Mindestens das Minimum
Was wir in der Diskussion über Sinn und Unsinn, Nutzen und Schaden von Sanktionen gegenüber Beziehern von Grundsicherung erleben, ist das Gegenüber zweier Grundsätze: einmal die Durchsetzung der Mitwirkungspflicht im SGB II mit Hilfe von Sanktionsandrohung, auf der anderen Seite das verbriefte Recht auf ein Existenzminimum.
Sanktionen erzwingen ein bestimmtes Verhalten oder sie bestrafen ein Fehlverhalten. Rechtsstaatliche Bestrafungen sollen beim Bestraften die Veränderung zum Besseren bewirken, bestenfalls sogar per Einsicht. Ihre Androhung dient der rechtzeitigen Abschreckung mit dem Ziel, nicht zur Ausführung der Strafe voranschreiten zu müssen.
Eine einfache Frage: Wie gravierend muss der Verstoß gegen die Norm sein, dass einem Leistungsempfänger am Ende bis zu 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden? 119,70 Euro weniger - ist das ein angemessener pädagogischer Zeigefinger, der Menschen im Leistungsbezug endlich zur Räson bringen darf? Die Praxiserfahrung zeigt, dass gerade junge Menschen von dieser Art der Pädagogik nicht wirklich zu beeindrucken sind. Kürzungen sind sogar ein Weg, um sie noch weiter aus der Mitverantwortung zu verlieren. Viele andere Leistungsempfänger berichten allerdings von der Angst vor Sanktionen, obwohl man sich doch bemühe, alles richtig zu machen. Ist dies nun die gewünschte Wirkung?
Davon unabhängig, sprichwörtlich ohne Vorbedingungen, steht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums - geregelt auf Verfassungsnormniveau. Dieses Grundrecht auf ein Existenzminimum ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 als unverfügbar bestätigt.
Mit Grundgesetz und bundesverfassungsrechtlicher Rechtsprechung steht der Sanktionspraxis rund um das Existenzminimum also ein gewichtiges Gut gegenüber. Ich meine, dass dieses Gut überragend ist und keinem erziehungspädagogischen Ansatz hintangestellt gehört. Wenn nicht in Abrede gestellt wird, dass das Existenzminimum auch als solches gesehen wird und anzuerkennen ist, dann gilt: Ebenso wenig, wie man in der deutschen Sprache einen Superlativ weiter steigern kann, kann das Existenzminimum noch kleiner gemacht werden. Genau dieses Argument hatte ja auch in der Bemessung von Leistungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz vor drei Jahren zur Angleichung der Sätze geführt.
Wenn die Gesellschaft berechtigten Leistungsempfängern das Kleinste, Wenigste (sic!), das es zum Leben braucht, zugesteht, kann dieses Wenigste nicht gekürzt werden. Das Existenzminimum darf nach der UN-Sozialcharta keinen Sanktionen unterliegen, sondern muss allen Menschen zur Verfügung stehen. Genau das hat auch das Sozialgericht Gotha am 26. Mai 2015 festgestellt: Sanktionen beim Arbeitslosengeld II sind verfassungswidrig, weil sie die Menschenwürde verletzen.