„Glucke“ sein ist ungesund
Die langjährige Organisatorin eines internationalen Frauentreffs beobachtet mit Sorge, wie viel sich Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe zumuten. Besuchsdienste, Begleitung zu Behörden und Ärzten, Versorgung mit Bekleidung und Lebensmitteln - die Liste der freiwilligen Dienste ist lang für die neuen Mitbürger aus Syrien, Eritrea, Pakistan oder Afghanistan.
Was auffällt: Viele "neue" Ehrenamtliche sind zu den klassischen Caritas-Helfergruppen hinzu gestoßen. Manche haben nach dem Zweiten Weltkrieg Flucht und Vertreibung am eigenen Leib erlebt, andere wollen ein Zeichen gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit setzen, wieder andere praktizieren - ganz einfach - ihren christlichen Glauben. Gerade bei diesen "Neueinsteigern" sieht Anne Bartholome die Gefahr der Überforderung. Sätze wie "Ich träume schon vom Schicksal der Flüchtlinge" oder "Es tut mir in der Seele weh, was mit diesen Menschen passiert" stimmen nachdenklich. Der Diözesanverband der Caritas-Konferenzen macht deshalb ein neues Angebot. Seit Frühjahr 2016 gibt es im Erzbistum Paderborn für Ehrenamtliche die Möglichkeit, sich in der Flüchtlingshilfe persönlich begleiten zu lassen - und zwar durch professionelle "Coaches".
Eine erste Gruppe, durchweg Frauen, trifft sich regelmäßig in Brilon unter Leitung von Coach Werner Isermann. Begleitend dabei ist auch Coach Marie-Luise Tigges, die im Hauptberuf das Referat Integration beim Diözesan-Caritasverband leitet, hier aber ehrenamtlich im Einsatz ist. Für Tigges geht es darum, dass die Teilnehmerinnen ihr Engagement für die Flüchtlinge auf neue Weise in den Blick nehmen. "Warum mache ich das überhaupt?" oder "Was habe ich davon?" Dabei geht es auch darum, im eigenen Handeln "Fallen" zu identifizieren, in die jeder tappen kann, der anderen Menschen - nicht nur Flüchtlingen - helfen will. Es gilt, wie Tigges betont, den Unterschied zwischen "gut" und "gut gemeint" zu erkennen. Die Hauptfalle heißt: Die Balance von Nähe und Distanz zu verlieren. Werner Isermann: "Viele spüren nicht mehr, wenn sie zu tief in einer helfenden Beziehung stecken."
Eine gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz erleichtert auch den Umgang mit Enttäuschungen. Flüchtlinge, die fürs eigene Überleben nach jedem Strohhalm greifen mussten, verhalten sich bisweilen nicht nach Mustern, die Außenstehende erwarten. Forderndes oder gar übergriffiges Verhalten irritieren bisweilen die Helfer. "Flüchtlinge sind nicht nur arm und hilfsbedürftig", betont Marie Luise Tigges. "Ich kann nicht dauerhaft die ´Glucke` für die Betroffenen sein, sondern muss respektieren, dass sie letztlich für sich selbst verantwortlich sind." Dazu gehöre, loslassen zu können oder auch sich guten Gewissens aus einer helfenden Beziehung zurückzuziehen. Erst mit dieser Haltung sei ein Kontakt auf Augenhöhe möglich.
Generell geht es beim Coaching-Angebot der Caritas-Konferenzen darum, den "Rücken zu stärken" und damit die Freude an diesem Engagement für eine ganz besondere Zielgruppe zu erhalten. Denn letztlich ist es bereichernd, Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen.