Migration: Wir brauchen einander
Geht es um Flucht und Migration, erleben wir in trauriger Regelmäßigkeit Debatten, in denen Scheinlösungen und schrille Töne dominieren. Politische Akteure nutzen aus Machtkalkül reale Überlastungssituationen und kombinieren sie geschickt mit Ängsten vor Überfremdung und sozioökonomischem Abstieg, um sich als potente Problemlöser darzustellen. In der dadurch angefachten emotional aufgeladenen Debatte wird der Horizont gern eng. Die Ziele werden diffus, die vorgeschlagenen Maßnahmen aus der Luft gegriffen, und die eigentlichen Problemursachen geraten aus dem Blick. Es ist erschreckend, wie die spaltende Tonalität der aktuellen Debatte es erlaubt, sogar Grundrechte infrage zu stellen.
Wollen wir diese Errungenschaften, die mit gutem Grund im Grundgesetz verankert wurden, wirklich zugunsten vermeintlich einfacher Lösungen aufs Spiel setzen? Im Umgang mit Flucht und Migration gibt es keine einfachen Lösungen. Zielkonflikte und Aushandlungsprozesse strengen an. Sie nehmen jedoch nicht ab, sondern zu, wenn die Grundlagen unserer Gesellschaft infrage gestellt, wenn Solidarität, Schutz der Menschenwürde und Hilfe für Schwache als unrealistisches Gutmenschentum abgetan werden, um bei den nächsten Wahlen gut abzuschneiden. Der Preis für den erhofften Applaus von rechts ist zu hoch.
Die Situation ist in vielen Kommunen fraglos sehr schwierig. Dort müssen die Herausforderungen bewältigt werden, die sich aus der Zuwanderung von Schutzsuchenden, aber auch durch Fachkräftemangel, Wohnungsnot, Bildungs- und Pflegenotstand ergeben. Inflation, Klima- und Energiekrise verschärfen die Problematik. Die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen, ist eng gekoppelt an das Ausmaß sozialen Zusammenhalts.
Eine Abschreckungskultur zerstört vor Ort vieles, was mühsam aufgebaut wurde. Je mehr Abschottung und Angst den Geist der Gesetze prägen, desto mehr setzt sich dies auch in den Köpfen fest, desto weniger "integrationsfähig" ist die Aufnahmegesellschaft. Wäre das Spiel mit der Angst nicht so laut, könnten wir über die Herausforderungen sachlich reden, auf Basis der uns einenden Achtung der Menschenwürde nachhaltige Lösungen suchen, welche die Schwächsten schützen und Verantwortung nicht an nationalen Grenzen enden lassen. Wir würden auch feststellen, dass wir von Vielfalt und Zuwanderung profitieren, ja, darauf angewiesen sind. Wenn wir gemeinsam - Eingewanderte wie Menschen, die schon länger in Deutschland leben - Verantwortung für unser Gemeinwesen übernehmen und ins Gespräch kommen, wird deutlich, wie viel uns eigentlich verbindet und dass wir einander brauchen.