Familien stehen Kopf in Corona-Zeiten – Tipps aus der Erziehungsberatung
Welche Handlungsansätze gibt es? 12 Tipps für Eltern und Familien
- Behalten Sie Ihre Routinen bei oder schaffen sich neue: Klare Tagesstruktur, gemeinsame Essenszeiten, vormittägliche Beschäftigung mit Lernstoff wird durch digitalisierte Lernstoffvermittlung der Schulen unterstützt, Beibehaltung von Regeln im familiären Alltag.
- Verbringen Sie gemeinsam Zeit: Es besteht eine große Chance darin, die vermehrt zur Verfügung stehende "freie" Zeit für das familiäre Zusammensein zu nutzen, etwa mit gemeinsamen (Brett-)Spielzeiten, mit gemeinsamem Heimkino, mit gemeinsamen Projekten im Garten (Vogelhaus, Insektenhotel) oder in der Garage (Mofa-Schrauben).
- Bewahren Sie Ruhe und checken die Fakten: Es besteht die Gefahr, hektisch zu werden und nur noch schwarz zu sehen (überall nur noch Einschränkungen). Wichtig ist, dass Sie sich bewusst machen, was alles gut funktioniert (die Familie hält zusammen, die Kinder machen zuverlässig ihre Dienste).
- Üben Sie Nachsicht, wenn bei Ihnen oder anderen Familienmitgliedern die Nerven blank liegen: Pausenknopf in der Emotionsspirale drücken, manchmal hilft auch einfach, Humor ins Spiel zu bringen.
- Schrauben Sie Ihre Erwartungen nicht zu hoch: Kein überbewertetes Harmoniebestreben. Auch von Feiertagen kennen wir die Dynamik, dass durch erhöhte "Messlatten" das Scheitern und Konflikte schon vorprogrammiert sind.
- Starten Sie kleine Hilfsprojekte: Wenn, dann besteht jetzt auch die besondere Möglichkeit, unseren Kindern die Wichtigkeit von Hilfsverhalten zu vermitteln. Gleichzeitig bedeutet es Selbstwirksamkeit und Übernahme von Verantwortung, wenn Kinder und Jugendliche der älteren, alleine lebenden Nachbarin täglich den Einkauf vorbeibringen. Diese Erfahrungen stärken unsere Kinder und damit die zukünftige Gesellschaft.
- Verteilen Sie kleine Belohnungen: Belohnen Sie sich selbst und Ihre Familienmitglieder für die Dinge, die jetzt in der schwierigen Situation gemeistert werden müssen. Am besten natürlich durch altersangemessene Zuwendung und Aufmerksamkeit.
- Erkennen Sie Sinn im Hang Ihrer Kinder zu sozialen Medien: In diesen besonderen Zeiten macht die Digitalisierung durchaus (mehr) Sinn, insbesondere wenn es um den Austausch und Kontakt mit der Verwandtschaft und mit Freunden geht.
- Pflegen Sie Beziehungen und einen liebevollen Umgang: Machen Sie anstatt eines Adventskalenders doch einen Kalender, in dem steht, jeden Tag bis Ostern bewusst jemanden aus dem weiteren Familien- oder Freundeskreis anzurufen.
- Schaffen Sie sich und Ihren Kindern Rückzugsmöglichkeiten: Das ist bei oftmals beengten Wohnsituationen zwar oft leichter gesagt, als getan. Aber es ist wichtig, kleine, aber sichere Rückzugsmöglichkeiten zu gewährleisten. Jugendliche müssen beispielsweis sicher sein, dass die Eltern sie drei Stunden im Zimmer auch wirklich in Ruhe lassen.
- Wagen Sie Zukunftspläne: Neben den Tagesplänen, die zur Schaffung von Alltagsroutine dienen, ist es auch wichtig, als Familie einen Blick in die Zukunft zu werfen. So könnte etwa im familiären Kreis besprochen werden, was alle schon immer mal zusammen unternehmen wollten, wohin die nächste Urlaubsreise hingehen soll….
