„Den nimmt uns so leicht keiner weg!”
Die Sache mit der Milch hat Jawad Zafar einmal mehr mit den Tücken der deutschen Sprache konfrontiert. „Ich bringe Sie gleich ein Glas Milch”, verspricht er einer Bewohnerin. „Ihnen! Es muss Ihnen heißen”, ruft sie ihm nach. Das merkt sich der angehende Altenpfleger und kommt freudestrahlend zurück: „Hier ist die Milch für Ihnen.” Leider wieder falsch. Aber die alte Dame korrigiert ihn geduldig. Jawad Zafar sieht es positiv. „Nur so kann ich mich verbessern”, sagt er. Wobei es nur noch um Feinheiten geht. Der junge Mann aus Afghanistan spricht inzwischen so gut Deutsch, dass er auch dem theoretischen Teil seiner Ausbildung folgen kann. Nur die lateinischen Fachbegriffe in Anatomie bereiten ihm Kopfzerbrechen.
Junger Geflüchteter ist Glücksfall für Caritas-Einrichtung
Jawad Zafar sei ein Glücksfall für das Caritas-Haus St. Franziskus, findet Annette Schwiebert. „Ich habe selten jemanden erlebt, der so einfühlsam mit alten Menschen umgeht. Als habe er nie etwas anderes gemacht.” Die Leiterin der Bremer Altenpflegeeinrichtung ist sonst mit Lob eher sparsam. „Ich bin nicht dafür bekannt, durch die rosarote Brille zu schauen.” Bei Jawad Zafar, der 2015 im Alter von 17 Jahren nach Bremen kam und mit seinen drei Geschwistern zusammenlebt, gerät sie ins Schwärmen. „Ich würde ihm nach seinem Examen sofort eine Stelle anbieten”, sagt sie. Vorausgesetzt, er darf bleiben. Denn Jawad Zafar ist nur geduldet, ihm droht die Abschiebung. Diese Gefahr schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm. Im Ausbildungsalltag mit Praxiseinsätzen und Schule verdrängt Jawad Zafar seine Sorgen, zumal sein Anwalt erst einmal Klage gegen eine Abschiebung eingereicht hat.
Traumjob auf den zweiten Blick
Pflege war nicht seine erste Berufswahl. Er hat vieles ausprobiert, war unter anderem Verkäufer. „Ich bin keiner, der nur auf der Couch sitzt”, sagt er. Bei einem Praktikum im Haus St. Franziskus stellte Jawad Zafar fest: „Das möchte ich machen!” Er kann ohne Vorbehalte auf andere zugehen und meistert mit seiner zugewandten Art auch schwierige Situationen. Zum Beispiel wollen sich ältere Frauen oft nicht von männlichen Pflegern waschen lassen. Das akzeptiert er - und schafft es manchmal doch, dass sie ihre Meinung ändern. Allerdings gilt der Grundsatz: „Die alten Leute entscheiden. Nicht ich.” Ein Lächeln, Dankbarkeit - das motiviert den jungen Mann. Einmal, kurz vor Feierabend, wollte sich ein Heimbewohner noch mit ihm unterhalten. „Gut”, sagte der Pflegeschüler, „dann quatschen wir eben noch ein bisschen.”
Jawad Zafar soll bleiben dürfen
Auch die Teamarbeit begeistert ihn. „Ich werde nicht ausgeschimpft, wenn ich etwas falsch mache”, sagt er und denkt an einen kniffligen Fall: Er stand im Zimmer eines pflegebedürftigen Mannes und wusste nicht, wie er ihn vom Rollstuhl ins Bett heben sollte. Sein Praxisanleiter eilte zu Hilfe und zeigte ihm die nötigen Handgriffe. Beim Ausfüllen seiner Ausbildungspapiere half ihm eine Frau aus Afghanistan, die schon lange in Deutschland lebt. Sie blätterte, staunte, und fragte schließlich: „Weißt du eigentlich, wo du da arbeiten wirst? Das ist ja katholische Kirche!” „Na klar”, antwortete der Muslim Jawad Zafar, „damit habe ich kein Problem. Es sind doch alles Menschen, egal, welcher Religion sie angehören.” Am Anfang sei Jawad Zafar sehr zurückhaltend gewesen, erinnert sich Annette Schwiebert. Heute sei er viel offener, selbstbewusster und wisse auch mit Scherzen seiner Kolleginnen umzugehen. „Er ist so engagiert, dass man ihn manchmal bremsen muss. Er ist ein Mensch, den man auch ausnutzen könnte.” Und dann wird die Einrichtungsleiterin energisch: „Sollte Herr Zafar wirklich abgeschoben werden, werden Sie mich mit Protestplakaten durch die Stadt laufen sehen. Den nimmt uns so leicht keiner weg!”