprojekte oft Zeit und langen Atem erfordern. Wichtig ist außerdem "die Hilfe danach": Wenn Hilfsorganisationen abziehen, kann die Caritas langfristig unterstützen und neue Ehrenamtsfelder erschließen. Dafür braucht es transparente Informationen über unsere Angebote und Kontaktmöglichkeiten.
Caritas in NRW: Welche Menschen melden sich für dieses Ehrenamt?
Sabine Blobner-Bausch: Wir bauen momentan auf in der Caritas bereits engagierte Ehrenamtliche, die durch ein interessantes Schulungsangebot einen Mehrwert auch für ihre laufende ehrenamtliche Arbeit bekommen können. Wir freuen uns jedoch jederzeit auf neue Engagierte!
Caritas in NRW: Gibt es besondere Voraussetzungen für das Engagement?
Sabine Blobner-Bausch: Generell sollte man Interesse am oder Neugier aufs Thema haben sowie einmal im Monat etwa zwei Stunden Zeit. Auch sollte die grundsätzliche Bereitschaft da sein, im Notfall für unsere dann notwendigen Aktivitäten tätig zu werden.
Caritas in NRW: Wie werden die ehrenamtlich Tätigen geschult bzw. vorbereitet?
Sabine Blobner-Bausch: Pro Monat planen wir derzeit eine Veranstaltung, die sich möglichst mit einem Thema beschäftigt, das aus der Gruppe entstand. So hatten wir bisher einen Abend zum Thema "Wie spreche ich mit Betroffenen", inhaltlich gestaltet vom Leiter der Telefonseelsorge. Als nächstes geht es um Bevorratung von Lebensmitteln, anschließend um das Thema Resilienz. Es gibt keinen logischen Aufbau. Man kann nicht "den Anschluss verpassen". Die Veranstaltungen dauern 1 bis 1,5 Stunden und haben das Ziel, Aufmerksamkeit und Interesse für den jeweiligen Inhalt zu wecken. Nicht zu kurz kommen soll der Gemeinschaftsaspekt: Wir starten mit einer kleinen Willkommenszeit. Nach dem inhaltlichen Input werden neue Themenvorschläge gesammelt. Durch die regelmäßige Teilnahme kann man sich Punkte erwerben, die mit entsprechender Anzahl in ein kleines Geschenk umgemünzt werden.
Caritas in NRW: Welche Unterstützung erhalten Ehrenamtliche nach z. B. einem zukünftig traumatischen Erlebnis?
Sabine Blobner-Bausch: Wir haben in der Caritas viele Fachleute, die wir in solch einem Fall einbinden können. Wichtig ist für die hauptamtlich Tätigen, respektvolle, kollegiale Arbeitsbedingungen herzustellen und den besonderen Bedarf der Ehrenamtlichen in der Situation zu erkennen.
Caritas in NRW: Warum sollte ich mich für das Ehrenamt Krisenengagement interessieren, was ist daran reizvoll?
Sabine Blobner-Bausch: Dieses Engagement entwickelt sich erst. Man kann also jetzt mitbestimmen, in welche Richtung es geht, welche Themen interessant sein könnten. Der Gewinn an Wissen und Handlungssicherheit ist nützlich für die Aktiven persönlich und für die Arbeit mit den Menschen in ihren Bereichen. Der Thematik Krisenvorsorge wird im besten Fall nicht mit Widerstand begegnet ("Das belastet mich zu sehr.", "Da kann ich sowieso nichts machen."), sondern führt dazu, dass in der Auseinandersetzung kreative und praktische Ideen entstehen. Die Teilnehmer:innen erfahren, dass sie konkret etwas tun können und der Situation nicht hilflos ausgesetzt sind. Sie wissen, sie werden begleitet und erhalten Unterstützung.
Caritas in NRW: Wer oder was wird für Ihre Arbeit noch benötigt?
Sabine Blobner-Bausch: Eine Vernetzung mit lokalen und auch überregionalen "Playern" ist unerlässlich. Aus Synergiegründen kann es sinnvoll sein, die von uns ausgearbeiteten Veranstaltungen anderen Gruppen zugänglich zu machen oder den Teilnehmer:innenkreis für andere Hilfsorganisationen zu öffnen. Auch ist es für uns hilfreich, wenn wir vom Fachwissen anderer Organisationen profitieren. Langfristig muss die hauptamtliche Anbindung gesichert sein: Es braucht eine Mitarbeitende, am besten eine Ehrenamtskoordinatorin, die das Thema Krisenvorsorge für das Ehrenamt lebendig hält und die Aktiven unterstützt.
Caritas in NRW: Herzlichen Dank, Frau Blobner-Bausch, für das Interview!
Das Interview führte Birgit Persch-Klein.