Wollen wir Hilfe zum Suizid dauerhaft rechtfertigen?
Seit Monaten steht die Debatte um Sterbehilfe in Deutschland im Fokus der Aufmerksamkeit. Für diese gesellschaftliche und politische Debatte bin ich dankbar. Wir brauchen in dieser gesellschaftlich wesentlichen Frage das Ringen um verantwortbare Lösungen und das klare Bekenntnis zur Unterstützung schwerkranker und sterbender Menschen und ihrer Angehörigen.
Der Deutsche Caritasverband mit seinen zahlreichen Einrichtungen ist mittendrin in der Diskussion. In unseren Einrichtungen sterben Menschen, begleiten Mitarbeitende diese Menschen in der letzten Phase ihres Lebens und versuchen, die Angehörigen darin zu unterstützen. Was ist ethisch vertretbar, wenn das Leben zu Ende geht und ein Mensch – aus welchen Gründen auch immer – um Beendigung dieses Lebens bittet? Die Freiheit, das Ende des Lebens selbst zu bestimmen, betrachten diejenigen als Menschenrecht, die dafür eintreten, über den eigenen Tod selbst bestimmen zu können.
Auch Pflegebedürftige haben ein Recht auf Leben
Das aber kann eine neue, perfide Form von Fremdbestimmung sein, vor der beispielsweise der Mediziner Stephan Sahm vor kurzem in der FAZ gewarnt hat. Er sieht darin die Gefahr einer gesellschaftlichen Entwicklung, dass sich dann jemand rechtfertigen muss, der trotz großer Beeinträchtigung am Leben festhalte, da er ja sein Leiden selbst gewählt habe. Und auch ich teile diese Argumentation. Weder als Privatmensch noch als Caritas-Präsident möchte ich in einer Gesellschaft leben, in der derjenige, der am Leben bleiben will, obwohl er bedürftig und gepeinigt ist, sich erklären muss – und das selbst dann, wenn mit Hilfe palliativmedizinischer Maßnahmen das Leiden mindestens gemindert und das würdevolle Sterben zugelassen werden könnte. Hier besteht tatsächlich die Gefahr einer Schieflage, in der die Argumente ins Rutschen kommen. Dann bestimmen die neuen Umstände des möglichen, glatten, sauberen und schnellen Todes das Bewusstsein und die Selbstwahrnehmung, man falle anderen mit dem empfundenen Schmerz und der fortschreitenden (Pflege-)Bedürftigkeit zur Last.
Wir dürfen niemand allein lassen
Dass wir heutzutage Schmerzen mit den Mitteln der Palliativmedizin sehr gut behandelt wissen dürfen, ist hinreichend bekannt, wenngleich es dazu gerade in der ärztlichen Ausbildung noch viel zu tun gibt. Es ist oft die Angst vor Schmerzen, die Scham vor Angewiesenheit und leider auch die abgrundtiefe Sorge vor Einsamkeit, die Menschen dazu bewegt, das Lebensende in die eigenen oder die Hände eines legitimierten Sterbehelfers zu legen. Auch hier ist zu Recht zu fragen, ob wir wirklich damit dauerhaft Suizidhilfe rechtfertigen wollen.
Ich sehe den DCV durch die aktuelle Debatte doppelt herausgefordert. Es wird wichtig sein, mit ganz unterschiedlichen Bündnispartnern dafür einzutreten, dass unsere Gesellschaft davor bewahrt wird, den selbst gewählten Tod als Lösung lebenswichtiger Fragen zu betrachten. Zum anderen geht es darum, in unseren Einrichtungen eine Haltung und eine Praxis der Sterbebegleitung zu etablieren, die glaubwürdig und erfahrbar macht: Bei uns stirbt keiner allein.
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