- Lassen Sie externe Hilfe zu: Neben den familiären und sozialen Netzwerken sollten die professionellen Unterstützungsmöglichkeiten nicht vergessen werden. Familien- und Erziehungsberatungsstellen sind weiterhin erreichbar, per Telefon, E-Mail und Online-Beratung.
Alle Verhaltenstipps wurden aktuell durch unsere in der Erziehungsberatung erfahrenen Expert_innen des Bundesverbands katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e.V. (BVkE) erarbeitet (März 2019).
Hintergrund: Besondere Herausforderungen für Familien
Kinder gehen morgens nicht mehr, wie gewohnt, in Kita und Schule. Erwachsene sehen sich durch die Veränderung der Arbeit (Kurzarbeit, Homeoffice …) mit neuen Routinen konfrontiert. Die Kinder gehen nicht mehr zum Musikunterricht oder in den Fußballverein. Und auch die Eltern gehen nicht mehr in den abendlichen Sport oder zu ihrem ehrenamtlichen Engagement im Verein. Unsere sozialen Kontakte, falls nicht sowieso schon auf soziale Medien reduziert, fallen weg, erzeugen Lücken, es fehlen Ausgleichsmöglichkeiten und Sicherheiten.
Willkommene Pause in der "überhitzten" Gesellschaft?
Im ersten Moment könnte man meinen, Kinder, Jugendliche und Eltern könnten erleichtert "durchschnaufen" angesichts nachlassender Geschwindigkeit und weniger Terminstress. Doch der Wegfall der gewohnten Alltagsabläufe wirkt in der Regel belastend, nicht entlastend. Das hat nicht nur damit zu tun, dass uns, egal ob Kinder oder Erwachsene, gewohnte Abläufe Sicherheit geben, sondern auch damit, dass wir unsere Energiequellen verlieren. Soziale Begegnungen und die Ausübung von Hobbys geben uns Menschen die nötige Bestätigung und Kraft, die wir zur Bewältigung vieler Anforderungen im Leistungsbereich und auf der "sozialen Bühne" benötigen.
Verlustängste machen sich breit
Dazu kommt der entscheidende Unterschied, dass wir uns nicht selbst gegen oder für etwas entscheiden können. Das gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Unsere freiheitliche Gesellschaft und das damit verbundene, stark ausgeprägte Gefühl der Selbstwirksamkeit scheint verloren zu gehen. Eltern können nicht mehr selbst entscheiden, was sie zulassen oder nicht. Je umfangreicher die Einschränkungen durch die Regierung ausfallen, umso größer wird das Gefühl des Kontrollverlustes und der Hilflosigkeit.
Die Ausgangssperre unterbindet das Abhängen mit der Peergroup
In dieser Gefühlslage können Ängste, Rückzug, aber auch aggressive Verhaltensweisen die Folge sein. So können Jugendliche in eigentlich "normalen" Phasen der Abgrenzung und Identifikationsfindung mitunter extrem reagieren, wenn sie staatliche Beschränkungen (Verbot, sich mit anderen zu treffen) als Eingriff in ihr Freiheitsverlangen erleben. Gleichzeitig sehen sie geschwächte, belastete und innerlich weniger "anwesende" Eltern. Familiäre Konflikte werden wahrscheinlicher, da zudem die Möglichkeit fehlt, sich aus dem Weg zu gehen oder sich Ausgleich zu verschaffen.
Besonders gefährdete Familienkonstellationen
Das Stresslevel von Eltern ist durch Sorgen um die Gesundheit der Familie und durch eventuelle finanzielle Existenzängste geschwächt. Je länger und intensiver die Isolation wird, umso stärker entwickelt sich das Gefühl des Alleinseins. Das bezieht sich nicht nur auf Singles oder Individuen, sondern auch auf die Familien. Bestimmte familiäre Konstellationen sind dabei besonders gefährdet: Alleinerziehende, Familien mit geringerem Einkommen, mit psychisch kranken Eltern und auch Familien in Trennungssituationen. Zur Vereinsamung der Eltern, und zwangsläufig auch deren Kindern, gesellt sich in diesen Fällen ein erhöhtes Potential an Konfliktzuspitzung und Gewalt.