Plattenbau aktiv: Talente für einen ganzen Stadtteil
In Chorweiler, im äußersten Kölner Norden, entstand Anfang der 70er-Jahre die größte Plattenbausiedlung Nordrhein-Westfalens. Seinerzeit euphorisch als "Neue Stadt" geplant, hat das Viertel heute keinen guten Ruf. Hohe Arbeitslosigkeit, hoher Migrantenanteil, große Probleme - so ist nicht selten die Wahrnehmung von außen. Wer hinter die Fassaden schaut, entdeckt jedoch einen lebendigen Stadtteil mit vielen engagierten Menschen. Nicht zuletzt durch die Initiative der Pfarrgemeinde Hl. Johannes XXIII. und des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln sind viele Projekte im Viertel entstanden, durch eine gute Vernetzung vor Ort bleiben sie lebendig.
Rat auf Russisch, Türkisch, Persisch
Seit vielen Jahren ist Melania Mankovska in Chorweiler unterwegs und hilft den Bewohnern, Energie - und damit Geld - zu sparen. Der "Stromspar-Check" für Menschen mit geringem Einkommen ist eines der Projekte, die vom Diözesan-Caritasverband unterstützt werden. "Schon kleine Rückstände bei den Energiekosten können in die Schuldenspirale führen", erklärt Melania Mankovska. Bei einem ersten Besuch machen die Strom-Checker Bestandsaufnahme, schauen sich Geräte und Nutzungsverhalten an. Neben einer Analyse gibt es beim zweiten Besuch kostenlose "Soforthilfen" wie Energiesparlampen oder schaltbare Steckerleisten. Durchschnittlich können Haushalte damit schon bis zu 140 Euro im Jahr sparen. Mit einem neuen Kühlschrank oft sogar noch viel mehr, darum gibt es zusätzlich 150 Euro Zuschuss beim Kauf eines neuen Geräts mit hoher Energieeffizienz.
Für Melania Mankovska ist die Arbeit ein doppelter Gewinn. Sie kann Menschen helfen und hat selber eine Perspektive bekommen. Seit 2010 ist die gelernte Bauingenieurin, die erst mit 44 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland kam, bei den Stromsparern angestellt. Ihre Muttersprache Russisch ist dabei eine zusätzliche Qualifikation, andere Kollegen sprechen Türkisch oder Persisch. In einem Stadtteil, in dem Menschen aus vielen verschiedenen Nationen zusammenleben, ermöglicht dies einen viel besseren Zugang zu den Menschen.
Kontakt durch Kunst und Kurse
Doch die Muttersprache ist nicht das einzige Pfund, das Mankovska in Chorweiler einbringt. Seit vielen Jahren ist sie bei der Aktion "Talente im Stadtteil" aktiv. Ehrenamtliche können bei diesem Projekt, das 2003 von der Gemeinde initiiert wurde, unter dem Motto "Können - Wollen - Tun" ihre Fähigkeiten an andere weitergeben. Es gibt unter anderem Sportangebote und Sprachkurse. Immer montags bietet Gertrud Nothhelfer "Deutsch für den Alltag" im Pfarrsaal an. "Ich wollte einfach noch etwas tun, nachdem ich in den Ruhestand gegangen war", sagt die ehemalige Mitarbeiterin des Caritasverbandes. Seit zehn Jahren ist sie nun bei den "Talenten" - ihre Kurse sind gefragt. "Immer wenn jemand aufhört, denke ich, jetzt wird es ruhiger, aber dann kommt schon jemand Neues dazu, der mitmachen möchte."
Ihre Teilnehmer sind meist Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter, die sonst wenig Chancen auf einen Sprachkurs haben. Geübt werden Grammatik und Konversation, was zählt, ist aber auch etwas anderes: "Ich möchte meine Sprache verbessern, aber auch Kontakte pflegen", bringt es eine Frau auf den Punkt. Die Stärkung des Miteinanders ist ein wichtiger Faktor bei den "Talenten" - ebenso wie die Kunst. So gibt es etwa die Konzertreihe "Chorweiler in Concert" oder die "Chorweiler Art", die lokalen Künstlern die Chance gibt, sich zu präsentieren. "Die Leute hier sind hungrig nach Kunst", sagt Melania Mankovska, die sich bei der Organisation einbringt.
Sozialbüro vernetzt Initiativen und hilft bei Wohnungsproblemen
Quelle und Motor dieser Initiativen ist das Sozialbüro der Kirchengemeinde. Hier erhalten Menschen Rat und Unterstützung, die in der Gesellschaft sozial benachteiligt sind. Hier werden diejenigen vernetzt, die sich engagieren wollen, egal, welcher Nationalität oder Religion sie angehören. In einem Secondhand-Laden verkaufen Ehrenamtliche gebrauchte Kleidung, andere übernehmen die Lebensmittelausgabe der Kölner Tafel. Eines der großen Themen der langjährigen Leiterin des Sozialbüros, Sigrid Heidt, war und ist die Wohnsituation der Menschen im Stadtteil. Finanzinvestoren waren an der Rendite, aber wenig an Bewohnern und deren Bedürfnissen interessiert. Im Jahr 2005 spitzte sich die Situation zu, ein Investor wurde insolvent, 1200 Hochhauswohnungen standen unter Zwangsverwaltung. Wenn überhaupt, wurde nur noch das Nötigste repariert. Gravierende Mängel an Gebäuden, undichte Fenster und Türen, marode Heiz- und Rohrsysteme, Feuchtigkeit und Schimmel in den Wohnungen waren die Folge.
2009 gründete das Sozialbüro darum die "Mieterkontaktstelle". Hier gibt es Hilfe beim richtigen Dokumentieren von Mängeln, bei Problemen mit dem Vermieter, und es werden Wege in die Rechtsberatung gebahnt. Das größte Verdienst aber ist wohl, dass das Sozialbüro den Betroffenen unermüdlich eine Stimme verliehen hat, auch gegenüber der Stadtspitze. 2016 hat schließlich die städtische Immobilien-Firma GAG die 1200 Wohnungen erworben, 35 Millionen Euro sollen in die Sanierung fließen. Im Sommer wurde das Einjährige mit einem bunten Nachbarschaftsfest gefeiert. Denn hier geht es um viel mehr als nur menschenwürdiges Wohnen, es geht um eine Perspektive für einen ganzen Stadtteil. Der, da sind sich die Bewohner einig, "ist viel besser als sein Ruf". Warum, das bringt Melania Mankovska auf den Punkt: "Die Ehrenamtlichen bewegen Chorweiler.