"Auf den Spuren meines Kindes ist mein neuer Weg."
Heidi Köhling ist eine schlanke Frau mit kurzen Haaren und einem offenen, freundlichen Gesicht. Unser Gespräch ist sehr intensiv. Man merkt, dass ihr die Zeit zu kostbar ist für Smalltalk. Manchmal legt sich plötzlich für einen Moment ein Schatten über ihr Gesicht. Dann weiß ich, sie denkt an Felix, ihren Sohn, der vor 12 Jahren gestorben ist.
"Man kann sich diese Trauer nicht vorstellen", sagt Frau Köhling nachdenklich. "Man kann sich auch nicht darauf vorbereiten. Als Felix starb, starb auch meine Zukunft. Und es dauerte Jahre, bis ich erkannte, dass mein neuer Weg auf den Spuren meines Kindes verläuft. Dieser Gedanke hat mich etwas getröstet."
"Der Schmerz lässt nie nach", fährt sie fort, und da ist er wieder, der Schatten. "Die Wunde heilt nicht. Die Trauer wandelt sich, und aus der Trauer entsteht etwas Neues. Ich habe zum Beispiel erkannt, wie kostbar die Zeit ist. Aber der Schmerz ist immer da. Auch in der Freude bleibt immer ein Stück Schmerz. Die "reine Freude" gibt es für mich nicht mehr."
Heidi Köhling leitet seit fünf Jahren die "Gruppe für verwaiste Eltern" im Ambulanten Caritas-Hospiz. Zur Zeit sind es sieben Personen, die sich regelmäßig dort treffen. Es kommen nicht immer alle. Manche wollen kommen, schaffen es dann aber doch nicht. Das Leid der anderen ist oft zuviel, wenn das eigene Leid schon so schwer zu ertragen ist.
In der Gruppe fühlen sich die Eltern aufgehoben, geborgen. Manche trauern schon länger, andere sind neu, alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sein Kind verliert. Da sein, mit aushalten, mehr geht nicht, aber das ist schon viel. Jeder in der Gruppe hat seinen eigenen Trauerweg, und jeder Weg hat seine Berechtigung. Ein Richtig oder Falsch gibt es nicht.
In der Gruppe können die Eltern über ihre Kinder sprechen, hier sind sie immer präsent. Ansonsten sprechen die Menschen, mit denen sie täglich zu tun haben, nicht gerne über die gestorbenen Kinder. Das hält die Umwelt nicht aus. Irgendwann erwarten die Leute, dass mit der Trauer mal Schluss sein muss, das die Trauernden endlich wieder ‚funktionieren’. "Aber dass ein Kind stirbt, ist so unbegreiflich, dass man immer wieder darüber reden muss, immer wieder von vorn", sagt Frau Köhling. "Nur so kann man irgendwann begreifen, dass das Kind nicht wiederkommt, dass man es nie mehr anfassen, nie wieder mit ihm sprechen, ihm nie mehr über das Haar streichen kann."
Ambulantes Caritas-Hospiz Berlin, Kinderhospiz und Familienbesuchsdienst
Umfragen haben ergeben, dass 80 bis 90 Prozent aller befragten Menschen zu Hause sterben möchten. Wunsch und Wirklichkeit sind allerdings weit von einander entfernt. Nur 10 bis 20 Prozent aller Menschen in Deutschland gelingt es zur Zeit tatsächlich, durch ambulante Hospize und Palliative Care-Teams betreut zu Hause zu sterben.
Auch die Angehörigen sind Adressaten unserer Arbeit. Das Trauercafé und die Gruppe der verwaisten Eltern bieten einen Ort, an dem man schweigen oder reden kann, lachen und weinen darf und Schmerz und Hoffnung miteinander teilt.
Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich für unser ambulantes Kinderhospiz qualifiziert. Der Tod eines Kindes ist unfassbar und das Schlimmste, was vorstellbar ist. Unsere Familienbegleiter leisten den Familien, in denen ein Kind an Krebs erkrankt ist, Beistand in vielfältiger Weise vom Abholen vom Kindergarten bis hin zur Reisebegleitung.
Unsere Geschwistergruppe gibt den Geschwisterkindern die Gewissheit, dass auch sie wichtig, geliebt und nicht vergessen sind, denn in einer betroffenen Familie steht die Zeit still und das Leben gerät an seine Grenzen. Alle Gedanken, Ängste und Hoffnungen kreisen um das erkrankte Kind. Für die Geschwister ist keine Zeit mehr. So ist die Begleitung in den Familien, die immer das ganze Familiensystem beachten und berücksichtigen muss, eine ganz besondere Herausforderung und eine äußerst wichtige Aufgabe.
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