Zwischen Edelstahltanks und Abfüllanlage
Brauereibesichtigung im laufenden Betrieb: In der Abfüllhalle werden die Bierkästen bestückt. Im Hintergrund links Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa. (Foto: Markus Jonas)
Von außen wirkt es wie eine unscheinbare Fabrikhalle - wäre da nicht die Almhütte direkt daneben. Denn die Produkte, die hier entstehen, können Besucherinnen und Besucher anschließend gleich auch in stilvollem Ambiente kosten. Europas erste inklusiv betriebene Brauerei, vor 25 Jahren eröffnet, wird an diesem Tag von einer Delegation aus Politik und Sozialwirtschaft besucht. An der Spitze: Eva Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbands. Ihr Besuch ist ein Plädoyer für mehr Inklusion von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben.
Denn in der kleinen Josefs-Brauerei mit der 20-Hektoliter-Brauanlage arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung Seite an Seite. In Bad Lippspringe bei Paderborn werden nicht nur verschiedene Biersorten, sondern auch eine breite Palette an alkoholfreien Softdrinks produziert. Die Besucherinnen und Besucher zeigen sich beeindruckt von den großen polierten Edelstahltanks und von dem geschäftigen Treiben in der Halle mit der Abfüllanlage.
Brauerei-Leiter Rico Lucius erklärt die Ursprünge der inklusiven Brauerei, die 2000 im Josefsheim im sauerländischen Bigge gegründet wurde, und wie unter der Führung von Ralf Eckel eine Gruppe von sechs Gesellschaftern aus Paderborn die Brauerei 2021 vor der Insolvenz rettete und nach Bad Lippspringe holte. Ihr Anliegen: Die Arbeitsplätze für die Menschen mit Behinderung retten.
Das Vorbild der inklusiven Brauerei ist im Anschluss an die Brauerei-Besichtigung der Ausgangspunkt für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema in der benachbarten Almhütte. Ines Lammert vom Caritasverband für das Erzbistum Paderborn schildert die Realität von Menschen mit Behinderung in Deutschland in klaren Worten und hält ein Plädoyer für mehr Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Eindringlich weist sie auf die Bedeutung von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und Inklusionsunternehmen für einen gerechten Arbeitsmarkt hin. Weil diese Werkstätten in der Öffentlichkeit zunehmend unter Beschuss geraten, vermeintlich weil sie dem Inklusionsgedanken widersprächen, stellt sie fest: "Werkstätten sind kein Sonderweg, sie sind Teil des Arbeitsmarktes. Menschen in Werkstätten sind nicht arbeitslos." Vor dem Hintergrund, dass diese Werkstätten in Frage gestellt werden, hätten Menschen mit Behinderung zunehmend das Gefühl: "Ich darf hier nicht sein."
Doch Werkstätten für Menschen mit Behinderung seien vorrangig ein Ort der Entwicklung und Rehabilitation. Ziel sei zwar die Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt. Aber: "Die Wahrheit ist: Ein inklusiver Arbeitsmarkt existiert in Deutschland nicht." Das sei das eigentliche Problem, warum so wenig Menschen den Übergang schaffen. "Barrierefreie Strukturen, Assistenzangebote und Sensibilisierung sind zu selten vorhanden. Es fehlt an politischem Willen, dies grundlegend zu ändern", kritisiert Lammert. Werkstätten und Inklusionsunternehmen wie die Josefsbrauerei würden bereits heute Brücken bauen, etwa durch Außenarbeitsplätze, Praktika oder individuelle Begleitung.
"Teilhabe braucht Türen - und die müssen wir politisch und gesellschaftlich gemeinsam öffnen", erklärt Lammert. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen seien keine "Sackgassen". "Nicht jeder Mensch mit Behinderung kann oder will auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln - und auch das ist ein selbstbestimmtes Recht, das wir respektieren müssen", sagt Lammert und macht klar: "Inklusion ist kein Sparmodell, Inklusion kostet Geld und ist anstrengend. Aber sie ist eine Investition in die Zukunft und in eine gerechtere Gesellschaft."
Caritas-Präsidentin Eva Welkop-Deffaa (rechts) hört intensiv den Schilderungen von Jürgen Kröger und Sonja Haase zu, beide Mitglieder im Caritas-Werkstattrat NRW (von links). Mit im Bild Ines Lammert und Diözesan-Caritasdirektor Ralf Nolte. (Foto: Besim Mazhiqi)
In der folgenden Diskussion kritisieren die Fachleute aus der Behindertenhilfe die überbordende Bürokratie, die seitens Politik und Verwaltung in allen Bereichen auferlegt würden. Christian Stockmann, Vorstand der Caritas Arnsberg-Sundern, nennt es symptomatisch, dass die für die Behindertenhilfe zuständigen Landschaftsverbände mehr Controller als Hilfeplaner einstellen. Die Landtagsabgeordnete Norika Creuzmann wirbt dafür, das Thema über Parteigrenzen hinweg anzugehen. Das sei definitiv kein Thema für den Wahlkampf.
Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa lobt abschließend die Arbeit der Josefsbrauerei und betont, dass inklusive Projekte auch in Zeiten des Fachkräftemangels eine große Chance darstellen. Sie ermutigt die anwesenden gewählten Werkstatträte, selbstbewusst ihre Wünsche an die Bundes- und Landespolitik zu formulieren. Und die lassen sich nicht lange bitten: Es gebe eine Vielzahl an Verbesserungsmöglichkeiten, sagt Jürgen Kröger vom Caritas-Werkstattrat NRW aus Olsberg. Er mahnt Verbesserungen im öffentlichen Personennahverkehr für Menschen mit Behinderung an, aber auch Reformen beim Entgelt, das in Werkstätten gezahlt werde. Dieses dürfe nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden. Das koste natürliche alles Geld, sagt Kröger. Aber: "Wenn man Inklusion will, muss man diesen Weg auch gehen."
Dem stimmt auch Brauerei-Gesellschafter Ralf Eckel zu. "Es ist richtig, dass von der Politik ein angemessenes Entgelt gefordert wird." Bei seinem 25-jährigen Sohn, der selbst in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeite, könne er sehen, was monatlich übrig bleibe. Doch Inklusionsunternehmen werde es noch immer viel zu schwer gemacht. "Die Bürokratie macht uns kaputt." Paradoxerweise könnte man die Brauerei vollautomatisiert profitabler führen. "Aber das kann es doch nicht sein: Wir wollen schließlich Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung nicht abschaffen, sondern im Gegenteil neu schaffen."
Der Besuch in der Josefs-Brauerei macht nicht nur Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa nachdenklich. Klar ist: Es bleibt viel zu tun, um die Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt voran zu bringen.